Chemie & Life Sciences

Zementfreie Bindemittel

Chancen und Herausforderungen der Alumosilikat-Chemie

03.11.2010 -

Die zementären Bindemittel sind mit Abstand die dominierende Bindemittelart innerhalb der bauchemischen Anwendungsformen und Produktgruppen. Sowohl bei großtechnischen Anwendungen, wie z.B. beim Hochbau oder der Fertigteilherstellung, als auch in weiten Bereichen der formulierenden Bauchemie kommt die gesamte Bandbreite verschiedenster Zementarten und -klassen zum Einsatz.

Durch die breiten Variationsmöglichkeiten des Grundstoffs und eine große Palette möglicher Modifizierungen der Endformulierung, lassen sich nahezu alle gewünschten Eigenschaften und Anforderungen darstellen. Neben den zementären Baustoffen finden nicht-zementäre Grundstoffe Anwendung in typischen Anwendungsgebieten wie z.B. in Gips- und Kalk-Putzen oder Anhydrit-Fließestrichen. Oftmals wird dann auf andere, alternative Bindemittel zurückgegriffen, wenn geänderte Rahmenbedingungen oder spezielle Anforderungen neue Materialeigenschaften erfordern. Beispiele dafür sind ökologische Betrachtungen, physiologische Einstufungen oder Martkttrends.

Alumosilikatchemie

Die Gruppe der Alumosilikate stellt einen Sonderbereich in der Bindemittellandschaft dar. Obwohl diese Materialgruppe seit vielen Jahren bekannt ist - oft unter der Bezeichnung „Geopolymere" - sind sowohl die wissenschaftlichen Grundlagen als auch die Definition der Bindemittelchemie sehr heterogen.

Materialwissenschaftlich betrachtet handelt es sich bei dieser Bindemittelgruppe um alkalisch aktivierte Alumosilikatbindemittel. Hauptbestandteile sind SiO2- und Al2O3-Quellen wie Schlacken, Aschen oder aktivierte Tone und eine alkalische Aktivierungskomponente, wie z.B. Alkalisilikat oder Alkalihydroxidlösungen. Ein Hauptproblem dabei ist eine genaue Definition der Bindemittelgruppe bzw. die Überschneidung mit anderen Materialklassen.

Bei der Diskussion der Bindemittelchemie und der Synthesewege müssen grundlegende Themen der Materialwissenschaften mit einbezogen werden. Dies sind Bestandteile der Glaschemie, der Keramik, Sol-Gel-Prozesse und der klassischen Hydratation. Die Überschneidung mit den benachbarten Substanzklassen beschreibt gleichzeitig auch einen der interessantesten Aspekte der Alumosilikatchemie. Nämlich den Syntheseweg über kleine (monomere und oligomere) Baueinheiten in Verbindung mit Precursor-Strukturen über polymerisationsähnliche Verknüpfungen zu dreidimensional vernetzten, amorphen Strukturen, die eher mit den Glas- und Keramikstrukturen verwandt sind. In Verbindung mit der Möglichkeit, über Änderungen der Edukte und beim Syntheseprozess gezielt und gesteuert die Materialeigenschaften einzustellen, ergeben sich dabei breite Variationsmöglichkeiten der technischen Eigenschaften. Die grundlegenden Unterschiede zur Zementchemie liegen dabei im Herstellungsprozess und in der Rohstoffzusammensetzung, in der Phasenbildung sowie bei der Ausbildung der Bindemittelstruktur und des Mikrogefüges.

Alumosilikat-Bindemittel bieten Vorteile

Die Alumosilikat-Bindemittel sind definiert über ihren Syntheseweg, d.h. alkalische Aktivierung der Feststoffkomponenten, Löseprozess der Silikat- und Aluminateinheiten und Rekombination der Baueinheiten zu einem dreidimensional verknüpften, amorphen Alumosilikat-Netzwerk. Der bisherige Kenntnisstand bei den Alumosilikaten als Bindemittel ist auf wenige technische Anwendungen beschränkt. In der großtechnischen Fertigung (z.B. bei Betonanwendungen) und in grundlegenden Bereichen der formulierenden Bauchemie finden sich nur einzelne Beispiele für alumosilikatische Bindemittelsysteme. Die Ursachen liegen einerseits darin, dass nach wie vor ein großer Teil der Anforderung mit dem vielfältigen Angebot der Zementtypen abgedeckt werden kann. Andererseits verlangt die Bandbreite der verwendeten Sekundärrohstoffe bei der Formulierung der Alumosilikat-Bindemittel eine weit reichende Kenntnis der Synthese- und Bindemittelchemie, um eine gezielte und gleichmäßige Steuerung der Produkte zu gewährleisten. Durch die herausragenden und neuen Eigenschaften der alumosilikatischen Bindemittel, wie z.B. hohe mechanische, chemische oder thermische Beständigkeit, können die Anwendungsbereiche anorganischer Bindemittel in Zukunft erweitert werden.

Technische und energetische Bewertung

Die Herausforderung beim Einsatz neuer Bindemittelalternativen besteht darin, die Anwendungssicherheit und die umfangreichen Erfahrungen zur Dauerhaftigkeit der Zemente mit den neuen Materialeigenschaften der Alumosilikate zu verbinden. Dies beinhaltet eine ständige Bewertung solch neuer Bindemittelklassen aus technischer und energetischer Sicht. Eine umfassende energetische Bewertung der alkalisch aktivierten Alumosilikate als Bindemittel ist bislang noch nicht durchgeführt worden. Erste Studien zeigen deutliche Vorteile dieser Bindemittel im Bereich der Rohstoffbewertung. Im Vergleich zu zementären Bindemitteln heißt das, dass der Einsatz von Sekundärrohstoffen zu einem geringerem Energiebedarf und weniger CO2-Emissionen bei der Herstellung führt. Der Hauptanteil der Energiebilanz (mehr als 80%) fällt bei der Herstellung der Aktivierungskomponente an. Das heißt eine intelligente und effiziente Aktivierung der Rohstoffe ist die entscheidende Herausforderung bei der Entwicklung innovativer und effizienter Bindemittel.

Zusammengefasst stellen Alumosilikat-Bindemittel durch ihre charakteristischen Synthese- und Formulierungsmöglichkeiten eine hochinteressante Materialgruppe dar. Die Darstellung neuer Eigenschaftsprofile im Labor in Verbindung mit laufenden Pilotprojekten zur Anwendung und Dauerhaftigkeit wird kontinuierlich einem technischen und energetischen Bewertungskonzept bei wechselnden Rahmenbedingungen unterworfen. Für die BASF stellen solche neuen Materialien dann eine interessante Alternative dar, wenn die neuen Eigenschaften der Produkte mit einem sicheren und dauerhaften Kundennutzen verbunden sind.