Circularity wird zum Leitprinzip für nachhaltiges Wirtschaften
Evonik hat sich ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele gesetzt
Das Spezialchemieunternehmen hat sich ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele gesetzt. Bis 2030 sollen die Scope-1- und Scope-2-Emissionen um 25 % im Vergleich zu 2021 sinken. Auch die Scope-3-Emissionen sollen maßgeblich verringert werden. In diesem Sommer hat die unabhängige „Science-Based Targets Initiative“ (SBTI) die Pläne des Essener Konzerns wissenschaftlich geprüft – und anschließend bestätigt, dass sie im Einklang stehen mit dem Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 °C zu begrenzen. Die Pläne des Unternehmens reichen über den von der SBTi geprüften Zeitraum hinaus: Bis 2050 will es klimaneutral sein.
Insgesamt 700 Mio. EUR investiert Evonik bis 2030, um Produktionsprozesse und Infrastruktur so weiterzuentwickeln, dass CO2-Emissionen reduziert werden. Weitere 3 Mrd. EUR fließen gezielt in grünes Wachstum: Die sog. Next Generation Solutions sollen den Umsatz mit Produkten und Technologien, die ein überlegenes Nachhaltigkeitsprofil aufweisen, von derzeit 43 % auf mehr als 50 % steigern.
Zu den wichtigsten bereits absolvierten Aufgaben gehört die Inbetriebnahme eines Gas- und Dampfturbinenkraftwerks als Ersatz für ein bestehendes Kohlekraftwerk in Marl. Bis zu 1 Mio. t/a CO2 werden so vermieden. „Ein wichtiger Hebel für die Zukunft ist, die Energieeffizienz in Produktions- und Verarbeitungsprozessen noch weiter zu steigern“, sagt der Leiter Nachhaltigkeit, Ralf Düssel. Während die generelle Marschrichtung klar ist, steckt wie so häufig der Teufel im Detail. „Wir schauen uns immer den konkreten Einzelfall an. Wirklich nachhaltige Lösungen entstehen dann, wenn wir ökologische, soziale und ökonomische Aspekte gleichermaßen miteinander in Einklang bringen. Vermeintliche Patentrezepte, die wie eine Schablone über ein Problem gestülpt werden, helfen nicht weiter“, weiß Düssel zu berichten.
Green Deal Herne: Auf dem Weg zur Klimaneutralität
Einen möglichen Weg, die Chemieproduktion nachhaltig zu machen, zeigt der „Green Deal Herne“. Das ganzheitliche Konzept beschreibt die Reise eines kompletten Standortes in die Klimaneutralität. Fossile Quellen für Kohlenstoffe sollen sukzessive ersetzt, Stoff- und Energiekreisläufe geschlossen werden. Pläne für mehr als ein Dutzend Bauvorhaben liegen in der Schublade, ein Teil der Vorhaben wird bereits umgesetzt. In Summe könnten damit mehr als 26.000 t/a CO2-Äquivalente eingespart werden. Sogar ein emissionsfreier Standort Herne ist denkbar.
Die Voraussetzungen dafür sind an dem Ruhrgebietsstandort vergleichsweise günstig. Für das dort produzierte Isophoron und seine Folgeprodukte werden relativ wenige Rohstoffe gebraucht: Wasserstoff, Sauerstoff, Ammoniak, Methan, Aceton – fast alles ließe sich heute schon aus grünen Quellen beziehen oder selbst produzieren. So soll in Herne bspw. ein Elektrolyseur entstehen, der Wasser mittels Strom aus erneuerbaren Energiequellen in Wasserstoff und Sauerstoff aufspaltet und die beiden Gase für den Produktionsprozess zur Verfügung stellt. Der Schlüssel zu zirkulärem Ammoniak liegt in einem Nebenprodukt der Isophoronherstellung, dem Ammoniumsulfat. Bisher diente es Landwirten als Stickstoffdünger. Künftig könnte es mit einer Elektrodialyse wieder in Ammoniak gespalten und in die Produktion zurückgeführt werden. Auch fürs Aceton haben sie in Herne Pläne: Die Idee ist, es biotechnologisch mit Hilfe von Bakterien aus Kohlenstoffdioxid herzustellen.
Rheinfelden: Biotechnologie schließt Stoffkreisläufe
Auf die Biotechnologie setzt der Chemieparkbetreiber am Standort Rheinfelden in Baden. Im Oktober 2021 startete dort das Projekt „SmartBioH2-BW“. Es wird vom Umweltministerium Baden-Württemberg mit insgesamt 3 Mio. EUR aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) und aus Landesmitteln gefördert. Gemeinsam mit den Fraunhofer-Instituten für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) sowie für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) und der Universität Stuttgart arbeitet Evonik daran, eine Bioraffinerie in die bestehenden Strukturen des Standortes zu integrieren. In zwei Stufen sollen aus Abwasser und Nebenstoffen Biowasserstoff und biobasierte Wertstoffe entstehen.
Für den ersten Schritt setzen die Projektpartner auf die sog. „Dunkel-Photosynthese“ des Purpurbakteriums Rhodospirillum rubrum. Dabei erzeugt das Bakterium Wasserstoff und weitere Produkte wie Terpenoide und Carotinoide, aber auch Kohlendioxid. Die Entkopplung der Wasserstoffbildung vom Licht ermöglicht es, die Prozesse in nahezu beliebige Anlagengrößen zu skalieren.
Der zweite Verfahrensschritt verhindert, dass das bei der Dunkel-Photosynthese anfallende CO2 einfach freigesetzt wird. Dazu wird das Gas in einen belichteten Fotobioreaktor mit Mikroalgen geleitet. Sie wachsen mit CO2, Licht und Nährstoffen, die aus einem zweiten anfallenden Nebenstrom mit Ammoniumchlorid stammen. Die Mikroalgen binden das CO2 in ihrer Biomasse. Währenddessen setzen sie ebenfalls Wasserstoff frei und produzieren weitere Produkte wie Proteine oder das Carotinoid Lutein. Der Mikroalgenprozess bindet also das Kohlenstoffdioxid, verwertet das Ammoniumchlorid, steigert zudem die Wasserstoffausbeute und erweitert auch noch die Produktpalette der Bioraffinerie.
Der mit der Bioraffinerie erzeugte grüne Wasserstoff kann in Rheinfelden genutzt werden, um Wasserstoffperoxid herzustellen, welches etwa in der Lebensmittel- und Raumfahrtindustrie eingesetzt wird. Kombinierte Bioraffineriekonzepte, wie sie SmartBioH2-BW erforscht, sollen künftig eine möglichst emissionsarme und effiziente Nutzung der Abwasser- und Reststoffströme ermöglichen. Dies ebnet den Weg für den Zukunftsenergieträger Wasserstoff und unterschiedliche weitere Produktoptionen und damit ein flexibles Wertschöpfungsangebot.
„Die Beispiele in Herne und Rheinfelden zeigen, dass der Wandel zu einer klimaneutralen und umweltfreundlichen Wirtschaftsweise gelingen kann, wenn wir Abfälle und Abwässer als Rohstofflieferanten begreifen,“ sagt Nachhaltigkeitsexperte Düssel. „Der intelligenten Verknüpfung von Biologie und Technik kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu.“ Essenziell ist, sich die Rahmenbedingungen des jeweiligen Standortes zu Nutze zu machen, um angepasste Lösungen zu verwirklichen.
„Der Verknüpfung von Biologie und Technik kommt in der Nachhaltigkeit eine Schlüsselrolle zu."