Forschung & Innovation

Mit smarter Software zur Analytik 4.0

ChemInnovation zeigt, wie maßgeschneiderte KI-Lösungen die Forschung beschleunigen werden

13.07.2023 - Während die Dauer von Forschungsvorhaben kontinuierlich weiter steigt, ist der Bedarf an nachhaltigen Produkten größer denn je.

Eine zentrale Rolle spielt dabei die chemische Analytik. Durch ihre gezielte Digitalisierung können Forschungsprozesse signifikant beschleunigt und Kosten gesenkt werden. Das Münsteraner Start-up ChemInnovation entwickelt KI-gestützte Software für analytische Fragestellungen.

Ihre Software METIS klärt auf Basis von GC-MS-Daten die Zusammensetzung komplexer Gemische auf. Michael Reubold sprach darüber mit Marius Kühnemund und Philipp Pflüger, den Gründern und Geschäftsführern von ChemInnovation.

CHEManager: Digitalisierung ist ein Innovationstreiber für die Chemie. Sie setzen mit Ihrer KI-Lösung bei der Analytik an, warum?

Philipp Pflüger: Die Analytikabteilungen spielen eine Schlüsselrolle für die chemische Forschung, denn die Analytik ist zentraler Teil jedes chemischen Prozesses. Egal was ich produziere oder erforsche, ich muss die Zusammensetzung von Rohstoffen und Produkten verstehen und mögliche Verunreinigungen erkennen. Bereits bei der allerersten Reaktion muss verstanden werden, ob das gewünschte Produkt entstanden ist. Später im Prozess müssen Nebenprodukte identifiziert und Verunreinigungen der Rohstoffe erkannt werden. So ist die Analytik von der Idee bis zur Produktion ein wichtiger Informationsgeber für die Forschung und Entwicklung.

Wie kann KI helfen, analytische Prozesse zu verbessern?

Marius Kühnemund: KI hilft immer da am meisten, wo Daten schnell ausgewertet werden müssen. Und sie ist dann besonders stark, wenn diese Informationen standardisiert sind und eine klare Aufgabe definiert werden kann. In der Stoffanalytik haben wir genau diese Situation: Es gibt einheitliche Daten, beispielsweise aus Massenspektrometern, und klaren Fragen an diese Daten: Welcher Stoff hat dieses Spektrum erzeugt? oder genereller: Was ist in meiner Probe? Dies sind typische Fragen, die wir mit unserer KI‚ METIS‘ beantworten. Dafür stützen wir uns auf GC-MS-Daten, verarbeiten diese automatisiert und machen Strukturvorschläge. Anstatt Spektren mühsam auszuwerten, kann ein Chemiker so aus den von METIS generierten Vorschlägen auswählen.

Wie sind sie auf die Idee gekommen, diese KI-Software zu entwickeln?

P. Pflüger: Frustration hat hier eine große Rolle gespielt! Während meiner Promotion im Bereich organischer Chemie habe ich daran gearbeitet, Hochdurchsatzverfahren für Reaktionen zu entwickeln. Leider hatte ich schnell so viele analytische Daten erzeugt, dass ich jedes Wochenende vor dem Rechner saß und Spektren auswerten musste. Das war noch vor Corona. Marius und ich sind damals gerade Freunde geworden. Irgendwann war Marius über meinen Mangel an Zeit so frustriert, dass er sich meine Arbeit im Detail erklären ließ, um mit mir nach einer Lösung zu suchen. So entstand dann die Idee, eine KI zu entwickeln, die Moleküle aus Spektren vorhersagt. Wir haben dann die nächsten vier Jahre zusammen – als Chemiker und Informatiker – an dem Thema geforscht. Trotz vieler Rückschläge wurde METIS geboren, eine KI, die Spektren in Moleküle verwandelt.

Warum gibt es so eine Software denn noch nicht?

M. Kühnemund: Diese Frage stellen wir uns seit Tag 1. Und in den letzten vier Jahren haben wir zwei Erklärungen gefunden. Die eine ist, dass es unglaublich schwierig ist, denn aktuelle KI-Modelle sind nicht für chemische Daten gemacht, und wenn man ein chemisch inspiriertes Modell entwickeln will, muss man häufig bei null beginnen. Wir haben das in unserer Entwicklung gemacht, viel voneinander gelernt, und hatten dann auch Glück, dass unsere Ideen am Ende funktioniert haben. Die andere Erklärung ist, dass viele Wissenschaftler lange nicht daran geglaubt haben, dass eine KI Spektren überhaupt in dieser Präzision auswerten kann.

Wem kann METIS denn helfen?

P. Pflüger: Die Anwendungsbereiche von METIS sind vielfältig. Von Basis­chemikalien und Geruchsstoffen bis hin zur Polymer- und Spezialchemie sowie in der Pharmaindustrie haben wir bereits Nutzer gefunden, und jede Woche entdecken wir neue Anwendungsmöglichkeiten. Unser Ziel ist es, Forschende da zu unterstützen, wo immer passende Moleküle und Spektren vorhanden sind.

Ist geplant, die KI-Lösung künftig auf Daten aus anderen Quellen auszuweiten?

P. Pflüger: Ja, wir planen, die Fähigkeiten der KI künftig auch auf andere spektroskopische Daten auszudehnen. Derzeit arbeiten wir aber noch ausschließlich mit Massenspektren.

ChemInnovation_Logo

ZUR PERSON
Marius Kühnemund und Philipp Pflüger sind die Gründer und Geschäftsführer von ChemInnovation. Sie haben sich an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster kennengelernt, wo beide derzeit promovieren. Kühnemund studiert Informatik und Pflüger Organische Chemie. Als interdisziplinäres Team forschten sie am Einsatz von Machine-Learning in der organischen Chemie und Analytik und arbeiteten an Methoden zur besseren Nutzung chemischer Daten sowie an der Vorhersage von Reaktionsausbeuten. Sie gründeten ChemInnovation, um diese Methoden für die Industrie nutzbar zu machen. Kühnemund leitet hier die Produktentwicklungsaktivitäten während Pflüger für die Geschäftsentwicklung zuständig ist.

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  Lampe      Business Idea

Moleküle statt Spektren
Unabhängig von Produkttyp, Anlagengröße und Anwendung – jedes Chemieunternehmen erzeugt Proben und muss deren Zusammensetzung mithilfe von Stoffanalytik bestimmen. Und während analytische Geräte kontinuierlich verbessert werden, ändert sich die Software zur Datenauswertung kaum. So ist die Auswertung spektrome­trischer Daten zum Bottleneck der Analytik und damit zu einem entscheidenden, zeitkritischen Faktor für die Forschung geworden.
ChemInnovation entwickelt und vertreibt mit METIS eine Software, die sich genau dieser Herausforderung annimmt. Während aktuelle Programme komplexe Daten lediglich anzeigen, wertet METIS diese Daten intelligent und vollumfänglich aus. Es übernimmt dabei alle Schritte von der Vorverarbeitung bis zum finalen Reporting und ermöglicht so eine automatisierte Datenauswertung. Der gesamte Prozess wird so um den Faktor 5 bis 50 beschleunigt.

Die Technologie

Die Kerntechnologie liegt dabei in einem KI-Modell, das GC-Massenspektren automatisch analysiert und basierend auf gelernten Regeln Molekülstrukturen vorhersagt. Der Nutzer kann diese Strukturen dann auswählen oder durch Experten- und Probenwissen verbessern. So kann bis zu 90 % der Zeit für die Datenauswertung eingespart  werden und Forschende erhalten ihre Probenergebnisse deutlich schneller und detaillierter.

Der aktuelle Stand

Aktuell ist METIS als Service verfügbar und wird bereits von Pilotpartnern verwendet. Dabei werden GC-MS Daten über gesicherte Verbindungen an ChemInnovation übertragen, semiautomatisch ausgewertet und ein Report mit allen Ergebnissen zurück übermittelt. Bis Ende des Jahres soll METIS in eine Softwaresuite überführt werden, die sich auf Kundenhardware ausrollen lässt. So wird es möglich, spektrometrische Daten direkt nach der Erzeugung auszuwerten, Ergebnisse zu bearbeiten und mit der Software zu interagieren. Ab 2025 will das Unternehmen eine Hardwarelösung anbieten, die Spektren in Echtzeit auswertet. Dadurch ist es möglich, die Software ohne vorhandene Spezialhardware zu nutzen und schnellste Ergebnisse sind jederzeit garantiert.

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 FahrstuhlElevator Pitch

Aus der Uni in die Industrie
Die Kosten für die Untersuchung einer einzelnen Forschungsprobe mittels GC-Massenspektrometrie liegen zwischen 1.000 und 10.000 EUR. Dabei entfällt nur ein Bruchteil der Kosten auf Geräte und Probenvorbereitung. Der Großteil der Kosten – über 70 % – entfallen auf die Auswertung von Daten und den damit verbundenen Personalaufwand. So ist es keine Seltenheit, dass zu einer 30-minütigen Messung mehrere Stunden Personalaufwand kommen. Diese komplexen Auswertungen erfordern nicht nur besondere Expertise und jahrelange Erfahrung, sondern können häufig nicht in voller Tiefe durchgeführt werden. Die Folge ist, dass Auftraggeber, bspw. F&E-Abteilungen, Tage oder Wochen auf Ergebnisse warten müssen oder eine unzureichende Auswertung erhalten.
Um diese Herausforderung anzugehen, hat das Münsteraner Start-up ChemInnovation die KI-basierte Software METIS entwickelt. Mit ihr können spektrometrische Daten in wenigen Sekunden ausgewertet werden. Dabei analysiert die Software die Probendaten in voller Tiefe und generiert für jeden Peak sinnvolle Strukturvorschläge. Während diese Vorschläge in vielen Fällen ausreichen, um einen guten Überblick über die Inhaltsstoffe einer Probe zu erhalten, können Experten die Ergebnisse mit wenigen Klicks verfeinern. So können Stoffdaten schneller, genauer und mit deutlich weniger Personal- bzw. Zeitaufwand ausgewertet werden.

Meilensteine
2019

  • Beginn der Forschungen zu METIS

2020/21

  • Entwicklungsarbeit an der KI-Software

2022

  • Proof-of-Concept zur METIS-KI
  • Ausarbeitung der Geschäftsidee
  • Test mit über 15 Firmen

2023

  • EXIST-Forschungstransfer-
  • Förderung bis 2025
  • Gründung der ChemInnovation GmbH

Roadmap

2023

  • Verfügbarkeit von METIS als Service
  • Weitreichende Verbesserungen

2024

  • Verfügbarkeit von METIS als Software

2025

  • Verfügbarkeit von METIS als Hardware

2026 ...

  • Ausweitung von METIS auf andere Datenquellen

  

 

Ein Dank gebührt den Sponsoren des CHEManager Innovation Pitch, die diese Veröffentlichung mit ermöglichen!



BioCampus Straubing Sponsor CHEManager Innovation Pitch

 

                           

    Ruhr-IP Sponsor CHEManager Innovation Pitch  

Siemens Sponsor CHEManager Innovation Pitch

 

 

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Organisch Chemisches Institut, Corrensstraße 40
48149 Münster
Deutschland