Märkte & Unternehmen

Chemiehandel bewährt sich in kritischen Zeiten

19.04.2023 - Der deutsche Chemiehandel hat sich im Jahr 2022 als solider Partner von Lieferanten und Kunden bewährt.

Der deutsche Chemiehandel hat sich im Jahr 2022 als solider Partner von Lieferanten und Kunden bewährt. Die Unternehmen der Branche trugen in den Krisen der letzten Monate erheblich dazu bei, dass deutsche Kunden weiter produzieren konnten und kritische Infrastrukturen funktionierten. In das laufende Jahr blicken die Geschäftsführer trotz weiterer Unsicherheiten optimistisch. In einer aktuellen Umfrage des Verbands Chemiehandel (VCH) sieht sich die Branche vor allem vor drei Herausforderungen. 

Das vergangene Jahr war geprägt von sich überlappenden Krisen. In den ersten Wochen überwog die Hoffnung auf ein Ende der Pandemie. Hier hatte der Chemiehandel seine Bedeutung gezeigt, indem in kurzer Frist u. a. große Mengen an Desinfektionsmitteln bereitgestellt werden konnten. Andererseits litt die Branche, wie die Wirtschaft insgesamt, z. B. unter erheblichen Störungen in den Lieferketten.Auf eine weitere Herausforderung, die coronabedingten Kontaktbeschränkungen, reagierten auch die VCH-Mitglieder. Rund 70 % der Unternehmen räumten im ersten Quartal 2022 Beschäftigen die Möglichkeit ein, mobil zu arbeiten. Zum Jahresende hatte sich diese Zahl auf etwa 65 % eingepegelt. 
Für Optimismus sorgte die Möglichkeit, wieder direkte Kundenkontakte zu pflegen: Während zu Jahresbeginn noch eine gewisse Unsicherheit herrschte, war die Angst vor Ansteckungen zum Jahresende verflogen. Dennoch gibt es keine vollständige Rückkehr zu alten Gewohnheiten: Etwa zwei Drittel der Unternehmen schätzen inzwischen die Vorzüge von Online-Kontakten und werden diese weiter nutzen. 

Erhöhte Lagermengen sorgen für Ausgleich 

Während die Wirtschaft insgesamt noch auf ein Ende der Pandemie hoffte, schuf der russische Überfall auf die Ukraine neue, globale Verwerfungen. Das hatte direkte Folgen auch für den Chemiehandel: Der Krieg und die Embargos sorgten dafür, dass Unternehmen ihre Geschäfte mit russischen Partnern abgebrochen haben und mehr oder weniger abschreiben mussten. 

Ab Sommer des Jahres verringerten sich dadurch die Absätze des Chemiehandels deutlich: Bewerteten im ersten Quartal 2022 noch 85 % der VCH-Mitglieder ihre Umsatzentwicklung positiv, sank diese Zahl auf 57 % im vierten Quartal. In Erwartung niedrigerer Preise verringerten Kunden ihre Lagermengen merklich. Auch in dieser Situation des „De-Stocking“ bewährt sich der Chemiehandel als ausgleichendes Element: Die Unternehmen erhöhten ihre Lagermengen in Volumen und in Wert. Das gelang mit erheblichem Einsatz, durch Mehrleistung der Angestellten vor allem in der Logistik und dem Customer Service. Herausfordernd war auch die notwendige, faire „Verteilung“ der verfügbaren Mengen. 

Seit Beginn der Ukraine-Krise und wegen der geänderten Zinspolitik aufgrund der Inflation wird der Großhandel verstärkt in seiner Finanzierungsfunktion genutzt. Die größeren Lagerbestände zogen Bilanzverlängerungen nach sich. Sorgen bereiten jetzt zunehmende Zahlungsausfälle, die in der Pandemie kein Thema waren. Dadurch wird die Finanzierungsfähigkeit einiger Unternehmen stark strapaziert. 

Die Probleme in den Lieferketten und hohe Energiepreise belasteten Produzenten in der chemischen Industrie. Produktionsmengen wurden gedrosselt sowie energieintensive Produktionen sogar eingestellt. Daher fehlen inzwischen zentrale Produkte, die nun importiert werden. Diese Entwicklung führte dazu, dass Deutschland im Oktober 2022 zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte zum Nettoimporteur von Chemikalien wurde.

Ausblick 2023: Stimmung steigt, Unsicherheit bleibt 

Chemikalienhändler und ihre Kunden erleben weiterhin eine Zeit der Unsicherheit mit angespannten Lieferketten, hohen Energiekosten und weiteren Folgen aus dem immer noch andauernden Krieg in der Ukraine. Weitere Störfaktoren sind die aktuellen Zinserhöhungen im Euroraum und eine allgemeine Furcht vor weiterer Inflation. Offen ist die Frage, wie sich die wirtschaftliche Situation in China gestaltet. Alle diese Faktoren führen dazu, dass dem Chemiehandel auch in diesem Jahr die Planungssicherheit fehlt.

Einzelne Industrien (Bau, Automobil etc.) sind in letzter Zeit deutlich unter den Erwartungen zurückgeblieben. Unternehmen stehen außerdem vor der Notwendigkeit, wegen der Inflation die Gehälter der Angestellten anzupassen. 

Dennoch: Nachdem im dritten Quartal 2022 die Aussichten für die kommenden Monate auf einem Tiefpunkt angelangt waren, hat sich die Stimmung zum Jahresende und in den ersten Wochen des neuen Jahres deutlich verbessert.

Rund 60 % der Unternehmen wollen 2023 neue Mitarbeiter einstellen. Im Vorjahr waren das nur 45 %. Insgesamt planen die Unternehmen für 2023 auf dem Niveau von 2022. Einige Unternehmen haben Neubauprojekte (Abfüllanlagen) bzw. Modernisierungen (Läger) geplant, wodurch der Wert insgesamt ansteigt. 

Standort Deutschland braucht bessere Bedingungen 

VCH-Präsident Christian Westphal definiert drei Herausforderungen, vor denen die Branche steht: „Es geht für unsere Unternehmen jetzt darum, die Lieferketten zu sichern, Klimaneutralität zu erreichen und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.“ 

Dafür braucht der Chemiehandel stärkeren Rückhalt in der Politik. „In letzter Zeit erleben wir, dass sich die Standortbedingungen für den Chemiehandel in Deutschland und Europa verschlechtern“, erklärt Westphal. Er verweist angesichts immer neuer Regulierungen aus Berlin und Brüssel auf den erhöhten Aufwand für rechtskonformes Handeln. Rechtsetzungsverfahren würden immer häufiger ohne Beteiligung der betroffenen Wirtschaft „durchgedrückt“, heißt es in der Chemiehandelsbranche. 

Der Chemiehandel hat großes Interesse daran, dass sich Deutschland als attraktiver, konkurrenzfähiger Standort behauptet. Ein Schlüssel dazu sind die Energiepreise. Hohe Energiekosten werden zur (weiteren) Abschaltung zentraler Produktionsprozesse in der chemischen Industrie führen. Der Chemiehandel spielt eine wichtige Rolle bei der Beschaffung bzw. dem Import der fehlenden Mengen. (bm)

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