Chemiedistribution beweist Stärke in Krisenzeiten
Verband Chemiehandel informiert über positive Ergebnisse 2021 und schwierige Aussichten
Der Verband Chemiehandel (VCH) hat berichtet, dass die Mitgliedsunternehmen im Jahr 2021 ein sehr positives Ergebnis erwirtschaften konnten. Ungeachtet der Herausforderungen bei der Beschaffung im Bereich der Spezial- sowie Basischemikalien und teilweise auch den Verpackungsmaterialien, konnten die Unternehmen des Chemikalien-Groß- und Außenhandels ihren Umsatz um 21 % auf 16,8 Mrd. EUR gegenüber dem Vorjahr steigern. Hierbei stiegen die Umsätze bei den Spezialchemikalien um 24 % und bei den Basisrohstoffen um 15 %.
In einem Round-Table-Gespräch mit dem Verbandsvorstand wurden verschiedene branchenrelevante Themen diskutiert. Die Teilnehmer des Gesprächs, das Birgit Megges für CHEManager führte, waren Christian Westphal (VCH-Präsident), Robert Späth (stv. Präsident und Schatzmeister), Thomas Sul (stv. Präsident und Vorsitzender FA Außenhandel), Thomas Dassler (Vors. FA Binnenhandel), Bastian Geiss (Vors. FA Chemiehandel und Recycling), die Vorstandsmitglieder Christopher Erbslöh, Colin von Ettingshausen und Thorsten Harke, Ralph Alberti (geschäftsführendes Vorstandsmitglied) und Michael Pätzold (VCH-Geschäftsführer).
In einer ersten groben Betrachtung der Ergebnisse der Chemiedistributionsbranche im Jahr 2021 zeigte sich nach einem verhaltenen Start im 1. Quartal eine sehr positive Umsatzentwicklung bis zum 3. Quartal. Im 4. Quartal trübte sich die Stimmung dann, vor allem ausgelöst durch die steigenden Energiekosten bei Gas und Öl, ein. Die Rohstoffpreise wurden seitens der Vorlieferanten überwiegend mit kurzer Vorlaufzeit angehoben und konnten nicht immer in vollem Umfang weitergegeben werden. Auch Lieferausfälle durch Reduzierung oder Abschaltung von energieintensiven Produktionen sorgten für Planungsunsicherheiten. Zusätzlich waren die Lieferketten, angefangen von der Vorproduktion bis hin zur Logistik, weiter stark belastet durch Pandemie, Fachkräftemangel, Geopolitik und Preissteigerungen.
Differenzierte Geschäftsentwicklung
Gleich zu Beginn des Gesprächs wiesen die Vorstandsmitglieder mit Blick auf die positive Umsatzentwicklung einheitlich darauf hin, dass in vielen Bereichen nicht der Mengenabsatz, sondern Preissteigerungen der Grund für die höheren Umsätze war.
Die getrennte Betrachtung einzelner wichtiger Absatzfelder machte deutlich, dass es in der Automobilbranche nach einer sehr kurzen Erholung im 2. Quartal die größten Einbußen gab. Stabil bis positiv zeigte sich u. a. der Bereich Bauchemie, während es bei durchaus ähnlich gutem Niveau im Bereich Lacke und Farben etwas mehr Dynamik gab. Die pharmazeutischen Rohstoffe verzeichneten unter dem Strich zwar auch Steigerungen, allerdings resultierten diese vor allem aus Zuliefergeschäften für die Impfstoffindustrie.
Das Chemikalien-Recycling zeigte für das Jahr 2021 ein komplett konträres Bild, weil das Geschäft generell nicht an den internationalen Lieferketten hängt. Bastian Geiss bestätigte die gute Lage: „Wir haben uns die letzten zwei Jahre zu 99,9 % aus den europäischen Abfällen bedient. Natürlich gab es mal den ein oder anderen Engpass, aber wir waren zu 100 % lieferfähig und das permanent und rund um die Uhr.“ Teilweise sind Recycling-Unternehmen sogar von Anfragen überhäuft worden, weil die Kunden versucht haben, über Lohndestillation ihre Preise zu glätten und auch, um wieder mehr Planungssicherheit zu bekommen.
Zahlreiche Gründe für Lieferengpässe
In der Runde wurde sehr deutlich kommuniziert, dass das Jahr von vielen Unsicherheiten geprägt war. Vor allem die Verfügbarkeit der Waren war das zentrale Thema bei den Gesprächen mit Kunden. Einzelne Produkte wurden knapp, weil es seitens der Lieferanten eine Reihe von Produktionsausfällen oder Force-Majeure-Erklärungen gab, und Logistikketten waren aus unterschiedlichen Gründen unterbrochen. „Unsere Mitarbeiter waren an der Belastungsgrenze, weil es keine Standardlieferketten mehr gab. Man musste flexibel und schnell reagieren. Die Funktion des Chemiehandels war von großer Bedeutung, um einen Ausgleich zu schaffen und die Versorgung etwas mehr zu gewährleisten als es von den Verwerfungen her vorgegeben war“, erläuterte Robert Späth. Auf Nachfrage, ob nur bestimmte Bereiche von den Lieferschwierigkeiten betroffen waren, antwortete Christopher Erbslöh: „Die Engpässe zogen sich durch alle Branchen, nur die Gründe waren verschieden“, und ergänzte: „Wenn es die Lagerkapazitäten nicht gegeben hätte, dann hätte in Europa einiges mehr stillgestanden.“ Somit war die Lagerhaltung ein klarer Pluspunkt, den die Chemiedistribution im letzten Jahr zu bieten hatte.
„Wenn es die Lagerkapazitäten nicht gegeben hätte, dann hätte in Europa einiges mehr stillgestanden.“
Christopher Erbslöh, C. H. Erbslöh
Thorsten Harke fasste die Folgen noch einmal zusammen: „Die Gesamtsituation führte zu steigenden Preisen, also zu höheren Umsätzen, zu längeren Lieferzeiten und zu Lieferunterbrechungen. Es wurden größere Lagerbestände aufgebaut, um sicher zu sein, dass man die Ware überhaupt hat, wenn sie gebraucht wird. Alle genannten Punkte führen zu einem starken Anstieg des Working Capitals und damit des Liquiditätsbedarfs. Bei manchen Unternehmen könnte dies zu Liquiditätsengpässen führen.“
Logistische Leistungsfähigkeit erneut unter Beweis gestellt
Dass vor allem die logistischen Herausforderungen erheblich waren, konnten ausnahmslos alle Gesprächsteilnehmer bestätigen. Dabei waren in unterschiedlichem Maße sämtliche Transportwege betroffen, angefangen von der Straße über die Schiene und den Seeweg bis hin zur Luftfracht. Nicht selten muss mehr als ein halbes Jahr im Voraus geplant werden. Und selbst dann müssen viele Bestellungen mehrmals geändert werden, weil sich z. B. die Lieferdaten ändern, die ursprünglich bestellten Mengen nicht geliefert werden können oder gar nicht geliefert werden kann, weil bspw. alle Container ausgebucht sind. Dies erhöhte den internen Aufwand für alle beteiligten Unternehmen immens.
Christian Westphal machte deutlich, dass ihnen zum Teil nur noch die Möglichkeit blieb, die Abnahmeverpflichtung gegenüber den Kunden deutlich flexibler zu gestalten. „Wir mussten aufgrund der enorm gestiegenen Volatilität fast aller Produkte vor allem längerfristige Kundenverträge flexibler gestalten. Wenn sich Produktpreise vervielfachen, sollten wir in der Lage sein, unsere Preise anzupassen. Im Gegenzug müssen wir allerdings auch unseren Kunden entgegenkommen, wenn die Preise wieder sinken.“
Große Sorge bereitet der Branche der Lkw-Transport. Hier sind alle Unternehmen zusätzlich oder ganzheitlich auf Partnerunternehmen angewiesen. Neben Fahrzeugen, die allen technischen und gesetzlichen Vorgaben entsprechen, sind vor allem Lkw-Fahrer nicht immer verfügbar. Der Erwerb der Fahrerlaubnis für Berufskraftfahrer ist inzwischen extrem kostenintensiv. Hinzu kommt in der Distribution von Chemikalien noch der Nachweis verpflichtender Zusatzqualifikationen. Ebenso müssen die Sprachkenntnisse bei Fahrern aus anderen Herkunftsländern sichergestellt sein, weil diese jederzeit in der Lage sein müssen, alle Vorschriften einzuhalten. Die Chemiedistribution mit ihrem zum Teil eigenen Fuhrpark und ihrem geschulten Personal kann die Situation zwar abfedern und die zuverlässige sowie sichere Belieferung der Kunden gewährleisten, aber alleine nicht lösen.
Fortschritte in der Digitalisierung
Neben den beschriebenen Herausforderungen, an denen die Covid-19-Pandemie sicherlich zu einem größeren Anteil ursächlich beteiligt war, wies Thomas Dassler auf einen positiven Nebeneffekt, nämlich darauf hin, dass sich die Pandemie seiner Einschätzung nach als Katalysator auf die Digitalisierung der Unternehmen ausgewirkt hat: „In unserer relativ konservativen Branche, in der noch viel per Fax oder Telefon bestellt wird, wären wir in den nächsten Jahren nicht so weit gewesen. Selbst kleine Unternehmen, die das Thema immer ganz weit weggeschoben haben, waren gefordert, sich damit auseinander zu setzen.“ Insgesamt waren die einzelnen Unternehmen zufrieden mit der Umstellung auf das häusliche Arbeiten. „Wir können sehr stolz darauf sein, dass wir es geschafft haben, trotz Homeoffice-Regelungen das Geschäft am Laufen zu halten. Unsere Mitarbeiter haben Eigenverantwortung und ein unglaubliches Engagement gezeigt,“ lobte Thomas Sul.
Die Branche ist überzeugt, dass es diesbezüglich in Zukunft bei flexibleren Arbeitsmodellen bleiben wird, allerdings würde die Etablierung mit allen rechtlichen Absicherungen etc. noch eine Weile dauern.
Gesetzesvorhaben als Zusatzbelastung
In diesem insgesamt angespannten Umfeld braucht die Branche verlässliche Aussagen und Planungssicherheit. Hier treffen der ambitionierte Zeitplan der EU-Kommission zur Umsetzung der Ziele aus dem Green Deal (hier Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit) auf eine Branche, die vor allem mittelständisch geprägt ist und sich durch die geplanten Revisionen, u.a. der REACh- und CLP-Verordnung, auf weitere regulatorische Anforderungen einstellen muss. „Wir werden uns mit neuen Anforderungen beschäftigen müssen und es wird neue Klassifizierungsmerkmale für die Umwelt und die menschliche Gesundheit geben“, kritisierte Michael Pätzold die Situation. „Wir wollen die Sicherheit der Verbraucher, den Umwelt- und den Arbeitsschutz unterstützen. Nur stellt sich die Frage, ob das angemessen ist. Sind die Anforderungen, die neu formuliert werden, verhältnismäßig zu dem Aufwand, der betrieben werden muss, um neue Daten zu generieren und diese in die Systeme einzuspeisen?“
„Wir wollen die Sicherheit der Verbraucher, den Umwelt- und den Arbeitsschutz unterstützen.“
Michael Pätzold, Verband Chemiehandel (VCH)
Denn auch, wenn nicht jedes Vorhaben eine direkte Betroffenheit für die Chemiedistribution auslöst, bringt die Verlagerung in die Lieferkette trotzdem erhebliche Herausforderungen mit sich. Betrachtet man z. B. das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, durch das die Branche in aller Regel nicht unmittelbar betroffen ist, erkennt man schnell, dass Pflichten aus dem Gesetz an die Distribution als Bindeglied der Lieferketten und damit an die meist mittelständisch geprägten Unternehmen weitergegeben werden. Dazu äußerte Ralph Alberti seine Befürchtungen: „Es ist eine Gesetzgebung, die die ganzen Lieferketten in absehbarer Zeit, in den nächsten zwei bis drei Jahren treffen und den Aufwand, den die Betriebe zu leisten haben, enorm in die Höhe treiben wird. Hier kann man sich die Frage stellen, ob das aktuell der richtige Zeitpunkt ist, die Unternehmen und Lieferketten hierdurch noch zusätzlich zu belasten.“
Fakt ist, dass die Unternehmen die Gesetzesauflagen und Verordnungen zur Zufriedenheit ihrer Kunden nur erfüllen können, wenn sie zusätzliches Fachpersonal einstellen. Dies ist erneut ein nicht unerheblicher Kostenfaktor, der nicht in gleichem Maße an die Kunden weitergegeben werden kann und damit die Margen verringern wird.
Start in das Jahr 2022 und Ausblick
Vor dem Hintergrund aller diskutierten Themen, ist die Branche vorsichtig optimistisch in das neue Jahr gestartet. Diese Hoffnungen wurden jedoch durch den russischen Einmarsch in die Ukraine abrupt beendet. Denn die Effekte der steigenden Energie- und Rohstoffpreise haben sich infolge der hohen Abhängigkeit Deutschlands von Energieimporten aus Russland durch den Krieg und die verhängten Embargos deutlich verschärft. Zudem werden die ohnehin stark strapazierten Lieferketten zusätzlich beeinträchtigt. Die Inflation wird weiter Auftrieb erhalten und die Unsicherheiten werden zunehmen. Auch, wenn seriöse Prognosen derzeit nur schwer möglich sind, so werden Konsum, Investitionen und damit das Wachstum gedämpft.
„Die wirtschaftliche Bedeutung von uns als Distribution steigt.“
Colin von Ettingshausen, Brenntag
Am Ende des Gesprächs brachte Colin von Ettingshausen die Wichtigkeit der Branche noch einmal auf den Punkt: „Die wirtschaftliche Bedeutung von uns als Distribution steigt. Es sind Situationen, die sich vor Jahren niemand hätte ausmalen können und ich glaube, dass gerade jetzt eine starke Distribution ein wichtiger Pfeiler zur Stabilisierung unserer Gesellschaft, unserer Wirtschaft und unserer Umwelt ist. Wir haben Fähigkeiten, die gerade jetzt zum Tragen kommen, weil wir Profis darin sind, volatile und komplexe Situationen zusammen mit unseren Partnern zu bewältigen.“
Autorin: Birgit Megges, CHEManager
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