Mehr Chemie auf den Schienen nach China?
Trotz Hindernissen birgt der Gütertransport per Schiene zwischen Europa und China Potenzial
In den letzten Jahren hat China den Schienenverkehr nach Europa subventioniert. Betreiber und Kunden haben sich mit Sendungssichtbarkeit, politischen Konflikten, Grenzüberlastungen, starren Stadt-zu-Stadt-Zügen und jetzt der Covid-Krise auseinandersetzen müssen. Trotzdem ist der Bahnverkehr eines führenden Anbieters zwischen China und Europa seit 2017 um 324 % gestiegen.
Mit ihrem hohen Wert und ihren ausgeglichenen Strömen scheinen chemische Produkte gut geeignet für die Bahn zwischen China und Europa. Die größte Bremse dabei ist vielleicht am einfachsten zu lösen: das Gefahrgüterverbot der chinesischen Eisenbahn.
Fehlende Sichtbarkeit und politische Konflikte
Die erste Eisenbahnstrecke zwischen Asien und Europa war die Transsibirische Eisenbahn. Nach der Zollunion zwischen Kasachstan, Russland und Weißrussland 2012 wurden weitere Strecken eröffnet. Seitdem hat China den Containertransport auf der Schiene zwischen immer mehr Städten in China und Europa ausgebaut – und subventioniert. Ein Ziel dabei ist die Erschließung der chinesischen Binnenprovinzen. China will offenbar auch ein Netz von kommerziell selbsttragenden und politisch wirksamen Verbindungen mit Europa schaffen. Kunden haben sich jedoch darüber beschwert, dass die Subventionen gewisse Betreiber nicht ermutigen, ihre Dienstleistungen – insbesondere Sendungsverfolgung in Echtzeit und Vorhersagen zu Ankunftszeiten – progressiv zu verbessern.
Auch politische Konflikte beeinflussen den Schienenverkehr. Von 2014 bis 2019 blockierte Russland den Transit von Lebensmitteln aus Europa nach China. Im Jahre 2021 drohte Weißrussland mit der Blockade von Transitzügen und China drohte damit, den Bahnverkehr nach Litauen einzustellen.
„Die chinesische Eisenbahn verbietet derzeit den Transport von Gefahrgütern.“
Übergänge zwischen Spurweiten
Ein weiteres Hindernis ist technischer Natur. Die übliche Spurweite beträgt sowohl in China als auch in Europa 1.435 mm, in Finnland und im Territorium der ehemaligen Sowjetunion jedoch 1.520 mm. Dort, wo sich die Spurweiten treffen, hieven Kräne die Container von einem Zug auf den anderen. Solche Übergänge haben sich als Engpässe erwiesen – trotz Anstrengungen zur Erhöhung des Durchsatzes. Überlastungen zwischen Weißrussland und Polen und die Suche nach direkteren Strecken lassen 1.435/1.520-Übergänge von Litauen bis Georgien entstehen.
Zunehmend überbrücken auch Schiffe die Spurweiten. Schiffe verbinden interkontinentale 1.520-mm-Züge, die in Kaliningrad, Helsinki und St. Petersburg ankommen, mit den Seehäfen der 1.435-mm-Netze der EU und des Vereinigten Königreiches. Auch chinesische und russische Häfen empfangen interkontinentale Züge mit Containern, die nach Japan, Südkorea, Taiwan und Vietnam verschifft werden.
Züge von Stadt zu Stadt
Chinesische Städte und Provinzen haben die Subventionen verteilt. Sie finanzierten nur Stadt-zu-Stadt-Züge zwischen China und Europa. Derart gestaltete Züge wirken sich nicht nur kommerziell, sondern auch politisch aus. Im Jahr 2020 konnte China zum Beispiel immer wieder auf Züge hinweisen, die Masken und sonstige Schutzausrüstung von einer chinesischen Stadt in eine europäische Stadt brachten. Aber solche Stadt-zu-Stadt-Züge schränken den Bahnbetrieb ein. In einem stärker marktorientierten Umfeld würden sich Bahnbetreiber und Spediteure vermutlich weniger auf Stadt-zu-Stadt-Züge fokussieren und vielmehr auf den optimalen Schienentransport jedes Containers über Knotenpunkte vom Abgangs- bis zum Bestimmungsort.
Die Covid-Krise hat den Welthandel massiv gestört. Transportpreise zwischen China und Europa sind extrem gestiegen – sowohl im See- als auch im Schienenverkehr. Überhaupt einen Container zwischen China und Europa transportieren zu können, ist zurzeit wichtiger als Dienstleistungsqualität oder der Preis. Subventionen sind irrelevant. Mit zunehmender Impfquote und der Ankunft einer Welle neuer Schiffe zur Kapazitätssteigerung bis 2023 werden die Preise jedoch sinken. Die Schiene wird wieder mit dem Seeverkehr zwischen China und Europa konkurrieren. Preis und Servicequalität werden abermals in den Vordergrund rücken – und vielleicht auch die Subventionen.
Schnelles Wachstum in einer Nische
Das Unternehmen UTLC ERA betreibt Containerzüge zwischen China und Europa. Die Eisenbahnen Weißrusslands, Russlands und Kasachstans besitzen davon je ein Drittel. Index 1520.com gibt UTLC-Volumen in 20-Fuß-Einheiten (TEU) detailliert an. Nach eigenen Abgaben hatte UTLC 2020 mit 490.235 TEU einen Marktanteil von 91,3 % im Schienenverkehr zwischen China und Europa. Andere Quellen lassen vermuten, dass der UTLC-Marktanteil geringer ist, aber offen zugängliche, detaillierte Daten sind spärlich.
Der Schienenverkehr von UTLC würde lediglich drei Containerschiffe im Monat füllen. Als Nischenprodukt bietet UTLC jedoch etwas Einzigartiges: einen Transportweg zwischen China und Europa, der günstiger ist als der Luftverkehr und schneller als der Seeverkehr. Trotz der erwähnten Hindernisse ist das Transportvolumen der Firma seit 2017 stetig gestiegen.
Eigentümer von chemischen Produkten scheinen daran zunehmend interessiert zu sein. Der Anteil der TEU, die Chemikalien befördern, steigt seit 2018 und erreichte in der ersten Jahreshälfte 2021 7.801 TEU oder 2,6 % aller Güter.
Keine Gefahrgüter
Mit nur 7.801 TEU in sechs Monaten ist der Chemikalientransport auf der Schiene zwischen China und Europa zugegebenermaßen eine Nische in der Nische. Allerdings: Die chinesische Eisenbahn verbietet derzeit den Transport von Gefahrgütern. Viele Chemikalien, die in Europa mit der Bahn transportiert werden müssen, müssen in China mit dem Lkw befördert werden. Hintergrund der ungünstigeren Risikoanalyse für den Gefahrguttransport auf der Schiene in China ist möglicherweise die größere Ungewissheit über die Folgen eines Unfalls für die Eisenbahnmanager selbst. Gefahrgüter werden schon per Lkw und Schiff von China nach Wladiwostok und von dort mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Europa transportiert. Zu den Lobbyisten, die sich für eine Aufhebung des chinesischen Bahnverbots einsetzen, gehören die immer mächtigeren Hersteller von Autos, die mit Lithiumbatterien betriebenen werden. Und die BASF investiert weiter in ihr chinesisches Produktionsnetz, auch in Chongqing, weit von den Seehäfen entfernt. Gefahrgüter könnten bald auf chinesische Schienen kommen.
Ost-West-Gleichgewicht
Auch in der Covid-Krise lassen sich Züge in Richtung China nur sehr schwer mit Containern füllen, da die Handelsströme in Richtung Europa dominieren. Kunden mit Warenströmen nach Osten können daher vermutlich niedrigere Preise aushandeln. Dies könnte bei Chemikalien zutreffen. Seit 2017 liegt der Anteil aller TEU, die ostwärts fahren, stabil bei etwa 38 % (ausgenommen 2020), während der Anteil mit Chemikalien beladener TEU, die ostwärts fahren, seit 2019 von 21 % auf 45 % gestiegen ist.
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