Optimierung der Ergonomie in der Logistik
BASF Coatings verbessert Arbeitsplätze mit Hilfe von ComputerMyoGraphie und Exoskeletten nachhaltig
Ein Praxisbeispiel bei BASF Coatings zeigt, wie moderne Technologien helfen können, Arbeitsplätze zu analysieren, sie nachhaltig ergonomischer und effizienter zu gestalten und dabei die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden in den Mittelpunkt zu stellen.
BASF Coatings beschäftigt am Standort Münster, dem weltweit größten Produktionsstandort für Automobillacke, etwa 150 Logistikmitarbeitende, davon ca. 60 im Bereich der Fertigwarenlogistik. Diese kommissionieren, verpacken und verladen täglich mehrere hundert Tonnen Fertigwaren. Da nicht alle Tätigkeiten von Maschinen übernommen werden können, müssen insbesondere die kleinteiligen und vielfältigen Produkte per Hand und Muskelkraft verarbeitet werden. Hier kommen täglich mehrere Tonnen pro Mitarbeitendem zusammen. Aufgrund der besonderen Ausbildung und des Know-hows der Spezialisten in der Chemielogistik, des Fachkräftemangels und der Demografie liegt den Verantwortlichen viel an der Gesundheit und dem Wohlbefinden des Einzelnen, an ergonomischen Arbeitsplätzen und an einer möglichst langen Bindung der Kollegen. Bereits 2017 begann man, gezielt die Ergonomie in den Arbeitsbereichen mit Hilfe moderner Technologien zu analysieren und zu verbessern.
Innovative Arbeitsplatzanalyse
Früh kam man mit dem aus der Universität Münster ausgegründeten Start-up Predimo in den Austausch. Das Unternehmen analysierte Bewegungsabläufe im Spitzensport und entwickelte auf Basis der Ergebnisse gezielte Optimierungen dieser, womit höhere Leistungen möglich wurden. Die Idee, dies in die Industrie zu tragen und die „Spitzensportler“ der Industrie, die Logistikmitarbeitenden, und deren Arbeitsplätze sowie Bewegungsabläufe zu analysieren, war geboren. Nachdem anfängliche technische Herausforderungen des Messens von Bewegungen in potenziell explosionsgefährdeten Anlagen überwunden waren, konnten die Analysen mit ComputerMyoGraphie, dem digitalen Messen von Muskelaktivitäten im Fertigwarenlager beginnen. Mitarbeitende erhalten dabei kleine Sensoren, die in der Film- und Videospielbranche genutzt werden, um ihre Bewegungen digital aufzuzeichnen und kurze Sequenzen aufzunehmen. Diese werden in ein speziell entwickeltes Programm übertragen, welches die Bewegungen in Kräfte verrechnet, die auf Gelenke und Muskeln wirken und damit Rückschlüsse auf den Einfluss der Tätigkeiten für den menschlichen Körper ermöglichen. Mittlerweile ist es möglich, jeden Muskel des Körpers abzubilden, den Anteil und die Dauer der operativen Tätigkeiten auf einzelne Körperbereiche darzustellen und die Wirkung dieser im Laufe einer gewissen Zeit herzuleiten. So kann z.B. antizipiert werden, welchen Einfluss eine bestimmte Bewegung, die regelmäßig am Tag in Kombination mit einem bestimmten Gewicht pro Schicht über einen definierten Zeitraum hinweg durchgeführt wird, auf einen bestimmten Bereich des Körpers, z.B. die Bandscheibe, hat und was das für die Gesundheit des Mitarbeitenden, bspw. ein Bandscheibenvorfall, bedeuten kann. Dies ermöglicht es, Arbeitsplätze im Detail zu bewerten, die Belastungen und zeitlichen Anteile dieser auf den Mitarbeitenden darzustellen und mit diesem Wissen Präventionsmaßnahmen sowie sinnvolle Hilfsmittel zur Reduktion des Einflusses vorzuschlagen. Im Bereich der Logistik wurden zahlreiche Arbeitsplätze analysiert und optimiert, teils mit überraschenden Ergebnissen, die klassische ergotherapeutische Methoden sowie die Verantwortlichen der Logistik anders ausgelegt hätten. Nicht selten konnten damit nicht-zielorientierte Investitionen vermieden werden. Zufriedene Mitarbeitende, optimierte Abläufe und unternehmerische Entscheidungen bei Investitionen sind die Folge.
Exoskelette in der Logistik
Bereits einige Zeit früher begann man, sich mit den Einsatzmöglichkeiten von Exoskeletten, am Körper getragene Stützvorrichtungen, die den Mitarbeitenden bei physischen Tätigkeiten unterstützen und entlasten sollen, auseinanderzusetzen. Man begann zunächst Versuche mit einzelnen Geräten, sammelte Feedback der Anwender mit Hilfe von Fragebögen und wertete qualitativ den „Nutzen“ der Geräte aus, ohne das für die lokalen Gegebenheiten, passende Gerät zu finden. Neben den Vorteilen und dem Einfluss der Geräte auf den menschlichen Körper, wozu es bis dato keine validen Langzeitstudien mit Probanden aus der Praxis gibt, stellte sich für die Verantwortlichen immer wieder die Frage nach dem kommerziellen Wert der Geräte – gibt es eine Amortisierung für die Investitionen und ab wann?
„Im Bereich der Logistik wurden zahlreiche Arbeitsplätze analysiert und optimiert.“
Diese und weitere Fragen trieben das Logistikteam 2021 dazu, die ComputerMyoGraphie und deren innovativen Möglichkeiten mit der Exoskelettinitiative zu kombinieren und eine wissenschaftliche Studie zu konzipieren, die seitdem in Zusammenarbeit mit der Universität Münster durchgeführt wird. Ziel ist es, herauszufinden, inwieweit Exoskelette sich positiv auf die Gesundheit der Mitarbeitenden auswirken, Bewegungsabläufe zu visualisieren, Kräfte und Massen zu kalkulieren und zu verstehen, wo Unterschiede im Prozess mit und ohne Exoskelett liegen sowie zu verstehen, ob Exoskelette langfristig bei der Herausforderung Fachkräftemangel unterstützen können. Freiwillige Mitarbeitende der Fertigwarenkommissionierung wählten ihr Exoskelett aus einer Auswahl verschiedener Geräte unterschiedlicher Hersteller aus und wurden regelmäßig mit Hilfe von Sensoren vermessen. Sie trugen die Geräte bei allen Tätigkeiten und wurden an zwei definierten Arbeitsplätzen bei ihren Tätigkeiten mit und ohne Exoskelett erfasst. Hierzu wurden standardisierte Gebinde in einer definierten Reihenfolge genutzt. Die Messungen werden derzeit aufbereitet und analysiert, um daraus Erkenntnisse zu Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Exoskeletten in der Praxis zu erhalten. Die Ergebnisse der Studie werden der Allgemeinheit in Form von wissenschaftlichen Artikeln zugänglich gemacht, um das bestehende Potenzial von Exoskeletten in der Logistik einem breiten Nutzerfeld zugänglich machen zu können.
Fazit
Den Logistikmitarbeitenden soll trotz körperlicher Arbeit, Demografie und Fachkräftemangel ein gesunder, schonender, ergonomischer und nachhaltiger Arbeitsplatz geboten und ihnen dabei Wertschätzung für ihre Arbeit entgegengebracht werden. Dazu wurden zwei Initiativen gestartet.
Mithilfe von ComputerMyoGraphie werden Prozessabläufe, Körperhaltung, Muskelaktivität und Ergonomie digital gemessen, dargestellt und gezielt mit verbessernden Maßnahmen optimiert. Dies sorgt für Transparenz, hilft richtige Investitionsentscheidungen zu treffen, valide ergonomische Lösungen zu finden und bildet die Basis für weitere Behandlungen der Mitarbeitenden, bspw. durch Physiotherapeuten. Zukünftig wird auch die ergonomische Planung neuer Anlagen mit dieser Technik möglich sein. Nach mehreren erfolgreichen Messungen am Standort Münster, die Impulse für optimale Prozessanpassungen ergaben, wird die Vorgehensweise derzeit in der BASF-Gruppe weiter ausgerollt.
Des Weiteren kommen Exoskelette zum Einsatz. In Exoskeletten wird die Möglichkeit gesehen, das Muskel-Skelett-System der Mitarbeitenden zu entlasten und eine ergonomische Körperhaltung bei der Arbeit zu unterstützen. Da es bislang zu den tatsächlichen Einflüssen von Exoskeletten auf den menschlichen Körper kaum empirische Daten, authentische Feldtests oder Langzeitstudien gibt, führt die Logistik von BASF Coatings seit 2021 eine wissenschaftliche Studie durch, die diese Lücke schließen soll. Ziel ist es, Bewegungsabläufe mit und ohne Gerät zu visualisieren, Muster zu potenziell positiven und negativen Auswirkungen der Geräte auf seine Träger über die Zeit zu erkennen sowie Belege für einen positiven Einfluss auf die Mitarbeitenden(-gesundheit) zu ermitteln.
Ausblick
Für die Initiativen erhielt das Team von BASF Coatings 2024 den Responsible-Care-Preis des Verbands der Chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen sowie bundesweit. Diese Anerkennung sowie die generelle Aufmerksamkeit gegenüber dem Thema Exoskelett lassen vermuten, dass die Entwicklung der Geräte noch längst nicht abgeschlossen ist und sich weitere Potenziale, insbesondere für physische Tätigkeiten, bspw. in Logistik oder Produktion, heben lassen. Mit Hilfe moderner Technologien wie dem digitalen Messen der Bewegungen, bspw. mit ComputerMyoGraphie, lassen sich die Potenziale der Geräte valide darstellen und bewerten, zudem hilft die Software, gezielt ergonomische Optimierungen von Prozessabläufen zu erwirken, was in Zeiten von Produktivitätssteigerungsbedarfen, Demografie und Fachkräftemangel ein Gamechanger werden kann.
Autor: Victor Kaupe, Head of Transport Management & Logistics EMEA, BASF Coatings GmbH, Münster
„Zukünftig wird auch die ergonomische Planung neuer Anlagen mit dieser Technik möglich sein.“
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Zur Person
Victor Kaupe leitet das Logistics and Transport Management Europe, Middle East & Africa (EMEA) bei BASF Coatings. Der gelernte Kaufmann für Spedition- und Logistikdienstleistungen und Master of Science in Service Management Logistics verfügt über 20 Jahre Erfahrung in der Logistik, studierte u.a. in Schweden, Finnland und Taiwan und ist seit zehn Jahren bei BASF Coatings beschäftigt. In seiner Zeit als Project Manager, u.a. für digitale Transformation, entwickelte sich sein Interesse an Prozessoptimierung durch Ergonomie und Exoskelette, die er seitdem auch wissenschaftlich untersucht.
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