Flandern unterstützt Start-ups
Junge Innovationstreiber bilden das fehlende Puzzleteil für eine nachhaltige Chemieindustrie
Über die Chancen und Notwendigkeit einer nachhaltigen Wertschöpfung herrscht unter Chemiemanagern wenig Uneinigkeit, sie ist weltweit zu einer zentralen Leitlinie der Branche geworden. Gleiches gilt für aktuelle Verbrauchertrends, bei denen Nachhaltigkeit stets mehr in den Mittelpunkt rückt. Während der exzellente Ruf des Chemiestandorts an der Schelde oft durch große Namen geprägt wird, sind es laut Leentje Croes vor allem junge Innovationstreiber, die das fehlende Puzzleteil zur Steigerung eines nachhaltigen Wertbeitrags in der chemischen Industrie bilden.
Junge Innovationstreiber
Leentje Croes ist Managerin des im Mai eröffneten BlueChem-Inkubators. Es ist der erste Inkubator in Flandern, der sich auf Innovation und Unternehmertum im Bereich nachhaltiger Chemie konzentriert. Laut Croes handelt es sich sogar um eine europäische Premiere. Dort, wo vor mehr als 100 Jahren der Grundstein für den steilen Aufstieg von Antwerpens Petrochemie gelegt wurde, steht nun ein energieeffizientes Gebäude mit 24 Büros, 15 Laboratorien und 20 flexiblen Arbeitsplätzen auf vier Etagen.
In BlueChem haben sich bereits mehrere innovative Start-ups niedergelassen. Zu den Start-ups der ersten Stunden gehören InOpSys, das modulare und mobile Einheiten zur Behandlung von Industrieabwässern baut, und Creaflow, das innovative Reaktoren für die Feinchemie- und Pharmaindustrie entwickelt. Insgesamt sind es nun sieben Start-ups, die die erste Kohorte bilden.
Neben den ersten Start-ups haben sich in den letzten Wochen mit Air Liquide, ExxonMobil und Vopak auch internationale Branchengrößen dem Inkubator angeschlossen. Zuvor hatten sich bereits BASF, Borealis und Ineos in dem Gebäude niedergelassen. Ihre Aufgabe ist es, den Austausch zwischen den Innovatoren und der etablierten Industrie zu gewährleisten, Zugang zu einem grenzüberschreitenden Geschäftsnetzwerk zu bieten und damit die Skalierung auf industrielles Niveau zu beschleunigen. Zudem können im BlueChem-Inkubator spezialisierte Dienstleistungen in den Bereichen Finanzierung, Innovation, Rechtsberatung und Geschäftsentwicklung in Anspruch genommen werden. Auch das Interesse aus dem Ausland wächst: Wer Forschung und Entwicklung unter exzellenten Infrastruktur- und Förderbedingungen betreiben will, kann die Augen vor Antwerpen nicht verschließen. Langfristig wird BlueChem mindestens 20 Unternehmen Platz bieten.
Catalistis Mondflug
Eine enge Zusammenarbeit zwischen Industrie, Regierung und Forschungseinrichtungen ist kennzeichnend für viele Sektoren in Flandern und ein inhärenter Innovationstreiber. Der ZEW-Innovationsindikator 2020 platziert die Region vor Deutschland auf den dritten Platz.
Für die öffentlich-private Partnerschaft BlueChem haben sich der Industrieverband Essenscia, die Stadt Antwerpen, die Regionalentwicklungsgesellschaft Antwerpen sowie das flämische Institut für technologische Forschung VITO als treibende Kräfte zusammengeschlossen. Auch der Spitzencluster der Chemie- und Kunststoffindustrie in Flandern, Catalisti, ist ein wichtiger Projektpartner und hat seinen Hauptsitz aus dem monumentalen Antwerpener Hafenhaus in das neue BlueChem-Gebäude verlagert. Mehr als 100 Unternehmen aus der flämischen Chemie- und Kunststoffindustrie, von großen Multinationals bis lokale KMU, sowie alle fünf Universitäten in Flandern arbeiten bei Catalisti zusammen. Gemeinsam mit seinen Partnern konzentriert sich das Spitzencluster auf offene Innovationsprojekte in vier Innovationsprogrammen: Valorisierung von Nebenströmen, Prozessintensivierung, nachhaltige Produkte und erneuerbare Chemikalien. Die Bewältigung der Klimaherausforderungen und der Verwirklichung einer Kreislaufwirtschaft in der flämischen chemischen Industrie spielen in allen Projekten von Catalisti eine zentrale Rolle.
In diesem Zusammenhang hat die flämische Regierung Catalisti mit der Koordination von Moonshot beauftragt. Dieses langangelegte Forschungsprojekt hat zum Ziel, die industriellen CO2-Emissionen in Flandern bis 2050 durch kohlenstoffsparende Lösungen drastisch zu reduzieren. Um dieses Ziel zu erreichen, stellt Flandern flämischen Universitäten und Forschungseinrichtungen jedes Jahr einen Förderzuschuss von 20 Mio. EUR zur Verfügung. Mit dieser finanziellen Unterstützung betreiben die Wissenszentren industriegetriebene, strategische Grundlagenforschung auf niedrigem Technology Readiness Level (TRL), um disruptive Ideen zu testen, bahnbrechende Technologien auszubauen und neue klimafreundliche Produkte und Prozesse zu entwickeln.
Für den ersten wie auch jeden weiteren Mondflug braucht es laut Catalisti-Geschäftsführer Jan Van Havenbergh Mut, Visionen und Verantwortungsbewusstsein. „Gleiches gilt für den Weg zu einer nachhaltigen und emissionsärmeren Chemieindustrie.“
Der Hafen der Wege
Verantwortung übernimmt auch der Antwerpener Hafen mit einer Vielzahl von Pilotprojekten und Maßnahmen. Unter dem Vorsitz von Wouter De Geest, ehemaliger CEO der BASF Antwerpen, haben sich kürzlich acht führende Chemie- und Energieunternehmen in dem Konsortium Antwerp@C zusammengeschlossen. BASF, Borealis, Air Liquide, ExxonMobil, Ineos, Total, Fluxys und die Hafenbehörde Port of Antwerp untersuchen gemeinsam die Machbarkeit einer Carbon Capture, Utilisation & Storage (CCUS) Infrastruktur zur Senkung der Emissionen und Verwendung von CO2 als Rohstoff. Ob in einem Inkubator, zwischen kleinen Innovationstreibern oder namhaften Branchengrößen, auf lokaler oder grenzüberschreitender Ebene – die Zusammenarbeit im Chemiecluster Antwerpen ist einmalig in Europa. Und unerlässlich auf dem Weg zur klimaneutralen Chemieindustrie bis 2050.