Standorte & Services

Wettbewerbsfähigkeit der Chemie in Gefahr

Engagement für Klimaschutz trotz Energiepreisentwicklung – Infraserv Höchst: Politik ist gefordert

14.09.2022 - In Frankfurt ist der Spagat zwischen dem Streben nach Nachhaltigkeit und Aufrechterhaltung des Standortbetriebs unter den aktuellen Gegebenheiten ein wichtiges Thema.

Versorgungsunsicherheit, Preisexplosion – die aktuelle Situation auf dem Energiesektor stellt energieintensive Branchen wie die Chemieindustrie vor außergewöhnliche Herausforderungen. Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen und Standorte ist massiv bedroht, wenn die Unterschiede bei den Rahmenbedingungen für produzierende Unternehmen in den verschiedenen Regionen der Welt noch größer werden. Gleichzeitig müssen Industrie und Politik gemeinsam große Anstrengungen unternehmen, um die ambitionierten Klimaschutzziele zu erreichen und CO2-Emissionen zu reduzieren.

„In erster Linie ist der Ukraine-Krieg eine humanitäre Katastrophe“, konstatiert Joachim Kreysing. Der Geschäftsführer von Infraserv Höchst hat sich selbst für ein Hilfsprojekt des Unternehmens engagiert, das eine Hotelunterkunft für Kriegsflüchtlinge angemietet hatte. Die Geflüchteten wurden mit verschiedenen Aktionen und dank großer Hilfsbereitschaft durch die Belegschaft bestmöglich unterstützt. Natürlich beschäftigt sich Kreysing aber in erster Linie mit den ökonomischen Auswirkungen des Krieges. Denn die u.a. auch für die Energieversorgung des Indus­trieparks Höchst verantwortliche Betreibergesellschaft bereitet sich seit Monaten auf den Fall vor, dass es zu Engpässen bei der Gasversorgung kommen kann.

Investition in Heizkraftwerk

Infraserv Höchst hat frühzeitig damit begonnen, die Möglichkeiten der Wiederinbetriebnahme des mit Kohle betriebenen Heizkraftwerks zu prüfen, das bis Ende 2020 den größten Teil des für die rund 120 Produktionsanlagen am Standort benötigten Prozessdampfs erzeugt hat. Um klimaschädliche CO2-Emissionen zu reduzieren, hatte der Dienstleister Ende 2020 den Kohleausstieg im Industriepark realisiert und die Energieversorgung der Unternehmen am Standort auf Erdgas umgestellt. Aktuell werden die technischen und genehmigungsrechtlichen Grundlagen dafür geschaffen, das Heizkraftwerk ab den Wintermonaten mit leichtem Heizöl zu betreiben, falls die Gasversorgung nicht im bisherigen Umfang aufrechterhalten werden kann. „Wir investieren gerade einen Millionenbetrag in den Umbau des Heizkraftwerks sowie die erforderliche Infrastruktur“, erklärt der Geschäftsführer.

Zum jetzigen Zeitpunkt hätten Einschränkungen bei der Gasversorgung gravierende Auswirkungen auf die mehr als 90 Standortfirmen, die rund 22.000 Mitarbeitenden beschäftigen. Ohne Erdgas kann der Bedarf der produzierenden Unternehmen an Prozessdampf aktuell nicht gedeckt werden. Der Standortmanager setzt zwar schon seit Jahren auch auf andere Energieträger: So werden Ersatzbrennstoffe für die Energieerzeugung genutzt, also heizwertreiche Bestandteile von Siedlungs- und Gewerbeabfällen. Das Serviceunternehmen betreibt eine der größten Biogasanlagen Deutschlands und speist die Abwärme aus Produktions- und Verbrennungsanlagen in die Versorgungsnetze des Industrieparks ein. Aber dennoch wird der Energiebedarf des Standorts zum überwiegenden Großteil durch die Nutzung von Erdgas gedeckt.

Auch den Möglichkeiten der Energieeinsparung sind sehr enge Grenzen gesetzt. „Energieeffizienz und die kontinuierliche Optimierung der Erzeugungs- und Versorgungsprozesse gehören natürlich auch bei uns zum Tagesgeschäft“, antwortet Kreysing auf die Appelle, auch aus der Politik, die Industrie möge angesichts der Versorgungsproblematik den Verbrauch reduzieren. Zuletzt mussten Branchenvertreter immer wieder erläutern, dass die Chemieindustrie als energieintensive Branche seit jeher allein aufgrund des hohen Anteils der Energiekosten an den Gesamtproduktionskosten ein großes wirtschaftliches Interesse daran hat, Energie zu sparen und somit durch möglichst niedrige Produktionskosten die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.

Einsparungen ausgeschöpft

Der hocheffiziente Betrieb von Energieerzeugungsanlagen in Kraft-Wärme-Kopplung, die Nutzung der Abwärme aus Produktions- und Verbrennungsanlagen und die permanente Umsetzung von technischen Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz sind im IP Höchst und an anderen Chemiestandorten selbstverständlich. Es gibt somit schlichtweg keine signifikanten Einsparmöglichkeiten im Energiebereich, die nicht zwangsläufig Produktionsstillegungen zur Folge haben würden. Erklärungsbedürftig sind für Branchenfremde zudem die Zusammenhänge an großen Produktionsstandorten. So ist auch Höchst ein Verbundstandort, an dem die verschiedenen Unternehmen in Bezug auf Produkte und Rohstoffe in Abhängigkeit von- und zueinander stehen. Daher ist es auch nicht möglich, nur noch einzelne, für die Versorgung der Bevölkerung besonders wichtige Betriebe mit Energie zu beliefern.

Neben der Versorgungssicherheit wird die gegenwärtige Preisentwicklung zu einem existenziellen Pro­blem für die Branche. Erdgas ist in Deutschland ohnehin schon deutlich teurer als in anderen Regionen der Welt, die drastischen Preissteigerungen für Gas, Strom und andere Energieträger verschärfen dieses Ungleichgewicht weiter. Da sind zusätzliche Belastungen wie die Gas­umlage, die für die Chemieindustrie mit Mehrkosten in Höhe von etwa 3 Mrd. EUR jährlich verbunden ist, kaum verkraftbar.

Unternehmen und Standorte brauchen spürbare Entlastungen, bspw. bei den CO2-Preisen, bei der Stromsteuer oder in Zusammenhang mit dem Energiekostendämpfungsprogramm. „Bislang konnten wir uns im globalen Wettbewerb behaupten, weil wir ebenso wie andere deutsche Standorte hocheffiziente Strukturen im Energiebereich in Zusammenhang mit technisch anspruchsvollen Infrastrukturen und hochqualifiziertem Personal bieten können“, erklärt Kreysing. „Doch wenn die Schere bei den Energiekosten zwischen Deutschland und anderen Regionen weiter auseinandergeht, werden Abwanderungen von Produktionskapazitäten die Folge sein.“

Joachim Kreysing, Geschäftsführer, Infraserv Höchst © Infarserv Höchst
Joachim Kreysing, Geschäftsführer,
Infraserv Höchst © Infraserv Höchst

„In der Energiekrise brauchen wir internationale Kooperationen."

 

Internationale Kooperationen

Bei den Themen „Klimaneutralität“ und „Dekarbonisierung“ ist es aus Sicht von Geschäftsführer Kreysing unentbehrlich, neben ökologischen auch ökonomische und soziale Aspekte zu berücksichtigen. Die Chemie­industrie bekennt sich klar zu den Klimaschutzzielen. „Es stellt sich daher nicht die Frage, ob wir klimaneutral werden wollen, sondern nur, wie wir dieses Ziel erreichen wollen“, stellt der Standortmanager fest. Da die Branche seit jeher Zukunftstechnologien weiterentwickelt und Innovationen vorantreibt, komme der Chemie bei der Suche nach Lösungen für die Energie- und Mobilitätswende eine besondere Rolle zu.

Wichtig sei, alle Ansätze auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bewerten und die technische Umsetzung durch die entsprechenden politisch-regulatorischen Rahmenbedingungen zu fördern. „Wir brauchen vor allem internationale Kooperationen“, betont Kreysing. „Wenn es beispielsweise um die Wasserstoffstrategie geht, müssen wir mindestens in europäischen Dimensionen denken und dürfen nicht an der Wunschvorstellung festhalten, dass zukunftsfähige Lösungen auf nationaler Ebene umgesetzt werden können und Deutschland bei der Energieversorgung autark wird.“

Der Geschäftsführer sieht Wirtschaft und Politik gleichermaßen gefordert: Beim Ausbau der Infrastruktur, bspw. von Wasserstoff-Pipe­lines, aber vor allem bei den regulatorischen Rahmenbedingungen, die erhebliche Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit von einzelnen Unternehmen und ganzen Branchen haben. Der Anteil der erneuerbaren Energien kann nur signifikant steigen, wenn Genehmigungsverfahren für Nord-Süd-Trassen deutlich beschleunigt werden. „Da braucht es in der Politik den Mut, auch unbequeme Wahrheiten anzusprechen und deutlich zu sagen, dass wir uns als Staat und Gesellschaft im Kampf gegen den Klimawandel für einen Weg entscheiden müssen. Den muss man dann auch konsequent beschreiten, auch gegen Widerstände.“

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