Forschung & Innovation

Vorfahrt für die Kreislaufwirtschaft

Ein Systemwandel in der Kunststoffindustrie ist möglich, die benötigten Technologien existieren bereits

19.04.2023 - Vorfahrt für zirkuläre Technologien: In den kommenden zwei Jahrzehnten muss es die Kunststoffindustrie schaffen, ihr Produktionssystem in die planetaren Grenzen zu führen. Der CO2-Fußabdruck spielt dabei eine große Rolle.

Kunststoffe sind leicht, belastbar, formbar und vielseitig einsetzbar. Sie ermöglichen innovatives Produktedesign, hohe Funktionalität und oft auch ein attraktives Preis-Leistungsverhältnis. Daran ändert sich nichts. Alles andere ändert sich. Denn die Kehrseiten kennen wir alle. Kunststoffe, häufig in kurzlebigen Produkten genutzt, landen oft in der Umwelt. Sie belasten Gewässer, Böden, unsere gesamte Biosphäre. 

Auch die Rohstoffbasis, Erdöl (Naph­tha) oder Erdgas, fordert ihren Tribut. Während wir durch die Anwendung von Kunststoffen in Produkten in vielen Fällen CO2 einsparen, Recycling ermöglichen und den Klimaschutz fördernde Innovationen befähigen, ist deren Fußabdruck heute noch gewaltig. 

Unsere Herausforderung

In den kommenden zwei Jahrzehnten müssen wir es schaffen, unser Produktionssystem in die planetaren Grenzen zu führen. Der CO2 -Fußabdruck spielt dabei eine große Rolle. Aber auch weitere Indikatoren wie die Auswirkungen der Nutzung von Wasser- und Landressourcen auf die Biodiversität und ganze Ökosysteme sind ebenfalls wichtig. Kann das gelingen? Ja! Ein Systemwandel ist möglich. 

Durch die Nutzung alternativer Kohlenstoffquellen, bspw. CO2 aus Industrieabgasen- und Verbrennungsprozessen oder der Atmosphäre, zusätzlich aus Biomasse, durch Innovationen im zirkulären Produktdesign, die kluge Kombination verschiedener Recyclingtechnologien. Letztere müssten dafür laut einer neuen Studie von Forschern der ETH Zürich, RWTH Aachen und der University of California, Santa Barbara, mindestens 74 % der Kunststoffabfälle recyclen. Der darüber hinaus benötigte Kohlenstoff zur Herstellung von Kunststoffen muss aus alternativen, nicht-fossilen Quellen kommen (Biomasse, CCU). Die dafür benötigten Technologien existieren bereits.

„Unsere Herausforderung: In den kommenden zwei Jahrzehnten müssen wir es schaffen, unser Produktionssystem in die planetaren Grenzen zu führen.“


Unsere Chance

Was ändert sich? Wann ändert es sich? Das sind die Fragen, die die Plastikkritiker auf den Plan rufen. Oftmals zu Recht. Unsere Herausforderungen sind lange bekannt. Die Lösungen hingegen sehr oft nicht. Die Versprechen sind alt, die Lösungen funktionieren nicht – so der Vorwurf. Entscheidend sind aus unserer Sicht die Innovationen, die derzeit auf allen Ebenen des Wertschöpfungskreislaufs stattfinden. Zeitgleich erfolgen wichtige technologische Fortschritte bei der Herstellung von Kunststoffen, etwa durch die Nutzung alternativer Kohlenstoffquellen, bei der Verarbeitung, bspw. durch neue hybride und digitalisierte Maschinen, beim Produktdesign, durch smarte Konzeptionen, die mit weniger Materialmischungen und besser zu recycelnden Konstruktionen auskommen. Bei den Recyclingtechnologien gelingen große Fortschritte. Mechanische Verfahren werden noch effizienter, effektiver und anspruchsvoller. Chemische Verfahren schaffen endlich hohe Ausbeuten bei komplexeren Abfallfraktionen und degradierten Polymerstrukturen, die bislang verbrannt werden müssen. 

Diese Fortschritte gelingen zeitgleich und ermöglichen ein deutlich stärkeres Wachstum an zirkulären Kunststoffen – vor allem bezüglich der 14 Massenkunststoffe. Das ermöglicht einen entscheidenden Schritt in Richtung zirkulärer Geschäftsmodelle. Denn die günstigste 
Kohlenstoffquelle, das beste Recycling und das klügste Produktdesign nutzen wenig, wenn wir Produkte am Ende ihrer Nutzung falsch entsorgen, sei es durch Fehlverhalten oder durch unzulängliche Sammel- und Sortiersysteme. Der steigende Preis der Wertstoffe ermöglich dringend benötigte Investitionen.

Es ist die Wirtschaft ...

Alle genannten Elemente ermöglichen zirkuläre Geschäftsmodelle. Auf die kommt es an. Hier gibt es im Bausektor prominente Beispiele, aber die Fortschritte dringen nun auch in den Konsumbereich vor. Mit dem „Cyclon“ hat die Schweizer Marke On gemeinsam mit Lanzatech und Borealis gerade Laufschuhe auf den Markt gebracht, deren Material, allesamt Kunststoffe, komplett auf alternativen Kohlenstoffquellen basiert.

Ein entscheidender Faktor ist nicht nur, dass der Kohlenstoff durch Recycling wiedergewonnen werden kann, sondern dass man den Schuh nur nutzen, aber nicht kaufen kann. Ein Abonnement erlaubt uns Läufern die Nutzung und den Herstellern die Wiedergewinnung. Hier sind Versand, Abholung und Wiederverwertung der Ressourcen komplett eingepreist – die ökologischen Kosten nicht externalisiert. Derzeit werden zirkuläre Verpackungen angeboten, zirkuläre Smartphones und Tablets, Textilien, Fensterrahmen, Fahrradkomponenten, und das Wetteifern um das erste zirkuläre Serienelek­troauto ist im vollen Gange. 

Warum die Politik jetzt handeln muss

Wenn es möglich ist, warum ist es kein Standard? Wenn es so geht, warum geht es immer noch anders? Die hier beschriebene Transformation hat begonnen. Sie hatte einen Anfang, aber sie hat kein Ende. Derzeit werden weltweit ca. 6 % Rezyklate in Kunststoffen eingesetzt. In Europa sind es etwa 10 %. Zarte Anfänge, keine Frage. In den kommenden sechs bis sieben Jahren wird sich zeigen, ob das Vorhaben gelingt, ob wir 2040 oder 2045 komplett zirkulär sein können. Hier wird sich auch zeigen, ob sich die Vorreiterrolle, die Deutschland innehaben kann, durchsetzt. 

„Die günstigste Kohlenstoffquelle, das beste Recycling und das klügste Produktdesign nutzen wenig, wenn wir Produkte am Ende ihrer Nutzung falsch entsorgen.“


Ein Großteil der Innovationen, die eine Kreislaufwirtschaft mit Kunststoffen ermöglicht, kommt aus deutschen Universitäten, Instituten, Unternehmen und Konzernen. Unsere Chemieindustrie, die Kunststoffbranchen, OEMs, die Entsorgung und Kreislaufwirtschaftsunternehmen sind technologisch weltweit führend. Dennoch finden derzeit große Investitionen und damit auch deutliche Fortschritte anderswo statt. In benachbarten Benelux-Staaten, in den USA, in Asien. Die Gründe dafür sind zahlreich. Strompreise, Verfügbarkeit von erneuerbarem Strom, Planungs- und Genehmigungsprozesse, die bürokratisch, analog, und im Vergleich zu anderen Staaten unglaublich komplex, ineffizient und langsam sind. Das Gleiche gilt für das Fördersystem, mit dem man Anreize nicht nur in der Forschungs-, sondern auch in der Industriepolitik setzen könnte. Auch als Signal an Investoren, Investitionen in einem Land mit ohnehin hohen Lohnkosten zu tätigen.

Unsere Infrastruktur hinkt hinterher. Auch das ist für eine Kreislaufwirtschaft wichtig, denn sie erfordert eine hohe Mobilität der Ressourcen. Dafür braucht es belastbare Straßen, Gleise und Wasserwege, aber eben auch leistungsfähige Strom- und lückenlose Breitbandnetze. Nicht zuletzt müssen der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft nie gekannte Fortschritte machen. Das Gute daran ist: Alles, woran es hakt, ist menschengemacht. Damit kann es auch durch Menschen gelöst werden. Hier kommt das Zauberwort ins Spiel: NKWS. Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie.

Vorfahrt für die Kreislaufwirtschaft

Die Europäische Kommission hat ihren Circular Economy Action Plan, die Bundesregierung ihre Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie. Sie ist im Koalitionsvertrag angekündigt und wird nun in den kommenden Monaten entwickelt. Für uns sind das entscheidende Vorhaben, von denen die Zukunft unserer Industrie in Deutschland und Europa maßgeblich mitgeprägt werden. Dafür muss die Diskussion um Kreislaufwirtschaft in Deutschland intensiv und ganzheitlich sein. Es geht um mehr als Abfälle, um mehr als Recycling. Es geht um die Defossilierung ganzer Sektoren. Hier müssen Wirtschafts-, Industrie- und Klimaschutzpolitik zielorientiert eng miteinander agieren. Ein wünschenswertes Resultat ist der Grundgedanke der Vorfahrt für zirkuläre Technologien. Ähnlich wie es beim Ausbau der erneuerbaren Energien gefordert wird.

Die Themenblöcke allein für Kunststoffe sind groß: Anreize für zirkuläres Produktdesign, Offenheit für alle Technologien, die Kapazität und Ausbeute beim Recycling ökologisch und ökonomisch sinnhaft steigern, die Kombination von CCU und Abfallverbrennung, ein deutlicher Ausbau von innovativen Sammel- und Sortiersystemen für ein verbessertes Abfallmanagement, die Etablierung von digitalen Markplätzen für Rezyklate, eine umfassende Elektrifizierung von Produktionsprozessen mit grünem Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen, eine deutliche Entbürokratisierung und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren sowie die Förderung von Reallaboren  – die oftmals in Industriebetriebe überführt werden können. Es gibt eine ganze Reihe von Stellschrauben, die nun mit entsprechend Drehmoment gestellt werden können und damit ein nationales Vorhaben, eine klimaneutrale Kreislaufwirtschaft, deutlich nach vorne bringen können. Dafür sind ganzheitlichen Ansätze wichtig, die das Ziel im Blick behalten und alte Grenzen überwinden. 

Ingemar Bühler, Hauptgeschäftsführer, PlasticsEurope Deutschland e. V., Frankfurt am Main und

Alexander Kronimus, Leiter ­Geschäftsbereich Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft, 
Plastics­Europe Deutschland e. V., Frankfurt am Main

Zur Person
Ingemar Bühler (41) studierte Internationale Politikwissenschaften an der Universität Erlangen und der London School of Economics und erwarb ein Global-Business-Diplom an der University of Oxford. 2009 trat Bühler bei Bayer ein, wo er bis Ende 2020 in verschiedenen Rollen tätig war, u.a. als Vorstandsreferent. 2019 übernahm er die Leitung der Abteilung Public ­Affairs & Sustainability in Deutschland mit zusätzlicher Verantwortung in der EU. Seit 1. Januar 2021 ist Bühler Haupt­geschäftsführer von PlasticsEurope Deutschland und Regional Director Central Europe von Plastics­Europe.

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Zur Person
Alexander Kronimus (46) leitet seit dem 1. März 2022 den Geschäftsbereich Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft beim Kunststofferzeugerverband Plastics Europe Deutschland. Der promovierte Geologe mit Schwerpunkt in Umweltwissenschaften verfügt über langjährige Erfahrung im Verband der Chemischen Industrie (VCI) als Referent für Energiewirtschaft. Zuvor hatte er eine mehr­jährige, international ausgerichtete ­Forschungs- und Projektmanagementposition beim niederländischen Wissenschaftsdienstleister TNO inne und war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der RWTH Aachen.

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