Forschung & Innovation

Reduce, Reuse, Recycle – Rethink!

Kunststoffindustrie reagiert auf den Weckruf für den Perspektivenwechsel

05.05.2021 - Die Kunststoffindustrie steht am Anfang eines Paradigmenwechsels. In diesem Wandel bekennt sie sich nicht nur zu Nachhaltigkeitszielen, sondern versteht sich darüber hinaus als Treiber des Systemwandels hin zu einer nachhaltigen ...

Die Kunststoffindustrie steht am Anfang eines Paradigmenwechsels. In diesem Wandel bekennt sie sich nicht nur zu Nachhaltigkeitszielen, sondern versteht sich darüber hinaus als Treiber des Systemwandels hin zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. Die Art und Weise wie wir Kunststoffe entwickeln, herstellen, nutzen – und wiederverwerten – ändert sich gerade signifikant. Dabei spielen drei „R“s schon länger eine entscheidende Rolle: Reduce, Reuse, Recycle.

Einem Paradigmenwechsel geht oftmals ein Perspektivenwechsel voraus. Das ist auch hier der Fall. Der Blick der Kunststoffhersteller hat sich verändert, oder vielmehr: erweitert. Warum ist das so? Der erste Grund für den Perspektivenwechsel ist der Drang nach Innovation. Wir haben in Deutschland eine sehr dynamische Community von Unternehmen, die Kunststoffe entwickeln und herstellen. Dazu gehören DAX- und MDAX-Konzerne, viele Mittelständler, Familienunternehmen unterschiedlichster Größenordnung und auch Spin-offs. Gemeinsam treibt sie das Ziel an, nachhaltige, leistungsfähige und funktionsfähige Werkstoffe auf Kunststoffbasis zu entwickeln. Der damit verbundene Wettbewerb und Innovationsdrang sind aber nur eine Seite der Medaille. 

Der zweite Grund für den Perspektivenwechsel ist der Weckruf! Der Weckruf, der uns seit einem guten Jahrzehnt aus der Gesellschaft, aus den Medien, von NGOs und der Politik erreicht. Wir haben ein Plastikproblem – das ist jedem Menschen klar. Kunststoffe landen viel zu oft und in viel zu großen Mengen dort, wo sie nicht hingehören: auf Deponien, in der Umwelt, im Meer. Das ist nicht akzeptabel und muss enden!

„Kunststoff ist als Werkstoff und als Wertstoff viel zu schade zum Wegwerfen.“

Von Einwegplastik zu Wert-Kunststoffen

Das Umweltproblem ist vielseitig, aber es gilt insbesondere für Einwegprodukte, die einem zunehmenden gesellschaftlichen und politischen Druck ausgesetzt sind. Dabei steht zu Recht die Frage im Raum: Wie kann es sein, angesichts dieser Feststellung, dass wir uns als Treiber des Wandels zur Nachhaltigkeit verstehen? Schon heute leistet die kunststofferzeugende Industrie einen aktiven Beitrag zum Systemwandel hin zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. Hochwertige, funktionale, wiederverwertbare Kunststoffe spielen eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitswende. Sie sind wichtiger Produktionsbestandteil von Innovationen für die Klimawende: von der Windenergie über die Elektromobilität, den Transport und das energieeffiziente Bauen bis hin zu nachhaltigen Konsumgütern. 

Als Bestandteil dieser Innovationen sind „Wert“-Kunststoffe, wie wir sie nennen, für eine lange Lebensdauer konzipiert. Mit ihren leichten und flexiblen Wertkunststoffen ermöglichen Kunststofferzeuger es vielen anderen Industrien, den Ressourcenverbrauch zu reduzieren und ihren CO2 -Ausstoß zu senken. Und diese Wertkunststoff-Industrie entwickelt ihre Herstellungsprozesse stetig weiter, um den Verbrauch von Rohstoffen und Ressourcen zu verringern und nachhaltige Produktdesigns voranzubringen.

Abfallvermeidung, Recycling und nachhaltige Produktion

Ich bin fest überzeugt: Ein funktionierendes Kreislaufsystem kann gelingen. Drei Dinge müssen wir dazu voranbringen: Die Abfallvermeidung, innovative Recyclingtechnologien und die nachhaltige Produktion langlebiger Werkstoffe. Eine signifikante Reduzierung von Abfällen ist Grundelement eines funktionierenden Kreislaufsystems. Um einen echten Wandel zu erzielen, müssen wir Einwegplastik ebenso wie kurzlebige Kunststoffprodukte aus unserem Alltag so gut es geht verdrängen – zumindest überall dort, wo es geeignetere Alternativen gibt und dieser Schritt möglich ist. Natürlich verlieren Einwegkunststoffe vorerst nicht ihre Bedeutung: Im Medizinbereich, in Kliniken sowie in einigen Hygiene- und Lebensmittelbereichen wird es nach heutigem Stand nicht gänzlich ohne Einwegprodukte gehen. Gleichzeitig müssen wir uns den Bereichen zuwenden, in denen hochwertige Kunststoffe eine wichtige Rolle spielen, um das Klima und unsere Umwelt zu schützen, und die Anwendungen darauf fokussieren. 

Ein innovatives Recyclingsystem ist essenzieller Bestandteil einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft. Unser Kreislaufsystem kann nur funktionieren, wenn wir neben der Vermeidung von Abfall und der nachhaltigen Produktion die höchstmögliche Wiederverwertungsquote für Wertkunststoffe schaffen. Dazu benötigen wir neue, innovative Recyclingmethoden. Beim mechanischen Recycling setzten hier jüngst die Unternehmen Borealis und Tomra in Rheinland-Pfalz mit einer hochmodernen Pilotanlage Maßstäbe: Dort werden Rezyklate mit hohem Reinheitsgrad und hoher Beständigkeit, geringem Geruch und nur leichten Farbabweichungen produziert. Die dabei gewonnene Rezyklatqualität genügt auch anspruchsvollen Anwendungen wie hochwertigen Konsumgütern.

„Um einen echten Wandel zu erzielen, müssen wir Einwegplastik und
Einwegprodukte so gut es geht aus unserem Alltag verdrängen.“

Die Technologien für das mechanische Recycling sind wichtig und weit fortgeschritten, aber wir brauchen mehr: Etwa das ReOil Innovationsprojekt von OMV/Borealis, eine Pilotanlage für das chemische Recycling in Schwechat. Hier werden Kunststoffe und Verbundstoffe recycelt, die sonst nicht wiederverwertet werden können. Mit einer solchen Anlage können bereits heute Verbundwerkstoffe in ihre Bestandteile aufgespalten werden. Aus dem Kunststoff wird wieder synthetisches Öl, aus dem wiederum Kunststoffe oder auch andere wichtige chemische Produkte erzeugt werden können. Diese Art der Wiederverwertung spielt eine entscheidende Rolle, wenn wir die Produktion vom Verbrauch fossiler Ressourcen entkoppeln wollen. So können auch Produkte recycelt werden, die aus verschiedenen Kunststoffkomponenten hergestellt sind. Das ist ganz entscheidend bei Verbundstoffen, die etwa in Windrädern, Elektroautos und Smart Devices zum Einsatz kommen.

Zum dritten Punkt, der nachhaltigen Produktion langlebiger Werkstoffe. In der Vergangenheit standen bei der Entwicklung von Kunststoffen oftmals die direkten Verarbeitungseigenschaften und Produktbedürfnisse im Mittelpunkt. Inzwischen spielen die Rohstoffbasis und die Wiederverarbeitung eine ebenso wichtige Rolle, es gilt nun das Primat des Design-for-Sustainability. Und bereits heute ist es möglich, das klimaschädliche Treibhausgas CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen, es als Rohstoff für die Kunststoffproduktion zu nutzen und somit zum Umwelt- und Klimaschutz beizutragen.

Ein prominentes Beispiel, wie innovative Technologien es ermöglichen eine breitere Rohstoffbasis zu nutzen, kommt von Covestro. In einem Chemiepark am Rhein steht die „Dream Production“, ein Betrieb, der CO2 anstelle von Erdöl als Ressource nutzt. CO2 wird im industriellen Maßstab für die Herstellung von Kunststoffen genutzt, die für Sportböden, für Laufschuhe, im Automobil oder in Matratzen eingesetzt werden.

Die Philosophie von Reduce, Reuse, Recycle ist bei unseren Kunststoffherstellern angekommen. Kunststoff ist als Werkstoff und als Wertstoff viel zu wertvoll und zu schade zum Wegwerfen. Demzufolge ist die Kunststoffindustrie gefordert, immer auch den ganzen Lebensweg mitzudenken. Dazu zählt, auf eine breitere Rohstoffbasis zu setzen, die dafür sorgt, dass Kunststoff-Anwendungen weniger auf primären fossilen Rohstoffen basieren, ebenso wie ein nachhaltiges Produktdesign zu etablieren, das späteres Recycling erleichtert, und zudem innovative Recyclingtechnologien sowohl im werkstofflichen als auch im molekularen Bereich zu nutzen.

„Die drängendsten Fragen der Menschheit sind nur mit Innovation zu lösen –
nicht ohne sie und schon gar nicht gegen sie.“

Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette

Die hier genannten Beispiele sind das Ergebnis von lösungsorientierten Kollaborationen zwischen Partnern aus der Wirtschaft und aus der Forschung. Sie zeigen, dass nur eine Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette die nötigen Fortschritte erbringt und dass dazu neue Wege begangen und alte Gräben geschlossen werden müssen – zwischen Herstellern, Verarbeitern, Designern, aber auch den Recyclern, die sich hier gegenseitig ergänzen.

Allerdings sind die neuen Prozesse und Herstellungsverfahren kosten- und energieintensiv, sie hängen – wie die gesamte chemische Industrie – von einer gewaltigen Menge bezahlbarer nachhaltiger Energie ab. Und als wäre das nicht schon Herausforderung genug, hängen sie auch von der gesellschaftlichen Innovations- und Technologieoffenheit ab. Um die Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen, um die drängenden Fragen des Klima- und Umweltschutzes zu lösen, braucht es daher auch ein politisches und gesellschaftliches Klima, das Innovationen begrüßt und fördert.

Die Wertkunststoffe, so wie wir sie heute kennen, die Innovationen, die ich vorgestellt habe, wurden in Deutschland erfunden. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt von dem, was derzeit alles zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen passiert. Das Beispiel des Carbon-Smartphone von Lanxess zeigt, dass hierzulande nach wie vor hochinnovative Fortschritte bei Hightech-Geräten entwickelt werden können.

Damit aber nicht nur die Erfindung, sondern auch die Vermarktung, die Skalierung und der Export von Deutschland und Europa aus stattfinden und Wertschöpfung ermöglicht werden kann, braucht es den Rückhalt aus der Politik. Ansonsten verpassen wir in Zeiten radikal verkürzter Innovationszyklen den Anschluss an den Rest der Welt – und werden ihn auch nicht wiederherstellen können. Es braucht ein klares gesellschaftliches Verständnis dafür, dass die drängendsten Fragen der Menschheit nur mit Innovation zu lösen sind – nicht ohne sie und schon gar nicht gegen sie.

Treiber von Innovation und Transformation

Die Kunststoffindustrie ist schon heute Treiber der Nachhaltigkeit und Speerspitze des Fortschritts bei technologischen Neuentwicklungen. Wir haben jetzt die Chance, weltweiter Vorreiter für ein effizienteres, ressourcenschonendes Wirtschaften zu werden, ermöglicht durch Wertkunststoffe, durch innovative Produktions- und Recyclingprozesse. Diese können wir skalieren und exportieren und damit die Transformation zur Kreislaufwirtschaft aus diesem Land und von diesem Kontinent maßgeblich mitgestalten. Setzen wir an die drei „R“s ein weiteres „R“, das für uns immer und überall gilt: Rethink!

 

Der Autor

Ingemar Bühler (40) studierte Internationale Politikwissenschaften an der Universität Erlangen und erwarb ein Global-Business-Diplom an der University of Oxford und der London School of Economics. 2009 trat Bühler bei Bayer ein, wo er bis Ende 2020 in unterschiedlichen Rollen tätig war, u.a. als Leiter des Teams Internationale Politik und der Strategie-, Vorstands- und Finanzmarktkommunikation sowie als Vorstandsreferent und Stabsleiter im Bereich Public Affairs für die politische Interessensvertretung und den gesellschaftlichen Dialog. 2019 übernahm er die Leitung der Abteilung Public Affairs & Sustainability in Deutschland, mit zusätzlicher Verantwortung in der EU. Seit 1. Januar 2021 ist Bühler Hauptgeschäftsführer von PlasticsEurope Deutschland und Regional Director Central Europe von PlasticsEurope.

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