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Transformation zu zukunftsfähigen Chemiewerkstoffen

Veranstaltung zur Kreislaufwirtschaft der Vereinigung für Chemie und Wirtschaft (VCW)

08.07.2024 - Auf einer Veranstaltung zur Kreislaufwirtschaft der Vereinigung für Chemie und Wirtschaft (VCW) im Rahmen der Achema 2024 wurden Strategien für eine zukunftsfähige grüne Chemiewirtschaft diskutiert.

Klimaneutralität ist das Gebot der Zeit. Die diesjährige Achema stellte die zentrale Rolle von Wasserstoff in ihrer Sonderschau heraus und zeigte, wie die Chemie elektrisch wird – unter Nutzung von Abfällen als Rohstoff.

Die VCW-Tagung während der Achema Mitte Juni brachte Beteiligte aus Industrie, Forschung, Start-ups und Politik zusammen, um Lösungen für das chemische Recycling und die Bioökonomie zu präsentieren und die Rahmenbedingungen für die ressourcen- und klimafreundliche Transformation der Chemie zu diskutieren.

Biotechnologie und Bioökonomie als Teil einer zukünftigen Kreislaufwirtschaft

Bernhard von Vacano, BASF, verglich die Kreisläufe der Technosphäre und der Biosphäre. Während die Technosphäre Energieeffizienz anstrebt, ist die Biosphäre ein Meister im Recycling – die energetischen Wirkungsgrade sind jedoch gering. Bei der Entnahme biogener Rohstoffe kann die Menschheit schon sehr bald an die planetaren Grenzen stoßen– zumal diese Rohstoffe einen vergleichsweise geringen Kohlenstoffgehalt aufweisen. Dieser muss durch Entwässerung und Hydrierung auf die Erwartungen der Chemieproduktion reduziert werden. Im Falle der Herstellung von polymeren Materialien ist dazu im Vergleich zur fossilen Route das Vierfache an Energie nötig – aber weniger als die Hälfte im Vergleich zu einer chemischen Nutzung von CO2 (CCU). Letztlich wird eine zukunftsfähige Chemie wegen der planetaren Grenzen und des hohen Energiebedarfs nicht nur auf Biomasse als Rohstoff setzen können. Recycling und auch fossile Rohstoffe werden weiter benötigt und zum Ausgleich der Emissionen wird CO2 abgefangen, gelagert und genutzt werden müssen. Bis Chemie aufgebaut ist, die gezielt Rohstoffe aus Land- und Forstwirtschaft zu Produkten entwickelt, kann der Massenbilanzansatz – analog der Energiewirtschaft und deren „grünem Strom“ – nach Rohstoff-Verfügbarkeit bereits heute Produkte anbieten. Die Grenzen dieses Ansatzes und den Wettbewerb zwischen Flugverkehr, Lkw und Chemie hatte Joachim Dohm (Neste) bei der VCW-Jahrestagung 2022 schon dargestellt.

 

„Bei der Entnahme biogener Rohstoffe kommt die Menschheit
schon sehr bald an die planetaren Grenzen.“

Bernhard von Vacano, BASF

 

Müssen wir biogene Rohstoffe wie heute Erdöl importieren oder gibt es Quellen im eigenen Land? Thomas Bayer von der Provadis Hochschule im Industriepark Höchst stellte die BioBall-Initiative zur Bioökonomie in der Rhein-Main Ballungsraum vor: In Deutschland und speziell in städtischen Ballungsräumen gibt es nicht genügend Ackerland, um alle benötigten Materialen aus biogenen Rohstoffen herzustellen. Die deutsche Zuckerproduktion beträgt 4,7 Mio.t/a – allein die Raffinerie in Karlsruhe verarbeitet 15 Mio. t/a Öl, davon 1,5 für Chemie. Auf Biomasse beruhen heute 6 % der Treibstoffproduktion und 4 % der Chemieproduktion. Global stammen heute zwei Drittel der „C“-Nutzung aus fossilen Quellen. Zwei Drittel des von Menschen genutzten Kohlenstoffs wird heute zur Energiegewinnung verbrannt, Ein Viertel dient der Ernährung und nur weniger als 10 % wird als Material und Chemikalien verwendet. Rest- und Abfallstoffe werden heute überwiegend kompostiert oder verbrannt und können zukünftig als Rohstoffquelle nicht nur der Chemie fungieren. An den Beispielen Garnelenzucht, Methanol, Phasenwechsel-Material wurde gezeigt, wie technische Lösungen funktionieren können. Keines der derzeit 17 BioBall-Projekte ist derzeit allerdings aus sich heraus wirtschaftlich tragfähig. Die Kosten von Methanol aus Abfallströmen liegen vier bis fünfmal höher als der derzeitige Marktpreis.

 

Zwei Drittel des Kohlenstoffs wird heute zur Energiegewinnung verbrannt,
nur weniger als 10% wird in Form von Materialien und Chemikalien verwendet.

Thomas Bayer, Provadis Hochschule

 

Stefan Friebel, Fraunhofer WKI, analysierte eine noch wenig stofflich genutzte große biogene Rohstoffquelle: Das bei der Papierherstellung als Abfall anfallende Lignin. Lignin weist eine komplexe Netzwerkstruktur mit sehr unterschiedlichen Verknüpfungen auf. Lignin unterscheidet sich wie die Bäume, von denen es stammt. Verschiedene Herstellungsverfahren erhöhen die Vielfalt der Lignin-Produkte, wobei nur drei bereits im industriellen Maßstab betrieben werden: Kraft-Lignin, Lignin-Sulfonat und Soda Lignin. Für die chemische Entwicklung ist Lignin nicht gleich Lignin. Das WKI hat gezeigt, dass mit geeigneten Typen gut formaldehyd-freier Klebstoff in Phenol und Formaldehyd in der Spanplatten-Produktion ersetzt werden kann. Beschichtungen mit Flammschutzeigenschaften und mikroplastik-freie Kosmetika wurden mit Unternehmen entwickelt. Wie die BioBall-Projekte haben sie nicht zuletzt wegen des Aufwandes für die Markteinführung nicht den Weg in den Markt gefunden.

Frank Schael, Hochschule Darmstadt, bestätigte am Beispiel der Lederherstellung, dass Leder als ein Nebenprodukt der Fleischproduktion angesehen werden kann. Sein Projekt der Lederindustrie beschäftigte sich unter umfassender Beteiligung von Handel und Industrie mit der Lieferkette bis zum Marketing beim Konsumenten. Die Lederherstellung ist hochkomplex und erfordert 2 kg Chemikalien pro kg Leder. Von den Kunden wird Leder trotzdem als „natürlich“ und von hoher Qualität wahrgenommen, sodass hohe Preise bezahlt werden – insbesondere für umweltfreundlichere Produkte. Neue Lederchemikalien sollten also aus erneuerbaren Rohstoffen sein. Chlormethylfurfural (CMF) und Hydroxymethylfurfural (HMF) sind biobasierte Plattformchemikalien für Zwischenprodukte, erfordern aufgrund ihrer Instabilität aber eine besondere Aufarbeitung. Das Projekt investierte tief in die Prozessentwicklung, um die ökonomischen Grenzen zu erkennen und in Bezug auf die Akzeptanz bei den Konsumenten diskutieren zu können.

Lösungen für die Kreislaufwirtschaft

Wenn biogene Rohstoffe offensichtlich nicht reichen, um den Bedarf an Produkten der Chemie zu decken: was muss die Ergänzung sein? Jens Hamprecht, BASF, berichtete in einem Übersichtsvortrag, mit welchen Maßnahmen das Recycling beitragen kann, die Lücke zu schließen – und die Herausforderung der Verschmutzung durch persistente Polymere zu minimieren. Die 10 R-Strategie der Zirkulären Wirtschaft von Rückweisen bis Rückführen gibt Handlungsanweisungen. Der Weg ist noch weit: So werden global heute nur 10 % (EU:15 %) Kunststoffabfälle wieder zu Kunststoffprodukten – auch in Europa wird noch mehr als die Hälfte der Abfälle deponiert oder verbrannt. Im Recycling selbst gibt es Verluste. Verbesserungen in Sammlung und Sortierung sowie Diversität bei Recycling-Technologien sind nötig. BASF liefert mobile NIR-Spektroskopie für die Sortierung, Chemikalien für die Reinigung des Kunststoff-Abfalls und Additive für die nachfolgende Extrusion im mechanischen Recycling. Design for Recycling setzt bei den Materialien an: bei Outdoorjacken können z. B. Reißverschlüsse wie der Stoff aus Polyamid sein. Verschmutztes Material und Materialmischungen können häufig noch nicht mechanisch rezykliert werden: Dafür wurde Ccycled – ein auf der Pyrolyse beruhendes Verfahren – entwickelt. Das dabei erzeugte Pyrolyseöl wird in den Steamcracker zurückgeführt und dient wieder zur Herstellung „jungfräulicher“ Polymere. Enthalten die Kunststoffe zu viel Schwefel (Gummi) oder sind sie schlicht zu (Haus-)Müll geworden, hilft nur noch die Gasifizierung zu Synthesegas, aus dem Methanol und viele weitere Kohlenwasserstoffe (Olefine, Aromaten) herstellbar sind. Wir benötigen alle diese Ansätze, um die Lücke zu schließen. Viele der Technologien sind noch in den Kinderschuhen und müssen jetzt in den industriellen Maßstab überführt werden. Mechanisches Recycling allein kann nicht die erforderlichen Mengen bereitstellen, um die Lücke zu schließen.

 

„Global werden heute nur 10% (EU:15%) Kunststoffabfälle wieder zu Kunststoffprodukten.“

Jens Hamprecht, BASF

 

Bei der Entwicklung von Industrien muss also Recycling gleich mit entwickelt werden. Stephan von Delft, Universität Münster, beleuchtet die Chancen einer zirkulären Batteriewirtschaft und die Zeithorizonte ihrer Entwicklung. Die Zahl neu zugelassener (teil-)elektrischer Fahrzeuge hat sich im letzten Jahrzehnt mehr als verzehnfacht. Dies wird nach Bloomberg bis 2050 zu einem erheblichen Anstieg auch der Metallbedarfe führen. Der Bedarf an Kupfer soll sich gegenüber 2022 um den Faktor 16, der Lithiumbedarf sogar um den Faktor 22 erhöhen. Aus neuen Minen wird das nicht zu decken sein – Urban Mining muss seinen Beitrag leisten. Die Universität Münster hat sich mit Partnern aus Hochschule und Industrie angesehen, inwieweit sich die Batterieproduktion unabhängig von primären Rohstoffen machen lässt. Aufgrund der Lebensdauer der Fahrzeuge wird es erst nach 2040 zu einem deutlichen Anstieg des Materialrücklaufes kommen – und die wertvolleren Metalle wie Kobalt und Nickel werden zuerst in China zirkulär werden. USA und Europa müssen schneller werden. Wie das funktionieren kann, zeigt eine kürzlich erschienene Folgestudie: Investitionen in Recycling liegen niedriger und gehen schneller, als neue Minen zu entwickeln. Durch optimale Recycling-Strategien kann also viel Geld gespart werden – umso mehr, wenn der Material-Bedarf gar nicht erst anfällt. Szenarien zeigen, welchen materialsparenden Einfluss die Nutzung von Autobatterien als stationäre Speicher oder das autonome Fahren (Mobilität als Service) haben können.

 

„Für neue Technologien mit nennenswerten Volumina, wie die
Batterieproduktion, müssen die Recyclingoptionen von Beginn an
mitgedacht werden. Auch Urban Mining muss seinen Beitrag leisten.“

Stephan von Delft, Universität Münster

 

Neue Technologien ermöglichen häufig material- und energiesparendere Lösungen: Der Weg von der Idee zur industriellen Nutzung ist insbesondere für die Chemieproduktion weit. Start-ups bauen die Brücke zwischen akademischer Forschung und Markt.

Maike Lambarth, CEO und Mit-Gründerin von Cyclize, stellte bspw. die Herstellung von Synthesegas aus Kunststoffabfällen mit CO2 in einem nicht-thermischen Plasma vor. Synthesegas wird heute überwiegend aus fossilen Rohstoffen hergestellt, weil die Elektrolyse sehr energieaufwändig und teurer ist. Das Cyclize-System erfordert weniger Energie, ist CO2-negativ und kann nicht-rezyklierbare Abfallströme verarbeiten [Anm. d. Red.: Eine ausführlichere Beschreibung findet sich im CHEManager sowie beim ZDF in der Sendung „Leschs Kosmos“ in der Folge Energie in der Krisevom 8. November 2022 ab Minute 11.] Im September 2024 soll mit der Inbetriebnahme einer 10 kW-Technikumsanlage mit einer vollständigen Massen- und Energiebilanz TRL5 erreicht werden. Eine größere Demonstrationsanlage mit 30 MW ist – integriert in einem Kohlekraftwerk – im Bau und soll bis 2027 auf 1 MW ausgebaut werden. Für eine 10 MW im industriellen Maßstab (30 kt/a Abfall für 70 Mio. Nm3/a Synthesegas) zur Inbetriebnahme 2030 wird derzeit ein Chemiestandort gesucht. Weil der Weg von Synthesegas über MTO-Anlagen Stand der Technik ist, wäre das Verfahren eine Plattformtechnologie für die zirkuläre Kohlenstoffchemie.

Melanie Walther, Universität Bremen und designierte Co-CEO von BionicFuel, beschrieb ein Konzept, um aus biogenem Abfall durch Fermentation einen Treibstoff mit negativer CO2-Bilanz zu erzeugen, der 1:1 in bestehenden Verbrennern eingesetzt werden kann. Der Treibstoff ist eine Mischung aus Aceton, Butanol und Ethanol. Der nicht-fermentierbare Rückstand wird thermisch verwertet, sodass erneuerbarer Strom und ein mineralhaltiger Dünger erzeugt werden kann. Im Labor wurde der prinzipielle Nachweis der Funktion erbracht (TRL3). Drei Patentanmeldungen dazu sind auf dem Weg, ein Standort für eine Pilotanlage identifiziert – eine Finanzierung aber nicht. Da der Risikokapital-Markt in Deutschland infolge der Wirtschaftskrise nahezu ausgetrocknet ist, gestaltet sich die Finanzierung zäh, obwohl das Verfahren sehr gut zu den Nachhaltigkeitszielen des Green Deal und die eFuels-Ziele der Bundesregierung passt.

Die aktuellen politischen Rahmenbedingungen waren auch Kern der abschließenden Diskussion mit den Vortragenden des Tages und Bianca Praetorius von der KlimaUnion, einer der CDU/CSU nahestehenden Plattform für bürgerliche Klimainteressierte.

Wie können wir gemeinsam vorankommen mit den Klimazielen? – Vor allem: Wie können wir das alte Wirtschaften „loslassen“? Da die neuen Prozesse wegen der notwendigen Investitionen und der noch fehlenden Erfahrungen erst einmal teurer als der bestehende, abgeschriebene Anlagenpark sind, bedarf es nach Jens Hamprecht einer sektorspezifischen Regulierung, weil ansonsten der Wandel nicht schnell genug vorankommt. Regulierung sollte „einfach“ sein, da derzeit die Hälfte der wertvollen Zeit in Forschung und Entwicklung mit komplexen Antragstellungen und Dokumentation verbracht wird. Die alternde Gesellschaft scheint risikoscheuer zu werden: nicht nur infolge des Fachkräftemangels in Deutschland wird die fehlende Erneuerung zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Nützt der Fokus auf die Wissenschaft, wie von der letzten Generation propagiert, und kann Politik durch Fachleute und Industrie in den „neuen“ Themen unterrichtet und ausgebildet werden?

Bianca Praetorius ist skeptisch, da Machtfragen alles überlagern und deshalb oft überzogene Ziele – insbesondere in Bezug auf Zeitpläne – entstehen. Stephan von Delft erwartet, dass künstliche Intelligenz es vereinfachen wird, komplexe Prozesse und Systeme zu erklären und bequemere Brücken zwischen Politik und Wissenschaft zu bauen. Insgesamt ist mehr Geschwindigkeit in der Umsetzung erforderlich: Private Investitionen in „geprüfte“ Start-ups sollten durch öffentliche Förderprogramme „angeregt“ werden. Das setzt allerdings eine prinzipielle Wirtschaftlichkeit der neuen Ideen voraus, die durch eine ökonomische Steuerreform (CO2-Verpreisung), und entsprechende Förderungen (vgl. IRA in den USA) bei wirtschaftlicher Stabilität und Planbarkeit erzeugt werden muss.

Der Wiederaufbau (Reshoring) von chemischen Industrien (Batterie, Pharma) mit massiver staatlicher Unterstützung wird Thema der wirtschaftschemischen Jahrestagung der VCW am 15. November.2024 in Münster.
 

Wolfgang Huebinger, Expert Verbund Structures & Value Chains, BASF, Ludwigshafen

 

Vereinigung für Chemie und Wirtschaft (VCW)

Die Vereinigung für Chemie und Wirtschaft (VCW), mit knapp 1.200 individuellen Mitgliedern eine der 10 größten Fachgruppen der Gesellschaft Deutscher Chemiker GDCh, agiert als Netzwerk an der Schnittstelle zwischen Chemie, Wirtschaftswissenschaften, Wirtschaft und Gesellschaft und bietet ein Forum zur Diskussion der ökonomischen, sozialen, ökologischen und technisch- wissenschaftlichen Herausforderungen der Chemiewirtschaft und ihrer Partner.

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