SKW drosselt Ammoniak-Produktion in Wittenberg
Hohes Gaspreisniveau könnte dramatische Folgen für Logistikbranche haben
Die SKW Stickstoffwerke Piesteritz, einer der größten deutschen Ammoniakproduzenten, hat wegen der seit Monaten stark gestiegenen Erdgaspreise die Produktion im Werk in Wittenberg (Sachsen-Anhalt) Anfang Oktober um 20 % zurückgefahren. Auch BASF hat die Produktion an den Standorten Ludwigshafen und Antwerpen gedrosselt. Bei der norwegischen Yara, dem weltweit zweitgrößten Ammoniaklieferanten, liegt die Drosselung bei 40 %.
Ammoniak dient vor allem der Düngemittelherstellung. Die Preise für Dünger lassen sich aber nicht so schnell erhöhen, wie Erdgas teurer geworden ist. In der Folge wurde deshalb die Düngemittelproduktion um 30 % gedrosselt, und auch die Produktion des Abgasreinigungsadditivs AdBlue wurde zurückgefahren.
Das mittlerweile erreichte Gaspreisniveau ermögliche keine ökonomisch sinnvolle Produktion mehr, erklärte der Vorsitzende der SKW-Geschäftsführung, Petr Cingr. Die Dynamik des Preisanstiegs sei besorgniserregend. Cingr warnte vor einem Produktionsstopp.
Systemkritisches Produkt
SKW ist auch der größte deutsche AdBlue-Hersteller. In Wittenberg wird aus Erdgas (CH4) zunächst Ammoniak (NH3) und daraus Harnstoff (CH4N2O) zur AdBlue-Produktion hergestellt. Ohne das Entstickungsmittel zur Abgasreinigung können moderne dieselbetriebene Lkw und Busse nicht fahren. Die Folgen sind bereits jetzt in der deutschen Logistikbranche deutlich spürbar, die Preise für AdBlue haben sich verdreifacht, Branchenverbände warnen sogar vor der Stilllegung ganzer Fahrzeugflotten wegen AdBlue-Mangels.
Gleiches gilt auch für viele Diesel-Pkw, die die Abgasnorm Euro 6 erfüllen. Auch sie besitzen neben dem Dieseltank einen kleineren Tank für AdBlue. Wie stark die AdBlue-Produktion zurückgefahren wurde, teilte SKW nicht mit. „Wir stellen uns der Verantwortung, ein systemkritisches Produkt zu produzieren, und versuchen alles, im Rahmen der Harnstoffproduktion AdBlue herzustellen“, sagt Unternehmenssprecher Christopher Profitlich.
Petr Cingr, Vorsitzender der Geschäftsführung, SKW Piesteritz
„Mit dem aktuellen Gaspreis ist die Grenze weit überschritten."
Ammoniakproduktion weltweit gedrosselt
Zuletzt haben etliche Unternehmen wie BASF, Yara und eben SKW ihre Ammoniakproduktion gedrosselt. Die Preise für den Zusatzstoff sind dadurch laut dem Speditionsunternehmen Finsterwalder in den vergangenen Wochen um rund 300 % gestiegen. „Kostete AdBlue früher um die 13 Cent je Liter, sind es nun 46 Cent“, sagte Unternehmenssprecher Sven Köcke. Und von Woche zu Woche würde die Harnstofflösung teurer. Bei einigen Logistikern wird AdBlue sogar schon knapp, teilte der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) mit. Zur Notversorgung seiner Mitgliedsunternehmen habe der BGL mit SKW sogar eine Exklusivvereinbarung geschlossen, teilte der Branchenverband Mitte November mit. Diese ermöglicht den BGL-Mitgliedsunternehmen den Zugang zu einem nur für sie reservierten Bestand bei SKW, um bei akutem AdBlue-Mangel einen drohenden Fahrzeugstillstand zu vermeiden. BGL-Vorstandssprecher Dirk Engelhardt sagte: „Damit sichern wir auch die Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft.“
SKW-Geschäftsführer Cingr erklärte: „Niemand kann Interesse daran haben, dass die Logistikkette in Deutschland aufgrund eines AdBlue-Mangels zusammenbricht.“ Zu welchen Preisen die Logistiker möglicherweise das AdBlue erhalten, wurde nicht mitgeteilt.
Preisrallye bei Erdgas
Warum die Erdgaspreise so schnell gestiegen sind, darüber rätseln auch Experten. Im kurzfristigen Börsenhandel (Spot-Markt) kostete die Megawattstunde Erdgas in den vergangenen Wochen zeitweise bis zu 160 EUR. Zum Vergleich: Im Vorjahr lagen die Preise teilweise bei 6 EUR, im Schnitt unter 20 EUR/ MWh. Die stark gestiegenen Preise führen Energieexperten auf zwei realwirtschaftliche Gründe zurück: Zum einen war die Nachfrage der Industrie im Sommer nach Abschwächung der Coronapandemie stark gestiegen, zum anderen weiten Lieferanten wie Russland ihre Erdgasproduktion kaum aus.
Wie Energieversorger auch kauft SKW Erdgas jedoch langfristig ein und sichert Einkäufe preislich ab, ansonsten würde das Wittenberger Werk wohl schon stillstehen. Doch in der Industrie sind die Einkaufszyklen kürzer als in der Energieversorgung und häufig wird ein Teil des Bedarfs kurzfristig beschafft. Diese kurzfristige Gasbeschaffung wurde nun aufgrund der hohen Erdgaspreise offenbar eingestellt. Details zum Gaseinkauf hat SKW nicht veröffentlicht.
Cingr forderte bereits im September: „Die Gasversorgung der Bürger und der Industrie Europas muss wieder auf ein stabiles, bezahlbares Fundament gestellt werden.“ Andernfalls drohe ein Produktionsstopp in den Schlüsselindustrien. „Die Politik ist hier gefordert – und zwar sofort. Wir haben stets vor den möglichen Folgen gewarnt, die Industrie zunehmend mit hohen Gas- und Strompreisen sowie Kosten für CO2-Zertifikate zu belasten. Mit dem aktuellen Gaspreis ist die Grenze weit überschritten“, so Cingr.
Autor: Steffen Höhne, Wirtschaftsjournalist, Markkleeberg
Jörg Rothermel, Abteilungsleiter Energie, Klimaschutz und Rohstoffe im Verband der Chemischen Industrie (VCI)
Kostenproblem für energieintensive Unternehmen
„Der Preisschock für Gas in Kombination mit den ohnehin höchsten Strompreisen in Europa und der Welt entwickelt sich zu einem gravierenden Kostenproblem für energieintensive Unternehmen und ihre Wettbewerbsfähigkeit am Produktionsstandort Deutschland. Hier eine Lösung zu finden, wird eine wichtige Aufgabe der neuen Bundesregierung sein.“
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