Strategie & Management

Quantencomputing – Vision oder Realität?

Technologische Fortschritte rücken mögliche Anwendungen von Quantencomputern in greifbare Nähe

14.09.2021 - Quantencomputer bieten nahezu unbegrenzte Möglichkeiten zur Lösung komplexer Probleme in Wirtschaft und Wissenschaft, galten jedoch aufgrund ihrer hohen Anforderungen an Hardware und Software lange als Laborkuriosität.

Zunehmende technologische Fortschritte in den letzten Jahren haben Investitionen neu beflügelt. Laut McKinsey sind seit Jahresbeginn 2021 bereits 1,5 Mrd. USD in Quanten-Start-Ups geflossen, mit Schwerpunkt USA und Kanada. Nun haben sich auch zehn große deutsche Unternehmen zum „Quantum Technology and Application Consortium“, kurz QUTAC, zusammengeschlossen, um nutzbare industrielle Anwendungen für Quantencomputer (QC) zu entwickeln. Stefan Gürtzgen sprach mit Experten der Gründungsmitglieder Boehringer Ingelheim (Clemens Utschig-Utschig, Chief Technology Officer), BASF (Horst Weiß, Vice President Knowledge Innovation & Solutions, Global Digital Services) und SAP (Carsten Polenz, Executive Board Advisor Quantum Technologies) über die Ziele und Schwerpunkte von QUTAC.

CHEManager: Wo liegen die Schwerpunkte und welche Ziele verfolgt QUTAC?

Clemens Utschig-Utschig: Mit dem Zusammenschluss einiger der größten deutschen Unternehmen wollen wir die Expertisen aus verschiedenen Branchen bündeln und die Forschung im Quantencomputing vorantreiben. Wir wollen Anwendungsbereiche und Anwendungsmöglichkeiten dieser neuen Technologie identifizieren, um sie auf die Ebene der industriellen Nutzung zu heben. QUTAC trägt dazu bei, dass das Potenzial von Quantencomputern genutzt werden kann und die Entwicklung von Quantencomputern vorangetrieben wird. Damit leistet das Konsortium einen großen Beitrag für die Anschlussfähigkeit von Deutschland und Europa.

Wo sehen Sie die größten ­Potenziale?

Horst Weiß: Nehmen wir das Beispiel Materialforschung. Ein wichtiges Arbeitsgebiet dort war und ist die Quantenchemie. Quantencomputer bieten perspektivisch die Möglichkeit, die Chemie exakt „zu rechnen“ und sind damit äußerst wichtig für die chemische Forschung. Weitere Beispiele sind Anwendungen in der Katalyse. So können beispielsweise Kataly­satoren für chemische Prozesse durch die Simulation der chemischen Reaktion, die im Katalysator abläuft, in Zukunft noch zielgerichteter entwickelt werden. Oder nehmen wir die Materialforschung für Batterien, wo die Berechnung von elektrochemischen Potenzialen für die Simulation von Lade- und Entladekurven zur Entwicklung neuer Kathodenmaterialien beitragen kann. Aber Quantencomputing wird tatsächlich universell einsetzbar und keinesfalls auf diese Themen beschränkt sein.

C. Utschig-Utschig: Das Quantencomputing wird uns in vielen Bereichen helfen, innovative Ansätze für Probleme zu finden. Für die Pharma­branche bringt diese Technologie ganz neue Möglichkeiten. Moleküle könnten exakt simuliert und analysiert werden. Dadurch könnte der pharmazeutische Forschungs- und Entwicklungsprozess enorm beschleunigt werden. Das verkürzt sowohl die Markteinführungszeit als auch die Kosten für neue Arzneimittel. Es müssten auch weniger Teststudien durchgeführt werden. Quantencomputing könnte die Entwicklung bahnbrechender ­Therapien für Mensch und Tier wesentlich vereinfachen.

Carsten Polenz: Wir untersuchen bei SAP das Leistungsversprechen des Quantencomputers beim Einsatz in der Unternehmenssteuerung, sprich der optimalen Gestaltung von Geschäftsprozessen. Hier sehen wir insbesondere in der Steuerung der Produktion und Logistik große Potenziale. Der Einsatz von Quantencomputern als Co-Prozessoren für die Optimierung von Planungsaufgaben stellt für uns einen interessanten Einsatzbereich dar.

 

„Beim Thema Quantencomputing kann man die Zukunft mitgestalten.“

Carsten Polenz, Executive Board Advisor Quantum Technologies, SAP

Was bedeutet dies für zukünftige Entwicklungen im Hardware- bzw. Software-Bereich?

C. Polenz: Wir müssen aktuell feststellen, dass die Hardware noch sehr weit von einer realen Nutzung entfernt ist. Nichtsdestotrotz können wir bereits heute eine Menge tun. Die Problemformulierung auf einem Quantencomputer gestaltet sich anders als bei klassischen Computern. Hier leisten wir die Vorarbeit, um zu gegebener Zeit, wenn die Hardware die von uns gestellten Leistungsanforderungen erfüllt, Quantencomputer in unsere Systeme einzubinden. Brückentechnologien erlauben es uns, Zwischenschritte zu gehen.

Wie sehen Sie das Zusammenspiel zwischen klassischen Computern und Quantencomputern?

H. Weiß: BASF sieht High Performance Computing als ein Kernelement der Digitalisierung und betreibt seit 2017 einen eigenen TOP 500 Supercomputer. Uns interessieren alle gegenwärtigen Trends auf dem Gebiet. Besonders wichtig ist uns Quantencomputing. Das liegt an dem überlegenen Skalierungsverhalten bestimmter Algorithmen. Mit ihnen können sehr viel komplexere Fragestellungen beantwortet werden, als dies mit Supercomputern möglich ist.
Den Quantencomputer sehen wir im hybriden Einsatz als Coprozessor, der bestimmte Teile in der Verarbeitungskette mit überlegener Leistungsfähigkeit erledigen kann. Für das Handling von sehr großen Datenmengen sehen wir ihn nicht. Spannend wird es sein, wie das Zusammenspiel zwischen klassischen Supercomputern und Quantencomputern funktioniert.

„BASF sieht High Performance Computing als ein Kernelement der Digitalisierung.“

Horst Weiß, Vice President Knowledge Innovation & Solutions, Global Digital Services, BASF

 

Welche kritischen Erfolgsfaktoren sehen Sie hinsichtlich der Realisierung von QC?

C. Utschig-Utschig: Wichtig ist, dass der Forschungsbedarf und die Potenziale des Quantencomputings erkannt werden, sodass die Technologie auch in dieser frühen Phase ausreichend gefördert wird. Der Erfolg ist auch von ausreichender Grundlagenforschung abhängig. Deswegen investieren wir jetzt und mit langfristiger Perspektive. Zunächst konzentrieren wir uns auf die Untersuchung von Fallbeispielen und Methoden für das Quantencomputing.

H. Weiß: Zurzeit sind erste Quantencomputer in der Lage, einfache Probleme zu lösen. Den Quantenvorteil, also die Lösung eines anwendungsrelevanten Problems mit einer Effizienz, die ein klassischer Rechner nie erreichen kann, werden wir erst in einigen Jahren erreichen können. Wissenschaftlich ist Deutschland hervorragend aufgestellt. Es fehlen aber Akteure wie IBM oder Google in den USA oder ein Wissenschaftsverbund, um die Entwicklung eines kommerziellen Quantencomputer-Systems zu übernehmen. Verglichen mit den USA oder China liegt Deutschland hier weit zurück. Noch zu entwickeln sind Kompetenzen in Wirtschaft und Wissenschaft, die Verfügbarkeit digitaler und technologischer Infrastruktur, und der Technologietransfer von der Forschung in die Industrie. Hier fehlen die Instrumente und Rahmenbedingungen, beispielsweise um interessierte Firmen bei ersten Anwendungen zu unterstützen!

C. Polenz: Die Leistungsfähigkeit der aktuellen Generation von Quantencomputern erfüllt noch nicht das, was unsere Kunden und damit wir als Softwareanbieter benötigen. Gemeinsam mit der Industrie und der Wissenschaft können wir aber die Anforderungen an kommende Generationen feiner und klarer definieren, um den zukünftigen industriellen Einsatz von Quantencomputern zielgerichtet voranzutreiben. Partnerschaften mit Kunden und den Hardwareherstellern sind hierbei sehr hilfreich.

 

„Quantencomputing wird uns in vielen Bereichen helfen, innovative Ansätze für Probleme zu finden.“

Clemens Utschig-Utschig, Chief Technology Officer, Boehringer Ingelheim

 

Wann sehen wir die ersten QC Anwendungen im kommerziellen Maßstab?

H. Weiß: Das hängt immer vom spezifischen Anwendungsfall ab, aber bei BASF gehen wir davon aus, dass in den nächsten zehn Jahren die ersten Anwendungsbereiche von Quantencomputing reif genug sind, um konkreten Mehrwert zu stiften. Damit wir von Anfang an von diesen Möglichkeiten profitieren können, müssen wir mit den Vorbereitungen jetzt anfangen.

C. Utschig-Utschig: Derzeit befinden wir uns in einer Frühphase der Forschung. Wir betreiben Grundlagenforschung, die das Fundament für die künftigen Erfolge dieser Technologie darstellt. Im Moment fokussieren wir zunächst die quantenmechanischen Herausforderungen und versuchen hier Ansätze und Lösungen zu finden. Dabei versuchen wir schon jetzt so nah wie möglich an die Praxis heranzukommen. Eine konkrete Prognose, wann die Technologie industriell anwendbar sein wird, ist schwierig. Durch die enorme Komplexität des Quantencomputings wird es sicherlich noch einige Jahre dauern, bis wir Anwendungen im kommerziellen Maßstab haben werden.

Carsten Polenz: Wann die ersten kommerziellen Anwendungen verfügbar sein werden, ist momentan noch unklar. Wir wissen, dass es noch einiger Schritte bedarf, bis es soweit ist. Aber genau das macht es gerade so spannend – bei diesem Thema kann man die Zukunft mitgestalten.

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