Nur wer wagt gewinnt
Chancen und Grenzen der Strombeschaffung für Produktionsprozesse am Spotmarkt
Die verlässliche Versorgung mit preiswerter Energie ist eine zentrale Herausforderung für energieintensive Produktionsprozesse, wie sie etwa in der chemischen Industrie die Regel sind. Die Kosten für die eingesetzte Energie spiegeln sich im Preis für das Herstellerprodukt und damit letztendlich in der Wettbewerbsfähigkeit des Herstellers wider. Seit etwa Mitte 2011 liegen nun die Preise für Strom an den Spotmärkten im Durchschnitt deutlich unter den Preisen an den Terminmärkten. Die derzeitige Entwicklung am Spotmarkt sowie die unveränderte Zielsetzung hinsichtlich des EEG sprechen dafür, dass das in den kommenden Jahren auch so bleiben wird.
Die meisten Energiekunden decken sich derzeit noch mit Strom über den Terminmarkt der European Energy Exchange (EEX) in Leipzig bzw. über den OTC-Markt ein. Am Terminmarkt kauft man Strommengen zu einem vereinbarten Termin in der Zukunft und zu einem schon jetzt festgelegten Preis. Die Vorteile liegen auf der Hand: die Beschaffungskosten für die reine Energie können auf beispielsweise bis zu drei Jahre im Voraus festgezurrt werden, unternehmerisch ist der Energiepreis gegen Steigerungen abgesichert. Aber: bei diesem Vorgehen kann man nicht von fallenden Preisen profitieren, die Preisfixierung funktioniert eben in beiden Richtungen.
Beschaffungsstrategien
Der kurzfristige Spotpreis, auf der Basis des stunden- und viertelstundenweisen Handels mit Strom des gleichen sowie des Folgetages an der European Power Exchange (EPEX SPOT) ermittelt, liegt seit Fukushima und dem deutschen Atomausstieg 2011 im Schnitt unter dem langfristigen Terminmarkt.
Das hat offensichtlich Auswirkungen auf die Beschaffungsstrategie eines energieintensiven Unternehmens. Eine Beispielrechnung für das Jahr 2013 zeigt das Potenzial. Der Spotmarkt wird dabei immer dann genutzt, sofern er unter dem Terminmarkt liegt. Nur bei Preisspitzen wird stattdessen der Preis vom Terminmarkt als rechnerischer Maximalpreis angesetzt. Im vergangenen Jahr hätte das fiktive Unternehmen knapp 74 % seines Stroms am Spotmarkt gekauft und wäre nur in gut 26 % der Fälle am Terminmarkt besser bedient gewesen. Die Kosteneinsparung beim Strom hätte bei annähernd 16 % gelegen.
Und das alles bei der Annahme einer Beschaffung von gleichen Teilmengen. Dabei gäbe es ja eine weitere Stellschraube, nämlich mit der Produktion den täglichen Schwankungen am Spotmarkt zu folgen und sich immer dann einzudecken, wenn der Strom gerade billig ist.
Hindernisse
Hier zeigt sich nun schnell, dass dieser weitere Optimierungsschritt nur in wenigen Fällen funktioniert. Befürworter verweisen gerne auf Beispiele wie Kühlhäuser, die zeitweise mehr Strom aufnehmen und damit Kälte auf Vorrat produzieren. Doch diese Beispiele sind eher untypisch. Zum einen ist die Speicherung von Energie wie in einem Kühlhaus eher die Ausnahme als die Regel, viele Produktionsanlagen verfügen überhaupt nicht über entsprechende Puffer. Außerdem liegen in den typischen Produktionsbedingungen große Hemmnisse. So unterliegt die Fertigung in vielen Fällen hohem Druck aus der Lieferkette, Spielraum für Abschaltungen oder Reduzierung besteht da nicht. Die Produktionsanlagen sind in ihrer Auslegung generell energetisch optimiert, jede Abweichung von diesem Optimum verschlechtert die Wirtschaftlichkeit und verzehrt damit die eingesparten Stromkosten. Schließlich ist der Energiepreis an der Leipziger Börse deutlich flexibler als Arbeitnehmer, Tarifverträge und die Arbeitsgesetzgebung. Außerdem darf nicht übersehen werden, dass der zeitliche, personelle und finanzielle Aufwand für die Steuerung einer solchen strompreisbasierten Produktion schnell höher als der potenzielle Nutzen sein dürfte.
Und auch jenseits dieser Fallstricke in der Produktion. Eine Ausrichtung der Produktion am Strompreis macht jede Planbarkeit zunichte und versieht jede Unternehmens- und Finanzplanung mit einem Fragezeichen. Es wird ein spekulatives Element eingeführt, das mit der jeweiligen Kernkompetenz eines Unternehmens, seinem Produkt-Know-how, nichts mehr zu tun hat.
Fazit
Fasst man die bisherigen Überlegungen zusammen, ergibt sich ein klares Bild. Für kaum einen Produzenten wird es sich lohnen, den Schwankungen am Spotmarkt mit seiner Produktion zu folgen. Die technischen Auswirkungen und der Eingriff in Lieferketten ist viel zu gravierend, um eine meist erst in der Nachkommastelle relevante Stromkosteneinsparung zu generieren.
Die Energiebeschaffung aber generell stärker am Spotmarkt auszurichten ist sinnvoll. Zwar muss man dabei den einen oder anderen Ausschlag nach oben verkraften, aber die vorgestellte Beispielsrechnung für 2013 zeigt, dass die Strategie in der Summe aufgegangen wäre. Mutige Unternehmen beschaffen deshalb ihrem kompletten Bedarf am Spotmarkt, vorsichtigere versorgen sich dort zumindest mit einem signifikanten Anteil.
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