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Mehr Frauen in den Vorständen der Chemie

Der Anteil von Top-Managerinnen in DAX-Unternehmen steigt, aber Dynamik nimmt ab

10.07.2024 - Allein in den vergangenen zwölf Monaten wurden sechs Frauen in die Vorstände der deutschen Top-20-Chemie- und Pharmaunternehmen berufen. Doch mit der Zahl der Frauen steigt auch ihre Fluktuation.

Die Führungsetagen der deutschen Chemie werden weiblicher. Allein in den vergangenen zwölf Monaten wurden sechs Frauen in die Vorstände der 20 umsatzstärksten deutschen Chemie- und Pharmaunternehmen berufen. Damit stieg ihr Anteil auf über 27 %. Doch mit der Zahl der Frauen steigt auch ihre Fluktuation. Die Managerinnen verlassen die Vorstände schneller als ihre männlichen Kollegen.

Während in den Top 20 der deutschen Chemie- und Pharmaunternehmen im Jahr 2015 nur sechs von 106 Vorstandsmitgliedern (6,6 %) weiblich waren, zählte die Branche zum 1. Juli 2024 26 Frauen in ihren Chef­etagen. Damit stieg der Frauenanteil in der Chemie- und Pharmaindustrie in den vergangenen zwölf Monaten um 1,8 Prozentpunkte auf 27,1 %. Er liegt damit weiterhin deutlich über dem branchenübergreifenden Women-On-Board-Index der Initiative Fidar (Frauen in die Aufsichtsräte), der einen durchschnittlichen Frauen­anteil von 18,3 % für die Vorstände aller börsennotierten und voll mitbestimmten Unternehmen ermittelt.
Von 17 Vorstandsposten, die in den Top-20-Chemieunternehmen in den vergangenen zwölf Monaten neu besetzt wurden, gingen sechs an eine Frau. Wie schon im Vorjahr werden aktuell drei Konzerne – Merck (Belén Garijo, Bild 7), B. Braun Melsungen (Anna Maria Braun, 13) und Paul Hartmann (Britta Fünfstück, 25) – von einer Vorstandsvorsitzenden geführt und nur ein Vorstandsteam bleibt weiterhin frauenlos: Altana wird von drei Männern geleitet.

Weitet man die Analyse auf die zehn umsatzstärksten ausländischen Chemie- und Pharmaunternehmen in Deutschland aus, so ergibt sich ein noch weiblicheres Bild der Chemie: 30 % der Vorstandsmitglieder in den Top-10-Unternehmen sind Frauen. Drei von zehn Unternehmen werden von einer Frau geführt: Astrid Teckentrup ist seit 2021 Vorsitzende der Geschäftsführung von Procter & Gamble in Deutschland, Julia Schlenz ist seit 1. März 2024 Geschäftsführerin von Dow Deutschland und Heidrun Irschik-Hadjieff übernahm im November 2023 den Vorsitz der Geschäftsführung bei Sanofi-Aventis Deutschland. Seitdem setzt sich das fünfköpfige Vorstandsteam des Pharmakonzerns aus drei Frauen und zwei Männern zusammen.

Mindestbeteiligungsgebot zeigt Wirkung

Über viele Jahre stagnierte die Zahl der Frauen in den Vorständen deutscher Unternehmen. Trendwende brachte das zweite Führungsposi­tionengesetz (FüPoG II), das im August 2022 in Kraft trat. Es sieht ein Mindestbeteiligungsgebot vor, das börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen mit mehr als drei Vorstandsmitgliedern bei Neubestellungen verpflichtet, mindestens eine Frau und einen Mann ins Gremium zu bestellen. Im Jahr 2023 beriefen daraufhin 17 Unternehmen das erste Mal eine Frau in ihren Vorstand. Unter die Regelung fallen derzeit 62 deutsche Konzerne, darunter auch BASF und Bayer.Als BASF-Vorständin Melanie Maas-Brunner ihren auslaufenden Vertrag Ende Januar 2024 nicht verlängerte und das Unternehmen nach 26 Jahren verließ, folgte ihr Katja Scharpwinkel (Bild 1) als Vorstandsmitglied und Arbeitsdirektorin. Die Chemikerin kam im Jahr 2010 durch den Erwerb der damaligen Cognis zu BASF und hat seitdem verschiedene Geschäfte geführt, zuletzt leitete sie die Region Europa, Naher Osten, Afrika.

Bereits im vergangenen Jahr kam es bei Bayer zum Wechsel beim Personalvorstand. Sarena Lin legte ihr Vorstandsmandat nieder. Ihr folgte Heike Prinz (Bild 2), die seit 37 Jahren für Bayer tätig ist. Ihre tiefe Kenntnis der Konzernorganisation und Erfolgsbilanz bei Umstrukturierungen qualifizieren sie für den von CEO Bill Anderson initiierten kulturellen Wandel bei Bayer.
Einem kulturellen Wandel auf gesellschaftlicher Ebene bedarf es womöglich auch für weitere Gleichstellung in deutschen Unternehmen. Zwar hat die gesetzliche Vorgabe einen Schub bewirkt, aber nun zeigen sich nicht nur bei BASF und Bayer, sondern auch bei anderen DAX-Unternehmen Anzeichen für die Stagnation bei der Erhöhung des Frauenanteils. In Ländern wie den USA und Frankreich sieht es anders aus: Dort haben knapp 90 % der Großunternehmen zwei oder mehr Frauen im obersten Führungsteam.

„Vieles deutet darauf hin, dass die Einführung des Mindestbeteiligungsgebots von einer Frau im Vorstand zur Etablierung einer neuen sozialen Norm geführt hat. Anstelle einer Zielgröße von null Frauen im Vorstand, die sich viele Unternehmen noch vor einigen Jahren gesetzt haben, ist die neue Zielgröße in vielen Unternehmen offenbar eine Frau als Vorstandsmitglied. Zur Bildung einer solchen impliziten Quote als soziale Norm tragen auch die Medienberichterstattung und die öffentliche Debatte bei“, schreiben Virginia Sondergeld, Katharina Wrohlich und Anja Kirsch, Autorinnen des DIW Managerinnen-Barometers 2024.

Die Unternehmen erfüllen ihre Pflicht, zeigen aber wenige Ambi­tionen, die Kontrollgremien und Chef­etagen paritätisch zu besetzen. Das bestätigt auch Fidar-Präsidentin Anja Seng: „Solange die Geschlechterquote für Aufsichtsräte und das Mindestbeteiligungsgebot für Vorstände nur für sehr wenige Unternehmen gelten, wird sich bei den Unternehmen, die nicht den gesetzlichen Vorgaben unterliegen, nur wenig ändern.“

Dies gilt auch für die Rollenverteilung innerhalb der Unternehmensvorstände. Die Mehrheit der neu berufenen Frauen in den DAX-Vorständen wurden mit der Führung des Personalressorts betraut. Auch in den 20-Top-Chemieunternehmen verantworten derzeit elf von 26 Managerinnen dieses Ressort. „Um sich aber im Vorstand über Ergebnisverantwortung für die Rolle als CEO zu qualifizieren, muss man sich oft zuvor im operativen Geschäft bei der Leitung einer Region oder der Führung eines Geschäftsbereichs bewiesen haben“, sagt Thomas Tomkos, Co-Autor der Dax-Vorstandsstudie 2023 von Russell Reynolds, einer Personalberatung für die Besetzung von Aufsichtsräten und Vorständen. „Weibliche Führungskräfte mit diesen Erfahrungen sind rar“, weiß Tomkos. Deshalb bleibe die klassische Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen im Vorstand erhalten

Frauen verlassen Vorstände schneller als Männer

Ein weiteres Ergebnis der Studie von Russels Reynolds stimmt nachdenklich: Während männliche DAX-Vorstände auf eine durchschnittliche Amtszeit von fast acht Jahren kommen, verlassen vier von fünf Frauen den Vorstand im Schnitt nach knapp drei Jahren. Zudem sind die ausscheidenden Frauen durchschnittlich sechs Jahre jünger. Auch sei keine Frau durch das Erreichen der Altersgrenze ausgeschieden, bei den Männern spielte hingegen bei 35 % der scheidenden Vorstände das Alter eine Rolle, sagt Tomkos.

Den Trend, dass Frauen schneller und jünger einen Vorstand verlassen als Männer, bestätigen die drei Vorstandswechsel bei BASF. Während Margret Suckale, die erste Frau im Vorstand der BASF, ihr Amt nach sechs Jahren im Alter von 60 Jahren niederlegte, verließ Saori Dubourg im März 2023 mit 52 Jahren den Vorstand der BASF, nachdem sie über 26 Jahre für das Unternehmen tätig war. Ihr Mandat wäre noch bis ins Jahr 2025 gelaufen. Melanie Maas-Brunner folgte ihr im Januar 2024 im Alter von 55 Jahren nach einer rund dreijährigen Amtszeit im Vorstand. Zum Vergleich: Die männlichen Kollegen der BASF-Vorständinnen, Martin Brudermüller, Kurt Bock und Jürgen Hambrecht, brachten es auf 14 bis 18 Jahre Amtszeit im Vorstand und legten ihr Amt mit dem Eintritt in den Ruhestand nieder.
Auch Sarena Lin bei Bayer gehörte dem Unternehmensvorstand weniger als zweieinhalb Jahren an und verließ Bayer mit 52 Jahren vor Ablauf ihrer Amtszeit. Angesichts dieser Beispiele kann der Eindruck entstehen, dass Manager an ihren Vorstandssesseln kleben, während er sich für Managerinnen zum Schleudersitz entwickelt. Experten führen die höhere Fluktuation bei hochqualifizierten Managerinnen aber auch auf die hohe Nachfrage nach Frauen für diese Positionen zurück.

In der Tat sind die ehemaligen Vorstandsdamen begehrte  Aufsichtsratkandidatinnen. Maas-Brunner ist inzwischen für die Aufsichtsräte des belgischen Spezialchemieunternehmens Azelis und des finnischen Unternehmens UPM, Hersteller von Papier, Zellstoff und Biochemikalien, tätig. Lin hat Aufsichtsratmandate bei Siemens Healthineers und Bergman Clinics.
Die Nachhaltigkeitsexpertin Saori Dubourg wurde mit Wirkung zum 1. März 2024 als Vorstandsvorsitzende des österreichischen Familienunternehmens Greiner bestellt. Im Bewerbungsprozess habe sie mit ihrem starken Fokus auf Innovation und Nachhaltigkeit sowie mit ihrer Zukunftsgewandtheit überzeugt, erklärt Aufsichtsratsvorsitzender Dominik Greiner.

Auch die These der Fluktuation aufgrund hoher Nachfrage lässt sich durch Beispiele aus der Chemie- und Pharmabranche belegen. So übernahm die 52-jährige Ingrun Alsleben (Bild 14) das Finanzressort im Vorstand von B. Braun Melsungen kurz bevor ihre Vorgängerin Annette Beller in den Ruhestand trat. Alsleben war zuvor 26 Jahre für Bayer tätig und dort zuletzt als Geschäftsführerin und Chief Financial Officer für die Türkei und den Iran verantwortlich.
Auch das Mainzer Unternehmen BioNTech konnte eine erfahrene Managerin aus der Branche als Chief Commercial Officer für sein Vorstandsteam gewinnen: Zum 1. Juli 2024 tritt Annemarie Hanekamp (Bild 10) die Nachfolge von Sean Marett an. Hanekamp verfügt über 20 Jahre Erfahrung in der Gesundheitsbranche und war zuletzt für Novartis tätig.

Unternehmen mit diversem Management wirtschaften nachhaltiger

Mehr Frauen in die Führungsetagen von Unternehmen zu bringen, ist nicht nur eine Frage der Gleichberechtigung. Weibliche Führungskräfte und von Frauen geführte Unternehmen sind auch wichtig für wirtschaftliches Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen – mit positiven Folgen für Gesellschaft, Umwelt und Klima. Nach den Ergebnissen des Gender Diversity Index 2023 der Boston Consulting Group sind Konzerne mit gemischt besetztem Management klima­freundlicher. Die Verpflichtung zu offiziellen Nachhaltigkeitszielen unter diesen Unternehmen ist mit einem Anteil von 65 % deutlich höher als in der Vergleichsgruppe (40 %). Und die Unternehmen verringern ihren CO2-Ausstoß (-23 %) schneller als die Schlusslichter des Diversitätsindex (-19 %).

Während die Diversität der Geschlechter und ethnischer Herkunft in den Vorständen deutscher Unternehmen steigt, ist es um die Altersdiversität der Gremien nach wie vor schlecht bestellt. Nach einer Erhebung des Digital Native Netzwerks aus dem Jahr 2023 beträgt der Altersdurchschnitt in deutschen Dax-Vorständen 54,5 Jahre. Nur drei Vorstandsmitglieder in Dax-Unternehmen sind jünger als 40, das entspricht einem Anteil von 1 %. Das Netzwerk wirft daher die Frage auf: Brauchen Unternehmen eine Quote für U40-Vorstandmitglieder, um auch in Zukunft Innovationen zu schaffen?

Falls ja, fände sich auch hierfür ein Leuchtturmunternehmen unter den Top 20 der Chemie: Zum 1. Dezember 2023 wurde Christina Daske (Bild 23) mit 38 Jahren als zweite Frau in den Vorstand von K+S berufen. Die Wirtschaftsingenieurin und Ökonomin übernimmt die Position der Arbeitsdirektorin. Mit der Personalie hat das Unternehmen seinen Vorstand nicht nur deutlich verjüngt, sondern zugleich paritätisch mit Frauen und Männern besetzt.

Andrea Gruß, CHEManager

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