Forschung & Innovation

Lösung für das Problem der Plastikverschmutzung

CAMM Solutions entwickelt ganzheitlich nachhaltige und kommerziell tragfähige Materiallösung

21.02.2024 - Die (Mikro-)Plastikverschmutzung ist ein weltweites Problem. Die Herausforderung ist es, globale Lösungen zu finden und umzusetzen. Politische Resolutionen sind notwendig, aber nicht ausreichend. Auch Materialinnovationen müssen zur Problemlösung beitragen.

Die (Mikro-)Plastikverschmutzung ist ein weltweites Problem. Die Herausforderung ist es, globale Lösungen zu finden und umzusetzen. Politische Resolutionen sind notwendig, aber nicht ausreichend. Auch Materialinnovationen müssen zur Problemlösung beitragen. Dem Hamburger Start-up CAMM Solutions ist es gelungen, ein biobasiertes Material auf Basis von Polyvinylalkohol (PVOH) zu entwickeln, das vollständig nachhaltig und zudem kommerziell nutzbar ist. Geschäftsführerin Nanda Bergstein erläutert den bisherigen Weg und die Zukunftspläne des jungen Unternehmens.

CHEManager: Die Bekämpfung der Plastikverschmutzung ist ein globales Ziel von höchster Dringlichkeit. Wie begann die Geschichte von CAMM Solutions?

Nanda Bergstein: CAMM Solutions wurde 2019 von Christoph Bertsch gegründet. Der deutsche Unternehmer war auf der Suche nach einem nachhaltigen Material für eines seiner Health-&-Lifestyle-Unternehmen. Er hatte zuerst den Biokunststoff PLA im Blick, der zwar biobasiert ist, allerdings auch Mi­kroplastik produziert und zudem nur schwache Barriereeigenschaften aufweist. Der Forschungsstrang zu einem neuen Material erwies sich schnell als so relevant, um es in einer neuen Unternehmung weiterzuentwickeln. 

Was ist das Besondere an dem Material, wodurch unterscheidet es sich von anderen biobasierten und bioabbaubaren Werkstoffen?

N. Bergstein: Unser CAMM getauftes Material unterscheidet sich durch seine ganzheitlich ökologischen Eigenschaften und die vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten. Es kann in nahezu jede Form und Funktion gebracht und an das geforderte End-
of-Life-Szenario angepasst werden. Es ist wasserlöslich, biologisch abbaubar, kompostierbar und hinterlässt kein Mikroplastik. Wird CAMM mit Papier kombiniert, kann es als Verpackungslösung genutzt und in der Papiertonne entsorgt werden. 

Welche Anwendungen adressieren Sie mit dem Material?

N. Bergstein: Wir adressieren insbesondere Kunststoffanwendungen im Verpackungsumfeld, derzeit in der Logistik und im E-Commerce. Produkte wie Stretchfolien und papierbasierte Luftpolsterkissen sind bereits auf dem Markt. Zusätzlich steigen wir in medizinische und Lebensmittelverpackungen ein. 

Wo stehen Sie bei der Materialentwicklung?

N. Bergstein: Erste Anwendungen sind wie gesagt bereits auf dem Markt. Wir bieten auch Spritzgussteile aus CAMM an, die zum Beispiel Kunststoffkomponenten in professionellen Feuerwerksprodukten ersetzen und sich in der Natur vollständig biologisch abbauen. 2024 werden wir Lebensmittelverpackungen zur Markt­reife bringen. Unser Material erfüllt bereits heute die Anforderungen an Fettbeständigkeit sowie UV- und Sauerstoffbarriere – Eigenschaften, die zum Verpacken von Lebensmitteln notwendig sind. An weiteren Barrieren arbeiten wir intensiv. 

Eine Hürde zur Etablierung neuer Werkstoffe ist ihre Skalierbarkeit und kommerzielle Tragfähigkeit. Wie wollen Sie diese meistern?

N. Bergstein: Wir haben ein weltweites Ökosystem für jeden Teil der Liefer- und Wertschöpfungskette aufgebaut – vom Rohstoff über die Produktion bis in die Endfertigung und das Recycling. 2024 können wir etwa 15.000 t CAMM-Verpackungen produzieren. Die Kapazitäten werden global ausgeweitet, um Skalen­effekte zu realisieren. Wir achten auch darauf, dass unsere Partner ihre bestehende Maschineninfrastruktur für die Weiterverarbeitung nutzen können. Das schließt die größte Eintrittshürde aus und erlaubt Produktion und Vertrieb im kommerziellen Rahmen. 

Was ist Ihre Vision für CAMM, und welche Rahmenbedingungen müssen erfüllt sein, damit diese Vision Realität werden kann?

N. Bergstein: Wir wollen eine globale Lösung für die (Mikro-)Plastikverschmutzung schaffen. Daher wurden Material und Ökosystem so angelegt, dass zügig skaliert werden kann. Es braucht sowohl Regulierungen, die die Alternativen zu konventionellem Plastik fördern, als auch Investi­tionen, die in der Ramp-up-Phase unterstützen. Dank eines starken Investorennetzwerks kommen wir hier gut voran. Viele junge Unternehmen scheitern aber in dieser Phase. Was uns besonders hilft, sind Bekanntheit und Reichweite, wie die Anerkennung von CAMM als globale Lösung für das Mikroplastikproblem von der UNIDO. Das Zusammenbringen von Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Finanzwelt sehen wir als Schlüsselfaktor, um eine relevante Alternative zu herkömmlichem Plastik zu etablieren.

Zur Person

Nanda Bergstein verantwortet als Geschäftsführerin gemeinsam mit Gründer Christoph Bertsch den Unternehmensaufbau von CAMM Solutions. Bergstein studierte International Relations in Dresden und Bordeaux und absolvierte ihr Masterstudium an der London School of Economics and Political Science. Vor ihrem Einstieg bei CAMM Solutions 2022 war sie als Director Corporate Responsibility bei Tchibo für die Transformation hin zur vollständigen Nachhaltigkeit verantwortlich. Sie hat das Nachhaltigkeitsmanagement im Non-Food- und Kaffeebereich aufgebaut sowie Lösungen für Umwelt- und Sozialstandards vom Rohstoff bis zur Verwertung entwickelt. Für Veränderungen auf globaler Ebene gestaltete sie mit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft regionale und sektorspezifische Ansätze.

 CM   Business Idea

Ein nachhaltiger Plastikersatz

Die Beseitigung des (Mikro-)Plastikproblems ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Nur 9 % des weltweit produzierten Kunststoffs werden derzeit recycelt. Jedes Jahr kommen rund 350 Mio. t Abfall dazu. Mittlerweile ist Mikroplastik sogar Teil der Nahrungskette geworden. 

CAMM Solutions ist es gelungen, einen ganzheitlich nachhaltigen Ersatz für fossilbasierte Kunststoffe zu entwickeln. Mit einem Investment von circa 50 Mio. USD wurde eine patentierte Synergie aus dem umweltfreundlichen Polyvinylalkohol (PVOH) und weiteren ökologischen Materialien geschaffen. PVOH ist ein wasserlösliches, biologisch abbaubares Polymer und bisher vor allem von löslichen Wasch- oder Spülmittel-Pods bekannt. Lange Zeit konnten die nachhaltigen Eigenschaften von PVOH nicht nutzbar gemacht werden, da sich das Material bei höheren Temperaturen oder Wassereinwirkung zersetzt. 

Hier hat das Hamburger Start-up durch die Vermengung von PVOH mit anderen biologischen Bestandteilen einen Durchbruch geschafft und ein Material entwickelt, das je nach Produkterfordernis auch unter Hitze- und Wassereinwirkung stabil bleibt. Es lässt sich über industrielle Prozesse wie etwa Spritzguss- oder Blas-/Gießverfahren zu Bauteilen oder Folien verarbeiten.
Zusätzlich baut CAMM Solutions gemeinsam mit Partnern die weltweit erste grüne PVOH-Lieferkette auf.

CAMM kann wie Plastik für die Verpackung von Lebensmitteln und Non-Food-Gütern genutzt und recycelt werden. Als Verpackungsbarriere auf Papier lässt es sich in der Papiertonne entsorgen. Durch die Zugabe von Wasser im Recyclingprozess löst sich CAMM schnell in seine ursprünglichen Bausteine Sauerstoff, Kohlenstoff und Biomasse auf. Die Papierfasern lassen sich vollständig wiederverwerten. Dabei bleibt kein Nano- oder Mikroplastik zurück. Für die Kommerzialisierung und Skalierung hat CAMM Solutions ein weltweites Ökosystem für jeden Teil der Liefer- und Wertschöpfungskette aufgebaut – vom Rohstoff über die Produktion bis in die Endfertigung und das Recycling. Namhafte Investoren und Unternehmer unterstützen das Start-up, um das mittlerweile skalierbare Modell weltweit aufzubauen. 


CAMM Solutions GmbH, Hamburg


Logo

 CM   Elevator Pitch

 

Vom Material zum System

CAMM Solutions wurde 2019 von dem Entrepreneur Christoph Bertsch gegründet. Zu Beginn stand die Entwicklung des CAMM-Materials und seiner Anwendungen sowie der Aufbau von Pilot-Produktionskapazitäten für eine global skalierbare Lösung im Fokus. Denn die Erfahrung zeigt, dass nachhaltige Materialien und Produkte selten von sich aus kommerziell tragfähig und skalierbar sind. Sie müssen erst so gestaltet werden. Daher wurde ein Ökosystem aufgebaut, in dem sich Unternehmer, Aktivisten und Wissenschaftler zusammengefunden haben, um als Gesellschafter, Partner und Mitarbeitende zentrale Komponenten für die Skalierung zu entwickeln. 

Meilensteine

  • 2019: Gründung von CAMM Solutions
     
  • 2020/21
    - Aufbau des Ökosystems aus Shareholdern und Partnern entlang der Wertschöpfungskette
    - Aufbau von F&E und Pilotlaboren für die Anwendungsbereiche Film, Folie und Hartkunststoff
    - Gründung von Joint Ventures mit Tchibo (Kaffeeapplikationen) und Soundwave (Festivals)
     
  • 2022: Fokus auf Materialforschung & -entwicklung und geeigneten Applikationen
     
  • 2023
    - Industrialisierung von Stretchfolie und Luftpolsterkissen
    - Entwicklung einer innovativen CAMM-Alternative für Spritzgussanwendungen
    - Erweiterung der Produktionskapazitäten durch zweites Werk in Spanien
    - Anerkennung als globale Lösung für das Mikroplastik­problem durch die UN-Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO)


Roadmap

  • 2024/2025
    - Aufbau von geschlossenen Recyclingkreisläufen für Folienanwendungen und Spritzgussteile
    - Industrialisierung weiterer Spritzgussprodukte und Lebensmittelverpackungen wie Take-away-Schachteln und -Becher
    - Erhöhung der Verfügbarkeit des CAMM-Materials auf bis zu 100.000 t/a 
    - Ausbau der Produktions­kapazitäten u. a. in den USA
    - Aufbau einer grünen PVOH-Lieferkette

  

   

  

 

Ein Dank gebührt den Sponsoren des CHEManager Innovation Pitch, die diese Veröffentlichung mit ermöglichen!



BioCampus Straubing Sponsor CHEManager Innovation Pitch

 

                           

    Ruhr-IP Sponsor CHEManager Innovation Pitch  

Siemens Sponsor CHEManager Innovation Pitch

 

 

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