Strategie & Management

IP-Schutz in Chinas Chemieindustrie

In China steigt das Eigeninteresse am Schutz des geistigen Eigentums Autorenzeile: siehe Print

20.04.2022 - Der Schutz von geistigem Eigentum bzw. Intellectual Property (IP) ist immer ein wichtiges Thema für multinationale Chemieunternehmen gewesen, die in China aktiv sind oder sein wollen.

IP umfasst sowohl Patente als auch andere Geschäftsgeheimnisse (trade secrets), wie Prozessbeschreibungen, Kundenlisten usw.

Formalrechtlich genießen sowohl Patente als auch Geschäftsgeheimnisse in China gesetzlichen Schutz. Trotz dieser an sich klaren Gesetzeslage unterliegt die praktische Ausgestaltung immer noch deutlicher Kritik insbesondere von ausländischen Unternehmen und deren Organisationen. Die US-amerikanische Handelskammer forderte z. B. in dem im Februar 2021 herausgegebenen internationalen IP-Index China auf, die Situation zu verbessern. In diesem Index erreichte China global nur den 24. Platz und liegt damit hinter fast allen Industrienationen.

Einige Kritik an Chinas IP-Situation bezieht sich explizit auf die Chemieindustrie. Nach einer Umfrage der amerikanischen Handelskammer beschränken z. B. 32 % der befragten Chemieunternehmen aufgrund des unzureichenden IP-Schutzes ihre Forschungsaktivitäten in China. Einige Chemieunternehmen bauen aus demselben Grund in China lokale Produktion auf, ohne gleichzeitig lokale Forschung zu etablieren. Die Umfrage ergab außerdem, dass 58 % der befragten Chemieunternehmen mangelnden IP-Schutz als Hinderungsgrund für Geschäftsaktivitäten in China ansehen.

Fortschritte beim IP-Schutz

Andererseits hat es gerade in den letzten Jahren deutliche Verbesserungen gegeben. Gegenüber 2020 hat sich z. B. Chinas Position in dem erwähnten IP-Index um vier Plätze verbessert, womit der Trend der letzten Jahre weiter anhält. Maßnahmen, die zur Verbesserung des IP-Schutzes beigetragen haben, beinhalten z. B.:

  • die grundlegende Überarbeitung und Verbesserung der IP-Gesetzgebung in den letzten zwei Jahren, teilweise im Rahmen der Umsetzung eines Handelsabkommens mit den USA (mit separatem Kapitel zu Intellectual Property).
  • die Etablierung dreier spezialisierter IP-Gerichtshöfe in Schanghai, Peking und Guangzhou, etwa 20 spezialisierter IP-Abteilungen und einer neu eingerichteten IP-Abteilung des Obersten Gerichtshofes, die nationale Jurisdiktion in Berufungsverfahren hat. Die Nutzung dieser IP-Gerichte ist von 2019 auf 2020 um mehr als 100 % angestiegen, und die durchschnittliche Dauer eines Verfahrens wurde auf weniger als sechs Monate reduziert.
  • die Verabschiedung administrativer Regeln zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen sowie von Richtlinien, die die Implementation von Gerichtsurteilen zu Geschäftsgeheimnissen regeln.
  • die Ausweitung der von ausländischen Unternehmen ohne inländische Partner durchführbaren Projekte (insbesondere im Bereich Petrochemie) – dies bedeutet, dass die Gefahr für IP-Abfluss in diesen Projekten ebenfalls reduziert wird.

Ein wichtiger Grund für die Verbesserung der IP-Situation in China ist, dass mehr und mehr chinesische Unternehmen selbst wertvolle Technologien entwickelt haben und diese schützen wollen. Auch eines der Kernthemen der chinesischen Wirtschaftspolitik, die Förderung von Innovation, erfordert einen verbesserten Schutz von IP, um entsprechende finanzielle Anreize für inländische Forschung zu schaffen. Es ist also nicht nur der Druck aus dem Ausland, der zu Fortschritten führt.
Die folgenden Beispiele sollen zeigen, wie sich der verbesserte IP-Schutz in konkreten Streitfällen darstellt:

Im Februar 2021 urteilte die für IP zuständige Abteilung des Obersten Volksgerichtshofs, dass der Chemieproduzent Wanglong Technology Schadensersatz an Zhonghua Chemical in Höhe von etwa 25 Mio. USD zahlen müsse. Die Strafe wurde für den Diebstahl von Geschäftsgeheimnissen im Zusammenhang mit dem Aromastoff Vanillin auferlegt und ist die höchste jemals in China für diese Tat ausgesprochene Strafe. Die Höhe der Strafe wurde primär anhand des erlittenen tatsächlichen Schadens ermittelt und liegt damit weit über den eher niedrigen gesetzlichen Schadensersatzsummen.
Im November 2020 sprach ein IP-Gericht in Guangzhou dem Chemieunternehmen Guangzhou Tinci eine Entschädigung in Höhe von 4,6 Mio. USD für den Diebstahl einer Herstellungstechnologie von Carbomer-Gel zu. In der Schadensfeststellung schätzte das Gericht die durch den Beklagten erzielten Gewinne auf etwa 1,8 Mio. USD ein und wandte darauf den Faktor 2,5 an.

Im Oktober 2020 gewannen Dow und Johnson Matthey vor einem chinesischen Gericht eine Klage gegen Shanjun Clean Energy Technology und erwarten finanzielle Entschädigung. Gegenstand der Klage war die illegale Nutzung einer proprietären Technologie zur Herstellung von Oxoalkoholen.
Anfang 2021 gewann DSM vor Gericht gegen Anhui Tiger Biochem­ical und Anhui Tiger Vitamin Industry. Tiger kann nun ein wichtiges Biotin-Zwischenprodukt nicht mehr mit einem von DSM patentierten Verfahren herstellen. Tatsächlich werden die meisten IP-Gerichtsverfahren, in denen ausländische gegen einheimische Unternehmen vorgehen, von ersteren gewonnen, was darauf hindeutet, dass das System in China möglicherweise besser ist als sein Ruf im Westen.
Kurz hingewiesen sei hier noch auf den nicht seltenen Fall von IP-Diebstahl von westlichen Chemie­unternehmen (z.B. BASF, Lanxess, Dow, Sekisui, Chemours) durch chinesische (und natürlich andere) Angestellte außerhalb Chinas. In diesen Fällen stellt also nicht die lokale chinesische Präsenz der betroffenen Unternehmen die Bedrohung des geistigen Eigentums dar. Entsprechende Schutzmaßnahmen für IP sind daher generell und ortsunabhängig sinnvoll und z.B. in einem immer noch aktuellen CHEManager-Artikel von SquirePattonBoggs gut beschrieben.

Fazit

Zusammengefasst kann das metaphorische „IP-Schutz-Glas“ ­Chinas also je nach Geisteshaltung als halb voll oder als halb leer angesehen werden. Ein Statement für die Fortschritte Chinas beim Schutz des geistigen Eigentums stammt von Liu Wei, Assoziierter Professor an der Shanghai Jiaotong University: “Der IP-Schutz in China hat große Fortschritte gemacht.” Dagegen argumentiert der American Chemistry Council (ACC): “Obwohl China große Fortschritte im IP-Bereich gemacht hat, ist die Implementation des Schutzes geistigen Eigentums noch lückenhaft.”
Der Konsens ist jedoch, dass das Glas in Zukunft voller und nicht leerer werden wird. China entwickelt sich allmählich von einem Nettoimporteur an Innovation zu einem Nettoexporteur, wodurch das Eigen­interesse am IP-Schutz naturgemäß steigt. Auch der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Länder wie Japan und Südkorea bis zum Erreichen eines Pro-Kopf-Bruttosozialprodukts von ungefähr 20.000 bis 25.000 USD serienweise internationale Patente verletzten – China liegt derzeit bei etwa 10.000 USD. China scheint auf dem richtigen Weg zu sein.

 

Autor: Kai Pflug, Management Consulting - Chemicals

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