China und der Westen
Handelsbeschränkungen und ihre Folgen für die Weltwirtschaft
Als Managementberater für Chemieunternehmen bestand eine meiner Aufgaben in den letzten Monaten nicht darin, bestimmte Chemikalien, Strategien oder Märkte zu untersuchen, sondern einem Unternehmen dabei zu helfen, die möglichen Folgen eines Wahlsiegs Trumps für sein umfangreiches Chinageschäft einzuschätzen. Die Tatsache, dass der CEO des Unternehmens an einem Workshop zu diesem Thema teilnahm, unterstrich dessen Bedeutung noch mehr. Während CEOs von Chemieunternehmen vermutlich schon immer die globalen politischen Entwicklungen im Auge behalten mussten, scheint dieser Aspekt inzwischen zu einer ihrer Hauptaufgaben geworden zu sein.
In der Tat haben sich in den letzten Monaten die Anzeichen für eine Zweiteilung der globalen Chemieindustrie massiv verstärkt, mit China auf der einen und dem Westen auf der anderen Seite. Auch die anderen Regionen tendieren eher zur einen oder anderen Seite (Indien zum Westen, einige arabische Länder eher zu China).
„In den letzten Monaten haben sich die Anzeichen für eine Zweiteilung der globalen Chemieindustrie massiv verstärkt.“
Handelskonflikte nehmen zu
Beispiele für erhöhte Spannungen gibt es viele. Eines der jüngsten Ereignisse war die Verhängung massiver Einfuhrzölle auf Artikel wie Elektrofahrzeuge, Lithiumbatterien und Solarzellen durch die Biden-Regierung Mitte Mai. An der Wertschöpfung all dieser Produkte hat die chinesische Chemieindustrie erheblichen Anteil. Die USA forderten außerdem japanische Unternehmen auf, den Export von Spezialchemikalien für die Chipherstellung nach China zu begrenzen.
Die Europäische Union hat kürzlich Antidumping-Zölle auf PET-Importe aus China verhängt, mit der Begründung, dieses Material sei zu künstlich niedrigen Preisen auf den europäischen Markt gepusht worden. Für Elektrofahrzeuge aus China erwarten Experten in den nächsten Monaten die Verhängung von Zöllen zwischen 15 % und 30 %.
Brasilien hat Antidumping-Untersuchungen gegen Polyetherpolyole und Titandioxid mit Ursprung in China eingeleitet. Solche Initiativen aus Brasilien sind angesichts der sehr positiven Gesamthandelsbilanz Brasiliens mit China bemerkenswert.
Indien hat in letzter Zeit besonders aktiv Antidumping-Untersuchungen gegen China eingeleitet, da mehrere indische Unternehmen Schwierigkeiten haben, mit billigeren Chemikalienimporten aus China zu konkurrieren. Laut dem Indian Express betrafen 60 % der 46 Antidumpingzölle, die in den letzten drei Jahren erhoben wurden, ausschließlich Waren aus China. Weitere 26 % betrafen Waren aus China und mindestens einem weiteren Land. Viele dieser Zölle betreffen Chemikalien, und die Akzeptanzrate der beantragten Zölle durch die entsprechenden indischen Behörden hat sich in den letzten Jahren verdoppelt. All dies unterstreicht die besondere Bedeutung des Chemikalienhandels als Brennpunkt der Handelskonflikte zwischen den beiden Ländern.
China reagiert
Vermutlich als Reaktion darauf leitete China eine Antidumping-Untersuchung gegen Importe von Polyoxymethylen (POM)-Copolymeren aus der EU, den USA, Japan und Taiwan ein und droht mit weiteren Zöllen. In Bezug auf Indien leitete China eine ähnliche Untersuchung gegen Importe von Cypermethrin ein, einer Chemikalie, die zur Herstellung von Insektiziden verwendet wird. China verhängte kürzlich auch Antidumping-Zölle auf Propionsäure aus den USA.
Chinas andere Hauptreaktion besteht darin, Maßnahmen zu ergreifen, um die Abhängigkeit von Importen zu verringern, insbesondere in Bereichen, die als strategisch angesehen werden. So sind etwa Chinas Chiphersteller dabei, die Versorgung mit wichtigen Chipmaterialien und Chemikalien zu lokalisieren, um den US-Exportkontrollen zu entgehen.
Chinesische Überkapazitäten und politischer Druck
Es scheint vor allem zwei Grundursachen für die Verschärfung des Handelskonflikts zu geben, die auf völlig unterschiedlichen Ebenen liegen.
Erstens hat China seine Produktionskapazitäten für Chemikalien in letzter Zeit massiv ausgebaut und tut dies weiterhin – einer Schätzung zufolge werden 81 % der weltweiten neuen Chemiekapazitäten im Jahr 2024 (nach Volumen) in China errichtet. Gleichzeitig hat sich das Wachstum der Inlandsnachfrage – zumindest nach Basischemikalien – von jährlich rund 10 % auf nur noch rund 3 % verlangsamt. All dies zwingt chinesische Unternehmen dazu, sich zunehmend auf den Export von Chemikalien als zusätzliche Umsatzquelle zu konzentrieren. Gleichzeitig sind sie aufgrund ihrer typischerweise großen und modernen Anlagen auf dem Weltmarkt generell sehr wettbewerbsfähig.
Dies hat Auswirkungen auf viele andere Länder. In der Europäischen Union wird die Schließung einer Reihe von Crackern prognostiziert, da diese im Vergleich zu chinesischen Crackern klein und nicht wettbewerbsfähig sind. Deutschland, traditionell eine Hochburg in Sachen Chemieproduktion, wies 2022 und 2023 erstmals eine negative Chemikalien-Handelsbilanz mit China auf. In Indien stehen Spezialchemikalien und insbesondere Agrochemikalien unter dem Druck chinesischer Importe, wodurch Unternehmen wie UPL Herabstufungen ihrer Kredit-Ratings erhalten und unter sinkender Rentabilität leiden. Angesichts der Tatsache, dass China seine Ausgaben für Forschung und Entwicklung erhöhen will und seine Produktionskapazitäten für Chemikalien weiter ausbaut, dürfte dieser Druck auf die Chemieindustrie außerhalb Chinas zunehmen und sich auf immer mehr Bereiche der Spezialchemie ausweiten. Zudem ist China in einigen neueren Bereichen wie Chemikalien für Solarzellen und Lithiumbatterien bereits technologisch führend.
Der andere Faktor für die Verschärfung des Handelskonflikts ist die Popularität des China-Bashings, insbesondere in den USA. Dies scheint einer der wenigen Bereiche zu sein, in denen sich Trump und Biden einig sind. Das führt zu einer Eskalation der antichinesischen Regulierung, in einem fehlgeleiteten Versuch, den politischen Gegner in Sachen Patriotismus zu übertrumpfen. Die Fentanyl-Krise in den USA verschärft die Situation noch, aber die Schuld dafür primär China zuzuschieben, ignoriert die hausgemachten Ursachen der Krise.
Reaktionen der Unternehmen: Gehen oder bleiben?
Die einzelnen Chemieunternehmen reagieren auf diesen Konflikt unterschiedlich. Viele konzentrieren ihre Produktion in China auf den chinesischen Markt („in China für China“) und verringern so die Abhängigkeit von Handelsbeschränkungen zwischen den beiden Blöcken. Astra Zeneca kündigte kürzlich die Einrichtung einer separaten Lieferkette für China an, mit einem Werk in Qingdao, das nur den chinesischen Markt bedient – vermutlich ein Back-up-Plan für den Fall, dass sich die Handelsaufspaltung verschärft. Angesichts der enormen Größe einiger der Investitionen, wie etwa der von BASF in Zhanjiang in der südchinesischen Provinz Guangdong, ist dies jedoch möglicherweise nicht immer realistisch. Andere – insbesondere mehrere südkoreanische und japanische Chemieunternehmen – haben ihre Präsenz in China reduziert, insbesondere in Rohstoffsegmenten und Segmenten mit starker Konkurrenz durch chinesische Akteure.
Die negativen Folgen der Handelsaufspaltung
Abgesehen davon wird die Handelsaufspaltung auch weitreichendere Folgen für die Weltwirtschaft als Ganzes haben – und die meisten dieser Folgen werden negativ sein. So basieren bspw. zwei von Eli Lilly vermarktete Medikamente zur Gewichtsabnahme und gegen Diabetes auf Wirkstoffen von WuXi AppTec, einem Unternehmen, das von US-Politikern ins Visier genommen wurde („WuXi AppTec ist ein Biotechnologieunternehmen mit Sitz in der Volksrepublik China und eng mit der Volksbefreiungsarmee verbunden“, so der Senator Gary Peters.) und könnten daher schwieriger herzustellen sein.
Während das Risiko teurerer Medikamente zur Gewichtsabnahme erträglich erscheint, spielen chinesische Exporte auch im Kampf gegen den Klimawandel eine wichtige Rolle. Dies gilt sowohl für Solarzellen als auch für Lithiumbatterien, wichtige Komponenten zur Dekarbonisierung der Weltwirtschaft. Für beide ist China der bei weitem wichtigste und billigste Produzent – jegliche Beschränkungen chinesischer Exporte werden daher entweder die Kosten der Dekarbonisierung massiv erhöhen oder ihre Geschwindigkeit verlangsamen (höchstwahrscheinlich beides).
Und schließlich leistet China einen großen Beitrag zur weltweiten Nahrungsmittelversorgung. Berichten zufolge stammen mehr als 50 % aller aktiven Agrochemiewirkstoffe aus China oder enthalten kritische Komponenten, die aus dem Land bezogen werden. Lieferbeschränkungen für diese Chemikalien gefährden daher auch die weltweite Nahrungsmittelversorgung.
Ein aktuelles Beispiel außerhalb der Chemiebranche deutet darauf hin, dass viele westliche Beschränkungen gegenüber China am Ende ohnehin nach hinten losgehen könnten. Die Low-End-KI-Chips, die Nvidia noch immer nach China exportieren darf, sind offenbar so leistungsschwach, dass Huawei, der heimische Marktführer in diesem Bereich, einen enormen Auftrieb erhalten hat. Es ist durchaus möglich, dass Beschränkungen in chemischen Bereichen wie Elektronikchemikalien auf lange Sicht ähnliche Auswirkungen haben werden.
Kai Pflug, Management Consulting – Chemicals, Schanghai, China