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Die Chemie im Fokus für Emissionsreduzierungen

Chinas Klimapolitik hat tiefgreifende Auswirkungen auf die chemische Industrie – positive wie negative

21.02.2024 - Auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen im September 2020 präsentierte Chinas Präsident Xi Jinping die Ziele seines Landes zur Reduzierung der Kohlendioxidemissionen.

Diese Ziele sind heute als „Dual Carbon Goals“ (DCGs) bekannt und beinhalten den Höchststand der CO2-Emissionen vor 2030 und die Emissionsneutralität vor 2060. Damit liegt China beim Ziel der Klimaneutralität irgendwo in der Mitte zwischen Spitzenreitern wie Deutschland (2045) und weniger entwickelten Ländern wie Indien (2070).

Die aktuellen CO2-Emissionen Chi­nas stammen hauptsächlich aus der Verbrennung von Kohle, die im Jahr 2022 mehr als 70 % der CO2-Emissionen des Landes ausmachte. Auch die chinesische Chemieindustrie ist stark auf Kohle als Hauptenergiequelle angewiesen – Kohle machte im Jahr 2020 etwa 56 % des gesamten Energieverbrauchs der Chemie­industrie aus.
Infolgedessen trug die chemische Industrie im Jahr 2020 etwa 17 % zu den CO2-Emissionen der chinesischen Industrie und etwa 11 % zu den chinesischen Gesamtemissionen bei (diese Zahlen variieren je nach Quelle etwas). Daher haben ernsthafte Bemühungen zur Emissionsreduzierung tiefgreifende Auswirkungen auf die Branche, sowohl im positiven als auch im negativen Sinne.

Bedrohung für die Kohlechemie

Negative Folgen sind am wahrscheinlichsten für diejenigen Segmente der chemischen Industrie, die die höchsten Emissionen aufweisen. Die fünf größten Segmente sind die Ölraffination sowie die Produktion von Methanol, Ammoniak, Ethylen und modernen Kohlechemikalien. Insbesondere betroffen sind diejenigen, die Kohle direkt als Rohstoff nutzen. Unter den Top 10 der aus Kohle hergestellten Chemikalien sind Methanol und Ammoniak mit Abstand die größten, ihr Anteil beträgt jeweils etwa 30 % der Gesamtmenge. Der Anteil dessen, was als „moderne Kohlechemie“ bezeichnet werden kann (Kohle-zu-Gas, Kohle-zu-Flüssigkeiten, Kohle-zu-Ethylen­glykol) war 2020 mit etwas über 10 % noch relativ gering, wird allerdings steigen, da weiterhin neue Anlagen gebaut werden.

 

Die chinesische Chemieindustrie
ist stark auf Kohle als Hauptenergiequelle
angewiesen.



Dies deutet auf einen Widerspruch in der chinesischen Politik hin. Durch die Erweiterung der Kapazität dieser Anlagen – die jahrzehntelang betrieben werden müssen, um ihre Investition zu rechtfertigen – wird Chinas Kohlendioxidgehalt auf einem wesentlich höheren Niveau gehalten als ohne solche Anlagen. Der in dieser Politik enthaltene Widerspruch spiegelt einen umfassenderen Konflikt zwischen relativ kurzfristigen Zielen (wie der Stabilisierung der Wirtschaft, der Schaffung von Arbeitsplätzen in den abgelegenen Regionen, in denen der größte Teil der Kohle Chinas liegt) und strategischen Zielen (wie höherer wirtschaftlicher Autonomie durch Verringerung der Abhängigkeit von Ölimporten) einerseits und längerfristigen Emissionszielen andererseits. Zumindest in diesem Bereich scheint die erste Zielsetzung Vorrang vor der zweiten zu haben. Allerdings muss man fairerweise sagen, dass die Zahl der Kohlechemieprojekte bereits zurückgegangen ist und für neue Anlagen strengere Umweltauflagen gelten.

CCUS: Eine Lösung?

Eine mögliche Lösung, um die Emissionen von Kohlechemieprojekten zumindest zu reduzieren, ist der Einsatz von CCUS-Projekten (Carbon Capture, Utilization and Storage, also die Isolierung und Lagerung von Kohlendioxid). Nach Angabe einiger Quellen sind in China bereits fast 100 solcher Projekte mit einer Gesamtkapazität von etwa 4 Mio. t CO2 in Betrieb oder im Bau. So transportiert bspw. die Yulin Coal Chemical Company abgeschiedenes und verflüssigtes Kohlendioxid 150 km weit zu einem Ölfeld und verbessert so auch die Ölausbeute. Andererseits dürften mehrere Bereiche der chinesischen Chemieindustrie von Chinas Reduzierung der CO2-Emissionen profitieren.

Vorteile für viele Chemiesegmente Biokunststoffe

Die chinesische Regierung fördert die Produktion und Verwendung von Biokunststoffen wie PLA, die nachhaltig aus natürlichen Rohstoffen hergestellt werden können. Derzeit ist die Rolle solcher biobasierten Polymere noch recht begrenzt, aber ihre Förderung stellt einen ersten Schritt weg von fossilen Quellen für Kunststoffe und hin zu erneuerbaren, klimaneutralen Kunststoffen dar. Darüber hinaus dürfte die Entwicklung der Technologie und Anwendungen für solche neuen Polymere chinesischen Chemieunternehmen dabei helfen, gegenüber ausländischen Konkurrenten mit deutlich mehr Fachwissen im Bereich traditioneller Polymere aufzuholen.

Elektrifizierung
China hat sich bereits als führender Hersteller von Elektrofahrzeugen und den dazugehörigen Materialien wie Batterien etabliert. Vor allem dank großer staatlicher Unterstützung machte China im Jahr 2022 fast 60 % des weltweiten Elektrofahrzeugabsatzes aus und hat sich auch zu einem starken Automobilexporteur entwickelt, was teilweise auf Elektrofahrzeuge zurückzuführen ist. Die mit Batterien für Elektrofahrzeuge verbundenen Chemiesegmente haben davon bereits profitiert und werden dies vermutlich in Zukunft weiterhin tun.

Stromerzeugung
China fördert bereits jetzt nachhaltig erzeugten Strom. Der 14. Fünfjahresplan (2021 – 2025) sieht eine Steigerung der gesamten installierten Wind- und Solarstromerzeugungskapazität von 634 GW Ende 2021 auf 1.200 GW bis 2025 vor. China ist auch führend bei der Erlangung von Patenten in Bereichen wie Perowskit-Solarzellen. Im Jahr 2021 reichte China 70 Anträge ein, mehr als Südkorea und Japan, die bisherigen Spitzenreiter, zusammen.
China ist weiterhin unangefochtener Marktführer in der Solarstrom­erzeugung und auch der größte Hersteller von Solarmodulen, auf den etwa 80 % der weltweiten Produktion entfallen. Von diesem großen Anteil profitieren eindeutig Chemie­unternehmen, die die notwendigen Materialien für die Produktion von Solarzellen bereitstellen.

Neuartige Produktionsprozesse
Um letztendlich CO2-Neutralität zu erreichen, prüft China auch chemische Produktionsprozesse, die dieses Ziel unterstützen können. So wurde kürzlich in Henan die weltweit erste Anlage zur Umwandlung von Kohlendioxid in Methanol im kommerziellen Maßstab in Betrieb genommen, die als Ausgangsstoffe in Produktionsprozessen anfallendes Kohlendioxid und Wasserstoff verwendet.
Ein weiteres neuartiges Verfahren zur Herstellung von Ameisensäure könnte auf einer von chinesischen und neuseeländischen Forschern entwickelten Membran basieren. Die Membran ermöglicht die effiziente Umwandlung von Kohlendioxid in Ameisensäure und erlaubt so die Produktion dieser Chemikalie unter negativer CO2-Emission.

Wasserstoffwirtschaft
Mehrere chinesische Chemieunternehmen, darunter der staatliche Petrochemiekonzern Sinopec, sind aktiv am Aufbau der Wasserstoffwirtschaft beteiligt, die allgemein als Voraussetzung für die Erreichung des Netto-Null-Ziels gilt. Im Jahr 2021 legte das Unternehmen den Plan vor, landesweit führend bei grünem Wasserstoff zu werden – obwohl der Großteil des vom Unternehmen produzierten Wasserstoffs derzeit noch aus Gas und Kohle stammt. Aber einige Projekte wie ein Großprojekt zur Erzeugung von grünem Wasserstoff in Xinjiang – angeblich das größte Solar-zu-Wasserstoff-Projekt weltweit – deuten auf die Ambitionen von Sinopec hin (obwohl dieses spezielle Projekt auf Probleme gestoßen ist und derzeit nur mit 20 % seiner Kapazität betrieben wird).

Klimaüberlegungen und Nationalismus deuten oft auf eine ähnliche Politik hin

Es ist schwer zu sagen, ob die Förderung dieser genannten Bereiche eher auf Bedenken hinsichtlich des Klimawandels zurückzuführen ist oder auf den Wunsch, aufstrebende Bereiche, in denen westliche Länder keinen anfänglichen Vorteil haben, als Chancen zu nutzen, um China zu einem globalen Technologieführer zu machen. Angesichts des Hintergrunds und der früheren Äußerungen von Xi Jinping sowie der zwiespältigen Haltung Chinas gegenüber Kohlechemikalien werden viele seine Glaubwürdigkeit als chinesischer Nationalist höher einschätzen als seine Glaubwürdigkeit als Umweltschützer. In mancher Hinsicht ist dies jedoch weniger wichtig, solange häufig beide Beweggründe dazu führen, dass China einen Weg hin zu geringeren Emissionen einschlägt.

Autor: Kai Pflug, Management Consulting - Chemicals, Schanghai,
China

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