Innovative Geschäftsmodelle in der Chemiebranche
Blinder Aktivismus ist keine Lösung
In ihrer Vielfältigkeit hat die deutsche Chemieindustrie derzeit einen gemeinsamen Nenner: Die Unvorhersehbarkeit. Volatile Konjunkturzyklen, steigende Rohstoffpreise, unsichere Entwicklungen in der Binnennachfrage sowie politische und wirtschaftliche Unwägbarkeiten in traditionellen Abnehmer- und Exportmärkten setzen die Branche unter Druck. Die Konsequenz: Strategische Planung ins Blaue hinein? Ganz im Gegenteil. Für eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung muss das Geschäftsmodell auf die Höhe der Zeit gebracht werden - robust gegen externe, nicht zu beeinflussende Schwankungen, zukunftsfähig und profitabel.
Spielregeln im Umbruch
Zur Sicherung von Wettbewerbsvorteilen sollten aktuelle Trends als Differenzierungsmerkmale genutzt und in das Geschäftsmodell integriert werden. Konkret bedeutet das: Wertschöpfung, Marktauftritt, Finanzierung aber auch Unternehmensorganisation und -kultur müssen auf den Prüfstand. Heutzutage reicht es nicht mehr, einzelne Bausteine des Geschäftsmodells anzupacken. Eine neue Vertriebsstrategie ohne die daran angepasste Wertschöpfungsarchitektur, die die Anstrengungen im Vertrieb unterstützt, verpufft im Markt und lässt verärgerte Kunden zurück. Auch eine schlecht vorbereitete oder durchgeführte Internationalisierungsstrategie führt schnell ins unternehmerische Chaos und verfehlt die eingeplanten Cash-Flows, weil lokale Marktanforderungen nicht sauber ausgeleuchtet wurden und so Leistungsangebot und Kundenerwartung nicht überlappen.
Analysiert man die Quartalsergebnisse deutscher Chemieunternehmen, dann melden die meisten im ersten Quartal einen schwierigen Jahresstart. Konnte teilweise noch ein Umsatzanstieg erzielt werden, vermelden die Firmen unisono einen Ertragsrückgang. Die Aussichten sind von Hoffnung geprägt, doch die Spielregeln des Marktes unterliegen einem rasanten Wandel. Steigende Anforderungen in der Umsetzung gesetzlicher Vorschriften, als bestes Beispiel sei REACh genannt, ein Wertewandel bei Verbrauchern und B2B-Einkäufern in Bezug auf Nachhaltigkeitsaspekte sowie die Herausforderungen des Industriestandorts Deutschland als Hochkostenland werfen viele zusätzliche Fragen auf: Wie bekommt man die massiven formalistischen und finanziellen Belastungen im internationalen Wettbewerb in den Griff? Und wie geht man mit Themen wie der Reduzierung des CO2-Footprints, Erhöhung der Energieeffizienz, Verminderung des Primärrohstoff-Verbrauchs zugunsten von Rezyklatverarbeitung oder Wasser als Ressource um? Und: Welche „echten" Innovationen schaffen in diesem Zusammenhang Wettbewerbsvorteile, die einen Ausweg aus der Kostenschere zwischen sinkenden Verkaufspreisen bei gleichzeitigen Kostennachteilen in der Fertigung bedeuten?
Veränderung auch von innen
Der Veränderungsdruck ist hoch, wer auf Unterstützung aus der Politik für die Chemieindustrie wartet, wartet vergebens. Vielmehr ist das Management der Chemieindustrie in der Pflicht, Antworten zu finden - und das Geschäftsmodell entsprechend anzupassen. Geht es darum, seine „Robustheit" und „Zukunftsfähigkeit" in einer Art Stresstest auf den Prüfstand zu stellen, müssen sowohl Marktbearbeitung (wie Produktangebot, Kommunikation und Vertrieb) als auch Leistungserstellung (wie Organisation, Wertschöpfungsarchitektur, Prozesse) schonungslos analysiert werden. Ein kritischer Blick auf die Finanzierung darf ebenso wenig fehlen. Da die Wandlungsbereitschaft immer im Unternehmen selbst beginnt, darf nicht allein externen Faktoren der „schwarze Peter" zugeschoben werden. Viele Unternehmen der Chemieindustrie sind mittelständisch geprägte oder Familienunternehmen, die die Kultur der Loyalität zum Arbeitgeber sorgfältig pflegen. Dies mag viele Vorteile in Sachen Know-how-Sicherung bringen, steht jedoch einer offenen Veränderungskultur im Weg. Ohne „frischen Wind von außen" fällt es manchmal schwer, die Notwendigkeit für Veränderungen zu erkennen und anzustoßen. Deshalb ist es besonders wichtig, alle Mitarbeiter in die Umsetzung einer neuen Zukunftsstrategie einzubinden.
Ein Muss: Der „Blick nach vorn"
Viele dieser Themen haben bereits Eingang in die Führungsetagen der Chemischen Industrie gefunden, allerdings fehlt der systematische und integrative Umgang damit. Ein auf Dauer robustes und tragfähiges Geschäftsmodell beginnt mit der (vermeintlich banalen) Frage, wie das eigene Unternehmen die sich verändernden Märkte und Marktanforderungen adressieren muss, um im täglichen Streben nach Differenzierung gegenüber Wettbewerbern das passende Leistungsspektrum anzubieten. Oft wird aus der Retrospektive geschlossen, wie sich die Märkte und ihre Anforderungen in Zukunft darstellen - und genau hier liegt das Problem vieler strategischer Planungen, die in ein erfolgloses Geschäftsmodell münden.
Ein Zukunftsszenario zu entwickeln, ist mehr als Trendanalyse. Es ist das ganzheitliche Auseinandersetzen mit den Anforderungen von Morgen und Übermorgen und der Frage, wie das eigene Unternehmen sich daran ausrichten muss. Dieses Ausrichten endet nicht auf der Marktseite, sondern schließt erfolgsentscheidend die Wertschöpfungsarchitektur ein: Wie ist die optimale Standort-Struktur zu gestalten, reichen die derzeitigen Produktionsstätten oder müssen neue - möglicherweise in Wachstumsmärkten - hinzukommen? An welcher Stelle müssen die Strukturen und Abläufe gezielt verändert werden, um den zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden? Dabei tappen Unternehmen oft in die Komplexitätsfalle. Um vermeintlich besser zu werden, wird einfach alles kurzerhand aufgebläht: Globalere Vertriebsstrukturen, mehr Produktionsstätten, zusätzliche Produkte - und die Unternehmensleitung wundert sich, dass mit dem Umsatz- kein Ertragswachstum einhergeht. Die Konfiguration eines stabilen Geschäftsmodells beinhaltet auch die Frage nach dem, was zukünftig nicht mehr gebraucht wird. So kann dem Risiko unkontrollierter, wertvernichtender Komplexität mit mangelnder Steuerbarkeit als Folge vorgebaut werden.
Konfigurationsebene als Kernpunkt
Entschieden wird über Erfolg und Misserfolg des Geschäftsmodells in der Synchronisation der Konfigurationsebene, wo Marktwirkung und interne Wertschöpfung zusammentreffen. Hier werden die Weichen für den nachhaltigen Unternehmenserfolg gestellt. Wofür steht das eigene Unternehmen und wie gelingt die Differenzierung in der mannigfaltigen Wettbewerbslandschaft? Ist das „besser sein" oder „anders sein als andere" der Schlüssel zum Erfolg? Oft wird hier auf die Innovationsstärke der deutschen Chemieunternehmen als Stütze der Wettbewerbsfähigkeit verwiesen. Grundsätzlich richtig, wird dabei übersehen, dass ein systematisches Screening außerhalb tradierter Abnehmerbranchen versteckte Märkte offenlegt und sich so Umsatzpotentiale mit bestehenden oder nur leicht modifizierten Produkten realisieren lassen. Oder sind es Effizienzvorteile oder Schlüsselkompetenzen auf der Back-End-Seite, die die Überlegenheit sichern? Dann heißt es, die richtigen Instrumente zur Sicherung des Wettbewerbsvorsprungs einzusetzen und Frühwarnsysteme zu installieren, um rechtzeitig Veränderungen im Umfeld zu erkennen.
Die komplexen Herausforderungen der Chemieindustrie können nicht mit einfachen Instrumenten aus der „Standard-Toolbox des modernen Managements" bewältigt werden - das allgemeingültige Geschäftsmodell der Chemie gibt es nicht. Vielmehr müssen sich die Manager der Branche auf ein Zusammenspiel analytischer Tiefenschärfe, kreativer Konzepte und konsequenter Umsetzungsorientierung einlassen, um der Unvorhersehbarkeit entgegenzutreten. Wichtig ist, nicht in blinden Aktivismus zu verfallen. Unternehmenslenker dürfen jetzt nicht den Fehler machen, den viele Abenteurer im 19. Jahrhundert auf der Suche nach Gold im Westen der USA begangen haben: Nicht das Abkupfern von vermeintlichen Erfolgsstrategien bei anderen Unternehmen führt zum Ziel. Ein erfolgreiches Geschäftsmodell zeichnet sich durch Individualität, Kreativität und Einzigartigkeit aus!
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Dr. Wieselhuber & Partner Unternehmensberatung GmbH
München