Management-Agenda und Trends in der Chemie- und Kunststoffindustrie für 2025
Untätigkeit ist keine Option
Das Konzept des „Hype Cycle“ ist bestens bewährt, um wirtschaftliche und technologische Disruptionen in ihrer Reife und zeitlichen Adaption in der Realwirtschaft zu beschreiben. Den Startpunkt markiert immer eine grundlegende Veränderung, ihre zunehmende Wahrnehmung, die dann in überzogenen Erwartungen als ultimative Lösung auf dem „Gipfel des Hypes“ ankommt. Darauf folgt der Aufprall in der Realität im „Tal der Tränen“, bis sich ein „Pfad der Produktivität“ einstellt und nutzstiftende Anwendungen im Alltag von Unternehmen und Menschen ankommen.
ESG-Transformation entlang des Hype Cycle
Auch die ESG (Environmental, Social and Governance)-Transformation ist eine fundamentale Veränderung, die sich entlang des Hype Cycle gut beschreiben lässt. Entgegen Vermutungen steht diese jedoch nicht am Anfang, sondern am Wendepunkt zum Pfad der Produktivität.
Denn bereits 2015 wurden die Veränderungen, die auf die Wirtschaft zukommen, klar: Nicht nur verabschiedete die Pariser Klimakonferenz das 1,5-Grad-Ziel, die EU veröffentlichte auch ihren „Circular Economy Action Plan“, die UN die 17 „Sustainable Development Goals“. 2018 postulierte Larry Fink, CEO von BlackRock, dass „ESG“ die Finanz- und Realwirtschaft grundlegend verändern würde, 2019 hielt Greta Thunberg ihre „How dare you“-Rede vor der UN und die EU veröffentlichte den Green Deal. Erwartungen und Ankündigungen schossen in die Höhe, auch Unternehmen der Chemieindustrie setzten sich öffentlichkeitswirksam ambitionierte Klima- und Recyclingziele. Doch viele davon wurden auf dem kurzen Weg vom „Gipfel der überzogenen Erwartungen“ hin zum „Tal der Ernüchterung“, begleitet von der aktuellen Wirtschaftskrise, in jüngster Vergangenheit leise wieder einkassiert. Und jetzt?
"Die Management-Agenda 2025 braucht
die richtige Mischung zwischen Zukunftsthemen
und betriebswirtschaftlicher Krisenfestigkeit."
Chancen innerhalb der ESG-Transformation umsetzen
ESG-konformes Wirtschaften funktioniert nur, wenn es ein kommerzieller Erfolg ist – mit wenigen Anpassungen des Bestehenden ist es nicht getan. Gerade Chemieunternehmen transformieren aktuell ihre Geschäftsmodelle in der up- und downstream vernetzten Wertschöpfungskette und in der Marktbearbeitung, um an Geschäftschancen aus der Nachhaltigkeitswende zu partizipieren. Geschäftsbereiche müssen in Bezug auf ihre Zukunftsfähigkeit hinterfragt und konsequent an Geschäftschancen in der ESG-Transformation ausgerichtet werden. Geschäftsfelder mit unsicheren Zukunftsaussichten können für einen Ausstieg in Frage kommen, der nüchtern, faktenbasiert und konsequent bewertet und ggf. umgesetzt werden muss.
In der Marktbearbeitung für ESG-konforme Produkte sind Märkte und Zielgruppen, die an nachhaltigen Lösungen interessiert sind, zu adressieren und identifizieren. Das können sowohl Zielgruppen als auch Anwendungen sein, für die kreislaufgeführte oder nachwachsende Rohstoffe sowie der CO2-Fußabdruck ein wesentliches Kaufkriterium sind.
In diesen Fällen stehen selten Commodities oder Volumenprodukte im Fokus, die eine breite Käuferschicht und entsprechende Lock-in-Effekte auf Seiten der Hersteller und der Käufer haben. In der chemischen Industrie sind vor allem Preise, Wechselkosten und Vertrauenseigenschaften zeitstabile und dominante Kauffaktoren. Richtig und wichtig ist, Instrumente aus dem Innovationsmarketing anzuwenden, die nicht auf die breite Masse etablierter Käufer zielen, sondern auf Pionierkäufer, Early Adopter und Multiplikatoren.
Diese verlangen aktuell nach differenzierenden und nachhaltigen Leistungseigenschaften, da sie ihre Positionierung im Wettbewerb und bei Kunden stärken wollen. Wer hier dem Market-Pull für nachhaltige Produkte folgt, vor allem in Konsumgütermärkten und teilweise öffentlich regulierten Märkten, wie der Bauindustrie, der findet auch Zielgruppen und Anwendungssegmente, die sich dynamisch entwickeln und Chancen für nachhaltige Produkte bieten.
Chancen lokaler Zukunftsinvestitionen nutzen
Die Megatrends Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz sowie neue Technologien und Werkstoffe verlangen nach Lösungen der Chemie und nach Kunststoffprodukten. Zugleich drängen Zölle, regulatorische Vorgaben und die wirtschaftspolitische Blockbildung Unternehmen zu internationalen Investitionen. So entstehen mit der Verabschiedung von der globalisierten Weltwirtschaft auch Chancen durch „Local Content“ in dynamischen Märkten, die neben Vertrieb auch lokale Produktion und F&E erfordern.
"Die Megatrends Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz
sowie neue Technologien und Werkstoffe
verlangen nach Lösungen der Chemie
und nach Kunststoffprodukten."
Dies betrifft neben der Großchemie auch die mittelständische Fein- und Spezialitätenchemie, die dazu an die Tradition der deutschen Chemie als weltweiter Innovationsführer anknüpft. Im Zuge der Internationalisierung geht es immer um die Fokussierung von Ressourcen, Innovationskraft und Investitionen in z. B. nachhaltige Geschäfte, die Wachstum, attraktive und stabile Erträge bieten. Ergebnis sind Mehrwerte aus lokaler Kundennähe, Innovationen und differenzierenden Services, die gegen günstigere lokale Angebote oder unspezifische Bulk-Rohstoffe im Wettbewerb bestehen können. Das bedingt jedoch auch, dass Hochlaufkurven langsamer sein können und ein langer Atem gebraucht wird.
Betriebswirtschaftliche robuste Basis für Zukunftsfähigkeit aufbauen
Diesen langen Atem hat nur, wer über eine robuste und tragfähige betriebswirtschaftliche Basis verfügt, die eine Sicherung der eigenständigen Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit gewährleistet. Zuvorderst sind dies Finanzkraft und Durchfinanzierung, die sicherstellen, dass Eigenmittel des Unternehmens, der Gesellschafter und Drittmittel ausreichen, um den Geschäftsbetrieb dauerhaft aufrechtzuerhalten.
Auch die gesicherte Liquidität in Krisensituationen ist ein zentrales Instrument, um nicht kurzfristig in existentiell bedrohliche Situationen zu kommen. Auch wenn langfristig Aufträge vorliegen, die Durchfinanzierung gegeben ist und Warenkreditversicherungen zusätzlich Sicherheit geben, muss jederzeit genug Geld in der Kasse sein, um alle Rechnungen pünktlich zu bezahlen. Um hier keine bösen Überraschungen zu erleben, braucht es eine belastbare Liquiditätsplanung auf Wochenbasis, die mindestens über 13 Wochen (nach IDW S11) vorausschaut.
Spätestens Krisen sind immer auch ein Anlass, um Unternehmen in Strukturen effizienter auszurichten. Dabei ist der Break-even ein zentrales Maß, um zu beurteilen, wie hart ein Rückgang im Geschäft das Unternehmen trifft. Kurzfristig wirksame „Cost-Cutting-Maßnahmen“ zielen darauf ab, unnötige Ausgaben zu vermeiden. Das betrifft vor allem das Tagegeschäft, aber auch die Kapitalbindung und Finanzierungskosten für das Working Capital.
Mittelfristig sind die Gemeinkosten kritisch zu prüfen und z. B. durch Effizienz- und Automatisierungsmaßnahmen zu reduzieren. Langfristige Maßnahmen sind immer mit weitrechenden Eingriffen ins Unternehmen verbunden. Hierzu zählen Überlegungen zur Streichung von ganzen Produktlinien, Vertriebswegen oder Kundengruppen. Ebenso stehen die Schließung, Zusammenlegung und Verlagerung von Standorten oder die Anpassung der Wertschöpfungstiefe mit Make-or-Buy-Entscheidungen, z. B. bei Vorprodukten und Intermediates, zur Diskussion.
Fazit
Klar ist: Die Management-Agenda 2025 braucht die richtige Mischung zwischen Zukunftsthemen und betriebswirtschaftlicher Krisenfestigkeit. Eine komplexe Aufgabe, die vor allem eines nicht verträgt: Untätigkeit! Nur wenn Unternehmen der Chemie- und Kunststoffindustrie jetzt auf dem Pfad der Produktivität die Marktbearbeitung für ESG-konforme Produkte angehen, Mehrwerte durch lokale Zukunftsinvestitionen generieren und für eine betriebswirtschaftlich robuste Basis sorgen, sind Unternehmen auch für das Ende der Krise gut aufgestellt – selbst wenn die mal wieder länger dauert.
Stephan Hundertmark, Partner und Leiter Chemie & Kunststoffe, Dr. Wieselhuber & Partner GmbH, München
ZUR PERSON
Stephan Hundertmark ist Partner und Leiter Chemie & Kunststoffe bei Dr. Wieselhuber & Partner (W&P). Er studierte Maschinenbau und BWL in München und Nürnberg und hat an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) im Innovationsmanagement promoviert. Vor seinem Einstieg bei W&P 2011 war Hundertmark als Berater, Management-Trainer und Lehrbeauftragter für Intellectual Property Management in verschiedenen Beratungen, für das Europäische und das Schweizer Patentamt sowie an der Universität Strasbourg und der TU München tätig.
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