Forschung & Innovation

Grüne Chemie mit holzbasierten Biochemikalien

UPM treibt Schaffung einer Kreislaufwirtschaft durch nachwachsende Rohstoffe auf Holzbasis voran

13.12.2023 - Die finnische UPM Group, einer der größten Papierhersteller der Welt, hat seine Ursprünge in der Forstindustrie. Heute bietet der Konzern in sechs Geschäftsbereichen biobasierte Lösungen für eine Zukunft ohne fossile Rohstoffe und Brennstoffe.

Die finnische UPM Group, einer der größten Papierhersteller der Welt, hat seine Ursprünge in der Forstindustrie. Heute bietet der Konzern in sechs Geschäftsbereichen biobasierte Lösungen für eine Zukunft ohne fossile Rohstoffe und Brennstoffe. Dazu gehören nachhaltige holzbasierte Biochemikalien, die die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen reduzieren. UPM investiert derzeit über 1 Mrd. EUR in den Bau der weltweit ersten Bioraffinerie im industriellen Maßstab in Leuna, Sachsen-Anhalt, um Biomasse in Chemikalien umzuwandeln. Die Bioraffinerie in Leuna ist Teil eines umfassenderen Wachstumsbereichs, UPM Biorefining, der sich auf die Skalierung von Raffinerien konzentriert, die eine Vielzahl von erneuerbaren Kraftstoffen und Chemikalien aus nachhaltiger Biomasse herstellen. Michael Reubold befragte Nina Heiming, Senior Manager Business Development, UPM Biochemicals, zu den Anwendungen der biobasierten Chemikalien, die künftig in Leuna produziert werden, und zu deren Rolle bei der Defossilisierung wichtiger chemischer Wertschöpfungsketten.

CHEManager: Frau Heiming, UPM baut derzeit in Leuna die weltweit erste Bioraffinerie dieser Art im industriellen Maßstab. Wann wird die Bioraffinerie die ersten Produkte liefern?

Nina Heiming: Unser Investitionsprojekt in Leuna macht große Fortschritte und erhielt im Mai die Betriebsgenehmigung. Der Bau unter diesen Umständen – Baubeginn war während der Coronapandemie 2020 – und die erforderlichen Anpassungen waren anspruchsvoll und führten zu Umplanungen und Verzögerungen. Die Fertigstellung wird nun für Ende 2024 erwartet, und die Gesamtkosten des Projekts werden auf 1,18 Mrd. EUR geschätzt. Das Projekt wird mit voller Geschwindigkeit fortgesetzt. Die Bauarbeiten werden bis Ende des Jahres abgeschlossen sein und die Inbetriebnahme wird in mehreren Phasen erfolgen.

Welche Produkte und Chemikalien werden in Leuna in welchen Mengen hergestellt werden?

N. Heiming: Die Leuna-Bioraffinerie im industriellen Maßstab ist eine Weltneuheit. Die holzige Biomasse wird im Rahmen der Waldbewirtschaftung aus mitteleuropäischen Buchenwäldern geerntet und verwertet, in denen die biologische Vielfalt und die natürlichen Ökosysteme erhalten werden. Sie ist vollständig rückverfolgbar, wird kontrolliert und unterliegt entweder dem FSC- oder dem PEFC-Kontrollsystem.
Insgesamt wird die Bioraffinerie 220.000 t Produkte pro Jahr herstellen. Aus dem Holz werden Zellulose zur Herstellung von Bioglykolen, Lignin für erneuerbare funktionelle Füllstoffe, die Ruß und Kieselsäure in Verbundstoffen ersetzen, und Hemizellulose für C5-Industriezucker verwendet. 
Die erneuerbaren Glykole haben die gleichen Eigenschaften und die gleiche Leistung wie ihre fossilen Gegenstücke und erfordern gar keine betrieblichen Änderungen an den bestehenden Produktionsanlagen. Sie können direkt in der Bekleidungs-, Textil-, Automobil- und Verpackungsindustrie eingesetzt werden. Zudem können sie vollständig in Recyclingprozesse integriert werden, was eine wichtige Voraussetzung für die Umstellung der chemischen Wertschöpfungskette auf eine erneuerbare Kreislaufwirtschaft ist.

In der Öffentlichkeit herrscht häufig die Meinung, dass Treib- oder Rohstoffe aus Biomasse mit Lebensmittelressourcen konkurrieren. Wie stellt sich das bei dem Feedstock für Ihre Biochemikalien dar?

N. Heiming: Im Vergleich zu den Biochemikalien der ersten Generation konkurrieren die Biochemikalien der nächsten Generation nicht mit den Lebensmittelressourcen, da der von uns verwendete Rohstoff aus Durchforstungs- und Industrieholz sowie Biomasserückständen besteht. Wir setzen auf nachhaltig gewonnenes Hartholz als Rohstoff, das aus nachhaltig bewirtschafteten, zertifizierten Wäldern stammt und auf Flächen produziert wird, die nicht in Konkurrenz zur landwirtschaftlichen Nutzung stehen und in denen die biologische Vielfalt und die natürlichen Ökosysteme erhalten bleiben.

„Innovationen, die Alternativen zu fossilen Rohstoffen bieten, stehen im Mittelpunkt der Strategie von UPM.“
 

Sie vermarkten bereits biobasiertes Monoethylenglykol unter der Marke UPM BioPura BioMEG, woher stammt dieses?

N. Heiming: Wir produzieren – in enger Abstimmung mit unserem Labor in Leuna – erste Chargen unseres BioMEGs in unserer Pilotanlage in Laappenranta, Finnland, um mögliche Anwendungen mit unseren Partnern zu testen. Sobald die Bioraffinerie in Leuna in Betrieb ist, werden wir dort BioMEG in industriellem Maßstab herstellen.

Was sind die wichtigsten Endanwendungssegmente für die erneuerbaren Glykole?

N. Heiming: Unser BioMEG ist eine erneuerbare Drop-in-Lösung, die ein gleichwertiger Ersatz für MEG auf fossiler Basis ist und in allen MEG-Anwendungen eingesetzt werden kann – ohne Kompromisse und mit dem zusätzlichen Mehrwert einer verbesserten Nachhaltigkeitsleistung. Es ist der Beginn einer neuen Kategorie nachhaltiger Chemikalien, die insbesondere für Verbrauchermarken von Bedeutung sind, die eine verbesserte Nachhaltigkeitsleistung anstreben, und kann in verschiedenen Endanwendungen eingesetzt werden, darunter PET sowie andere Polyester und Kühlmittel für Batterie- und Motorfahrzeuge. UPM BioPura kann verschiedene Anwendungen in unterschiedlichen Branchen wie Mode und Textilien, Automobil und Verpackung verändern. In Materialien wie PET und anderen Polyestern ersetzt es den MEG-Anteil, der 30 % des Materials ausmacht. 
Polyester gehören zu den am häufigsten verwendeten Stoffen für Bekleidung und Spezialgarne – z. B. für Sicherheitsgurte. Die heutige Produktion basiert überwiegend auf fossilen Rohstoffen und bis zu einem gewissen Grad auf der Verwendung von recyceltem PET, das zum Beispiel aus Verpackungen stammt. Eine wirklich nachhaltige Option für Polyester, die über Recycling hinausgeht, fehlt bisher, ist aber dringend nötig. 

Welches Marktwachstum erwarten Sie für biobasierte Chemikalien im Allgemeinen und Ihre Biochemikalien im Besonderen? Und wie entwickelt sich die Nachfrage bereits heute?

N. Heiming: Das Interesse an unseren holzbasierten Biochemikalien, die fossile Materialien ersetzen können, ist erwiesenermaßen groß. Der Bedarf an fossilem MEG liegt bei etwa 33 Mio. t jährlich, so dass wir viele Möglichkeiten sehen, es durch BioMEG zu ersetzen. Die Marktnachfrage nach erneuerbaren funktionellen Füllstoffen wird auf 16 Mio. t/a geschätzt.

Mit der Übernahme von SunCoal Industries im Sommer erweitert UPM sein Technologieportfolio im Bereich der Biochemikalien. Worauf ist SunCoal spezialisiert?

N. Heiming: SunCoal Industries ist auf die Valorisierung von Lignin spezialisiert und ermöglicht es UPM, seine Rolle als führender Anbieter von nachhaltigen, erneuerbaren funktionellen Füllstoffen für den Gummi- und Kunststoffmarkt durch die Weiterentwicklung der Technologie im eigenen Haus zu stärken. Die Experten von SunCoal Industries werden zusätzliche Fähigkeiten einbringen, um die Produktionstechnologie und -verfahren weiterzuentwickeln und die Wachstumspläne von UPM im Bereich der Bioraffinerie zu unterstützen. Das Unternehmen hat eine weltweit patentierte hydrothermale Behandlungstechnologie erfunden und an UPM für die Herstellung von funktionalen Füllstoffen auf Holzbasis lizenziert. Diese Technologie wird in der Bioraffinerie in Leuna zum ersten Mal im industriellen Maßstab eingesetzt.
Welche weiteren Investitionen zur Stärkung des Biochemie- oder Bioraffinerie-Geschäfts sind derzeit geplant oder werden durchgeführt?
N. Heiming: Innovationen, die Alternativen zu fossilen Rohstoffen bieten, stehen im Mittelpunkt der Strategie von UPM und treiben den Wandel des Unternehmens zu einem Vorreiter der Bioökonomie voran. In unseren Bioraffinerien leisten wir Pionierarbeit auf dem Gebiet der nachhaltigen Chemie – wir entwickeln innovative chemische Prozesse, skalieren die Bioraffinerie und erschließen das Potenzial von Biomasse für die Umgestaltung von Industrien, um den ökologischen Fußabdruck unserer Kunden radikal zu reduzieren und den Verbrauchern bessere Wahlmöglichkeiten zu bieten. 
UPM prüft derzeit auch die Möglichkeit einer Produktionserweiterung im Bereich fortschrittlicher Biokraftstoffe und Biomaterialien und führt kommerzielle und grundlegende technische Studien für eine mögliche neue Bioraffinerie im Hafen von Rotterdam in den Niederlanden durch. Die geplante Bioraffinerie hätte eine jährliche Kapazität von maximal 500.000 t fortschrittlicher Biokraftstoffe für den Verkehr, einschließlich See- und Luftfahrt, und von Bio-Naphtha, einem der wichtigsten Ausgangsstoffe für Chemikalien und Kunststoffe, für die petrochemische Industrie.

Um Wertschöpfungsketten zu defossilisieren, arbeitet UPM auch mit Partnern wie Markenkonzernen, zum Beispiel aus der Textilindustrie, zusammen. Wie wichtig sind solche Partnerschaften? 

N. Heiming: Um eine wirksame Antwort auf den Klimawandel zu finden, ist ein umfassender Wandel erforderlich. Letztlich müssen sich Gesellschaften auf der ganzen Welt eine Kultur der Suffizienz zu eigen machen und Innovationen entwickeln, um Ressourcenverbrauch und Umweltauswirkungen zu entkoppeln. Die Entwicklung neuer Materialien, die Reduzierung des Materialverbrauchs und Konzepte wie Modularität, Reparierbarkeit, Wiederverwendbarkeit und Recyclingfähigkeit werden dabei eine Schlüsselrolle spielen.
Eine Vision für diese Defossilisierung zu schaffen, ist eine Aufgabe, die über ein einzelnes Unternehmen hinausgeht – es ist eine kollektive Anstrengung. Deshalb arbeiten wir mit mehreren Akteuren aus unterschiedlichen Branchen zusammen, um zu zeigen, wie unsere Biomaterialien einen konkreten Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen unserer Kunden leisten können. Zu unseren Partnern gehören unter anderem der Outdoor-Bekleidungsanbieter Vaude, der Copolyesterhersteller Selenis, der Kühlmittelhersteller Haertol Chemie oder auch die University of the Arts London.

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Zur Person

Nina Heiming ist seit 2015 bei UPM Teil des Biochemicals-Teams. Nach Stationen im Marketing und der Produkt- und Prozessentwicklung, ist sie seit März 2022 Senior Business Development Manager im Biochemicals Growth Team. Dort arbeitet sie an möglichen Wachstumsprojekten für den Geschäftsbereich, inklusive der Verwirklichung von potenziellen weiteren Bioraffinerien. Sie absolvierte ihr Masterstudium an der TU München im Fach Nachwachsende Rohstoffe und promovierte anschließend am Lehrstuhl für Chemie biogener Rohstoffe im Bereich biotechnologischer Produktion von erneuerbaren Kunststoffmonomeren.

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UPM Biochemicals GmbH

Bau 4614, Am Haupttor 5211
06237 Leuna
Sachsen-Anhalt, Deutschland