Für den Chemiehandel hat Europa Zukunft
Positive Entwicklung in Europa – Umdenken im weltweiten Markt
Der deutsche Chemikalien Groß- und Außenhandel ist mit dem Ergebnis aus 2014 zufrieden. Darüber wurde bereits in CHEManager 7-8/2015 (S. 5) berichtet. Um mehr über den Verlauf des letzten Jahres vom Verband Chemiehandel (VCH) zu erfahren, führte Dr. Birgit Megges ein Gespräch mit dem Vorstand. Teilnehmer an der Runde waren Uwe Klass (VCH-Präsident), Robert Späth (stv. Präsident und Schatzmeister), Thorsten Harke (stv. Präsident und Vorsitzender FA Außenhandel), Jens Raehse (Vorsitzender FA Chemiehandel und Recycling), die Vorstandsmitglieder Birger Kuck, Volker Seebeck und Uwe Webers, Peter Steinbach (geschäftsführendes Vorstandsmitglied) und VCH-Geschäftsführer Ralph Alberti.
Die einleitenden Worte von Uwe Klass drückten aus, was bereits im April vom VCH nach einer Befragung der Mitgliedsfirmen vermeldet wurde: „Wir haben nach einigen Jahren der Stagnation in mehr oder weniger allen Bereichen ein verhältnismäßig erfolgreiches Jahr 2014 zu Ende bringen können." In Zahlen ausgedrückt heißt das: Der Mengenabsatz des lagerhaltenden Platzhandels konnte um 4,5% auf 6,35 Mio. t, der Umsatz um 3,8% auf 4,1 Mrd. EUR gesteigert werden. Im Außen- und Spezialitätenhandel stieg der Umsatz um 4,1 % auf 9,3 Mrd. EUR. Die abgesetzten Mengen blieben dabei fast unverändert.
Entwicklungen und Einflüsse
Das europäische Geschäft hat sich in nahezu allen Ländern positiv entwickelt. Eine erstaunlich gute Entwicklung gab es überraschenderweise auf den Märkten, die in den letzten Jahren allgemein als Problemmärkte bezeichnet wurden, wie z.B. Spanien, Portugal oder Italien. Generell haben sich auch die osteuropäischen EU-Märkte sehr stabil verhalten. Ganz anders sah es hingegen in Russland und der Ukraine aus. Dort gab es neben substanziellen Mengeneinbrüchen auch Schwierigkeiten bei der Zahlungsfähigkeit von Kunden. Insbesondere die Abwertung der Währungen hatte zur Folge, dass die dort aktiven Chemiehändler eine erhebliche Wertminderung ihrer Lagerbestände akzeptieren mussten.
Schwierig umzugehen war im letzten Jahr mit den starken Fluktuationen, vor allem im Währungsbereich. Thorsten Harke: „Das erhöht in beträchtlichem Maße die Risiken, die wir zu bewältigen haben." Gerade bei Waren, die einen langen Weg haben, ist das Risiko groß, dass sich die Preise noch während des Transports stark verändern. Diese Problematik wurde durch Schwankungen sowohl der Währungen als auch auf den Rohstoffmärkten verursacht. Für einige Produkte spielte bspw. die Ölpreisentwicklung eine entscheidende Rolle. Harke befürchtet, dass all diese Fluktuationen auch weiterhin die Geschäfte im Chemiehandel beeinflussen werden.
Einen kleinen Einblick in die asiatische Region gab Volker Seebeck: „Der asiatische Markt war auch im letzten Jahr nicht so dynamisch wie in den Vorjahren, bedingt durch eine Reduktion des Wachstums im wesentlichen Treibermarkt China. Hier lag früher das Wachstum bei circa 12%, dagegen im letzten Jahr nur noch bei etwa 7%. Ich glaube aber, dass wir uns zukünftig auf dieses niedrigere Niveau einstellen müssen. Der Ausbau der Produktionskapazitäten und die Nachfrageentwicklung in dieser Region haben auch Einfluss auf die europäische Marktsituation."
Birger Kuck ergänzte: „Das Geschäft in den „Emerging Markets" ist unverändert sehr gut, aber das Geschäft der Europäer in diesen Märkten wird immer schwieriger." Gründe dafür sind immer kürzere Kommunikationswege und eine erhöhte Transparenz der Geschäfte. „Die Chinesen brauchen den Hamburger Außenhändler nicht mehr, um ihre Produkte nach Süd- und Mittelamerika zu verkaufen", so Kuck, der den Standpunkt vertritt, dass die deutschen Chemiehändler, die dort tätig sind, ihr Geschäftsmodell überdenken und die Produkte und Dienstleistungen, die sie in diesen Märkte verkaufen wollen, zukünftig modifizieren müssen.
Gründe für das gute Ergebnis
Neben der positiven konjunkturellen Entwicklung arbeiteten die Betriebe auch selbst daran, die Ergebnisse zu verbessern. Robert Späth erklärte: „Meiner Meinung nach konnte man gerade im lagerhaltenden Chemiehandel viel über Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen im eigenen Betrieb bewerkstelligen. Es wurden einige innerbetriebliche Optimierungen durchgeführt oder auch Investitionen in Anlagen getätigt. Zur Verbesserung der Logistik haben wir selbst zum Beispiel im Bereich der Basisprodukte, wie Salzsäure oder Laugen, die Bahnlogistik wieder verstärkt in Anspruch genommen."
Kuck bekräftigte: „Das Stichwort ist Kostenmanagement. Wenn man sich beim Mengenabsatz die Steigerung von 4,5% anguckt, dann muss man eine entsprechende Kostendegression zu Grunde legen. Wenn sie es schaffen, eine größere Menge zu bewegen, ohne zusätzliche Kosten zu generieren, dann können Sie dadurch Ihre Marge auch positiv beeinflussen. Ich glaube, dass das unsere Industrie im letzten Jahr auch geschafft hat."
Ein nicht zu vernachlässigender Faktor ist außerdem der Preis. Hierzu legte Seebeck seine Sichtweise dar: „Die Branche hat in den letzten Jahren stark auf den Ausbau ihrer Funktionen gesetzt und dies in allen Bereichen. Dies ist sehr wichtig, weil der Handel über die von ihm angebotenen Funktionen eine Brücke zwischen dem Produzenten und der Industrie schlägt. Je effizienter und nachhaltiger dies gelingt, desto besser sind auch schwierige Preisphasen zu überstehen."
Uwe Webers fügte aus Brenntag-Sicht hinzu: „Bei uns ist es sicherlich die Kombination aus zwei Geschäftseinheiten, auf die das gute Ergebnis 2014 zurückzuführen ist. Der lagerhaltender Platzhandel wurde wesentlich beeinflusst durch Effizienzsteigerungsthemen, während das Spezialitätengeschäft dominiert war durch neue Vertriebsinitiativen, die Wachstum generiert haben."
Recycler weiten Produktion aus
Auch die Recycler sind mit den Entwicklungen im letzten Jahr sehr zufrieden, obwohl sie einen Rückgang bei den Aufträgen zur Lohndestillation hinnehmen mussten. Negativ ausgewirkt hat sich außerdem, dass der südliche Mittelmeerraum als Abnehmer von Gemischen nahezu ausgefallen ist. Ausgeglichen haben die Recycler diese Faktoren durch die Ausweitung der eigenen Produktion. Jens Raehse berichtete: „Das hat die Recycler dazu gebracht, dass sie nicht mehr hauptsächlich Gemische und Zubereitungen herstellen, sondern nahezu reine Produkte - und das sehr erfolgreich. Eine weitere Folge war, dass sehr viele Recycler Geld in ihre Anlagen investieren konnten, und das nicht nur als Ersatzinvestition, sondern als Zusatzinvestition." In Sachen Preisentwicklung ist zu bemerken, dass die Marge zwischen Frischwarenpreis und Recyclingware in den letzten Jahren sehr viel kleiner geworden ist. Der Grund dafür liegt auf der Hand: „Die Qualität der Produkte ist sehr viel besser geworden. Heute kann man Recyclingprodukte nahezu mit der Frischware vergleichen", so Raehse. Da die Recycler vorwiegend auf dem europäischen Markt tätig sind und von einer weiterhin positiven wirtschaftlichen Entwicklung ausgehen, blicken sie mit Zuversicht auf den Verlauf des Jahres 2015.
Erschwerte Rahmenbedingungen
Unabhängig von der positiven konjunkturellen Situation sorgt sich die Branche zunehmend um strukturelle und politische Entwicklungen: Es gelingt z.B. immer weniger, die Verkehrsinfrastruktur an den Bedarf einer zunehmend international arbeitsteiligen „Just-in-Time-Wirtschaft" anzupassen. Auf der einen Seite macht es in Deutschland zunehmend Probleme, die für die Logistik notwendige Infrastruktur im laufenden Betrieb zu erneuern. Auf der anderen Seite besteht - vor allem vor dem Hintergrund einer weiterhin positiven wirtschaftlichen Entwicklung in Europa - eine große Herausforderung darin, die Anbindung der Länder untereinander praktikabel zu gestalten. Späth ermahnte: „Die positive Wirtschaftsentwicklung in Europa wird sehr stark von diesen Rahmenbedingungen gebremst - von der Infrastruktur, aber auch von der Regulatorik." Damit spricht er auf eine weitere Problematik an: Seit nunmehr acht Jahren betreibt die Branche einen erheblichen Aufwand mit der Umsetzung von REACh und CLP sowie der EU-Biozid-Verordnung, ohne dass man damit dem beabsichtigten Ziel der Verbesserung des Arbeits- und Umweltschutzes erkennbar näher gekommen ist.
Laut Steinbach steht die Biozidgesetzgebung an der Spitze der regulatorischen Neuerungen, die Probleme verursachen. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, stellte er fest: „Es ist schon alleine ein hoher Anspruch, die Gesetzgebung überhaupt zu verstehen, um dann zu einer Bewertung zu kommen. Jedes Unternehmen muss für sich die Frage beantworten, ob es mit den jeweiligen Biozidprodukten umgehen kann oder die Vermarktung besser einstellen sollte. Die Zusammenhänge sind derart komplex, dass ein mittelständisches Unternehmen die Bearbeitung nicht mehr leisten kann. Selbst wir als Verband kommen an unsere Grenzen und mussten bereits einen Anwalt einschalten, um Fragen rechtssicher zu klären." Der Verband stellte mit Bedauern fest, dass Gesetzesvorhaben immer häufiger umgesetzt werden, ohne vorab die Folgen zu bedenken. „Oft sind die Gesetze nicht gut durchdacht und erzeugen einen extremen Verwaltungsaufwand, ohne wirklich der Sache zu dienen", kritisierte Späth.
Mitarbeiter fördern und gewinnen
Positiv herausstellen konnte die Branche, dass die Zahl der Arbeitsplätze im Jahr 2014 um 1,7% zugenommen hat. Zudem ist auch das Qualifikationsniveau der Mitarbeiter weiter kontinuierlich gestiegen. Die Zahl der Chemiker in den Mitgliedsunternehmen hat zugenommen; die Ansprüche an das Chemieverständnis, die ein kaufmännischer Mitarbeiter aufbringen muss, werden immer größer. So ist der Verband nicht nur bemüht, die Mitgliedsunternehmen mit Fortbildungsseminaren zu unterstützen, sondern hat auch eine Ausbildungsinitiative ins Leben gerufen. „Im Laufe des ersten Halbjahres 2015 werden wir die Initiative „Dein Talent hat Zukunft" starten. Unter dem Dach dieser Kampagne wollen wir eine eigene Stellenbörse im Internet betreiben. Zusätzlich wollen wir für unsere Mitgliedsfirmen Medienpartnerschaften mit regionalen Medien wie Tageszeitungen und Lokalradiosendern vermitteln", erklärte Ralph Alberti. Ziel ist es, auf die Branche aufmerksam zu machen und Nachwuchs für die Ausbildung in den Unternehmen zu gewinnen.
Erwartungen für das laufende Jahr
Nach Angabe von Klass ist das 1. Quartal im Binnenhandel relativ durchwachsen verlaufen. Mengenmäßig ist der Absatz in der Größenordnung von 2-3% unter dem Vorjahreszeitraum geblieben. Vor allem bedingt durch die Entwicklung der Ölpreise muss von einem Umsatzrückgang ausgegangen werden. Auch Seebeck sprach von deutlich niedrigeren Umsätzen bei gleichen Mengen, begründet durch ein gesunkenes Preisniveau von Basischemikalien. Speziell für den Außenhandel ergänzte Harke: „Exporteure freuen sich über den niedrigen Eurokurs, Importeure dagegen kämpfen mit den dadurch verursachten Preissteigerungen. Als Importeur leiden wir daher eher unter dem niedrigen Eurokurs. Insofern sind wir für das Jahr mit positiven Prognosen noch vorsichtig, obwohl die Geschäfte bisher im ersten Quartal zufriedenstellend angelaufen sind. Dies liegt daran, dass den Schwierigkeiten mit Preissteigerungen und dem daraus resultierenden Margendruck immer noch eine relativ stabile Nachfrage unserer Kunden aufgrund der allgemeinen Konjunkturentwicklung gegenüber steht. Wir prognostizieren daher für das Jahr insgesamt stabile bis leicht steigende Umsätze, sollten keine weiteren kriegerischen oder währungsinduzierten Turbulenzen eintreten."
Im Grundsatz herrschte verhaltener Optimismus vor, dass die Nachfrage relativ stabil bleiben und es parallel zu einer moderaten Preiserholung kommen wird. Wenig planbar wird das Geschäft allerdings durch die nicht vorhersehbaren finanz- und geopolitischen Entwicklungen.
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