Effectuation als moderne Managementmethode in Chemieparks
Unternehmerisches Denken und Handeln als Schlüssel zum Erfolg
Die Chemieparkbranche wird sich in den kommenden Jahrzehnten weiter verändern. Die großen Neuinvestitionen verlagern sich ins Ausland. Darüber hinaus sind viele Chemieparks von Anlagenstilllegungen oder Abwanderungen betroffen. Gleichzeitig wird sich die Chemie in Deutschland weiter spezialisieren bzw. flexibilisieren müssen. Dies führt weg von großen hin zu kleinen, flexiblen Anlagen. Es gibt zwangsläufig einen langfristigen Trend zur „solar" basierten Chemie. Das heißt, die Rohstoffe sind nicht mehr erdölbasiert, sondern sie werden aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen. Dies führt unter anderem - analog zur Energieerzeugung - zu einer Dezentralisierung der Chemieproduktion.
Die Herausforderungen der Chemie- und Industrieparks sind nicht nur aufgrund dieser Prognosen vielfältig. Die aktuellen Aufgabenstellungen resultieren auch aus der jeweils spezifischen Situation eines jeden Standortes. Insbesondere die Betreiber- und Dienstleistungsgesellschaften sind hiervon betroffen und haben spezifische Probleme zu lösen. Ansiedlungserfolge, Expansion und Neugeschäft bedingen in der Regel Mittel, die - gehört das Dienstleistungsgeschäft doch nicht zum Kerngeschäft der Muttergesellschaften - häufig nicht zur Verfügung gestellt werden. Viele der heutigen Servicegesellschaften sind zudem mit der Tatsache konfrontiert, dass sie nicht mehr integrierter Teil eines Chemiekonzerns sind. Entsprechend müssen sie ihr Verhalten und ihre Strukturen umstellen - weg von der „Konzerndenke" zu einem mittelständischen und somit eher unternehmerisch geprägtem Ansatz. Nur so sind sie richtig aufgestellt, um ihre aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zu meistern. „Intrapreneurship" wird somit für sie von wachsender Bedeutung. Die Wortmischung aus "Intracorporate" und "Entrepreneurship" beschreibt das unternehmerische Verhalten der Arbeitnehmer.
Die Probleme und geforderten Lösungsansätze werden stärker durch Ungewissheit anstatt durch kalkulierbares Risiko geprägt. Das bedeutet, dass klassische Managementmethoden oft nicht mehr die richtigen Werkzeuge sind.
Der Effectuation Ansatz
Es ist daher ein Umdenken nötig. Viele Manager merken, dass die Werkzeuge, die sie für lange Zeit begleitet haben, im Kontext aktueller Aufgaben mit einer ungewissen Zukunft keine ausreichende Wirkung zeigen. Daher gewinnen Methoden wie „Intrapreneurship", „Effectuation" oder einfach ein unternehmerisch geprägter Lösungsansatz an Bedeutung. Wie setzt man das im Unternehmen erfolgreich um?
Was als Forschungsarbeit an der University of Virginia begann, ist heute eine etablierte Managementmethode, die auf der Expertise erfahrener Entrepreneure basiert. Professor Saras Sarasvathy wollte herauszufinden, wie erfolgreicher Gründer sowie Unternehmer denken und handeln. Die zentrale Erkenntnis lautet: Erfolgreiche Unternehmer vertrauen keinen prädiktiven Informationen. Viel mehr vertrauen sie auf das, was sie selber steuern können. So handeln sie nach dem Credo, dass sie bis zu dem Punkt an dem sie die Zukunft selbst gestalten können, diese nicht vorhersagen müssen. Verblüffend an der Methode ist ihre Einfachheit, denn in erster Linie basiert sie auf dem, was die eigene Person bewirken kann und einem gesunden Verstand. Der Effectuation-Ansatz basiert auf vier Grundprinzipien und einem Prozess, die sich wie folgt vom klassischen Managementansatz unterscheiden:
• Mittelorientierung vs. Zielorientierung
• Leistbarer Verlust vs. Erwarteter Ertrag
• Vereinbarungen und Partnerschaften vs. Schnittstellen & Wettbewerb
• Umstände und Zufälle vs. Risikomanagement
• Zyklischer Prozess vs. lineares Vorgehen
Effectuation ist am wirkungsvollsten, wenn das Risiko schwer kalkulierbar und die Zukunft ungewiss ist, wie z.B. im Innovationsmanagement, bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle (neue Produkte), dem Aufbau von Neugeschäft (neue Märkte) und jeglicher Art von Veränderungs- und Führungsprozessen, in denen der Mensch eine wesentliche Rolle spielt.
Mittelorientierung
Im klassischen Vorgehensmodell werden Ziele definiert und die Mittel beschafft, die notwendig sind, um so das festgelegte Ziel zu erreichen (was sollte man tun?). Mittel können dabei Know-how, Geld oder sonstige Ressourcen sein. Der Effectuation-Ansatz konzentriert sich im Wesentlichen auf die Mittel, die unmittelbar zur Verfügung stehen (was können wir tun?) und findet Ergebnisse, die sich mit einem gegebenen Set an Mitteln erreichen lassen. Diese Mittel sind insbesondere Fähigkeiten, Erfahrungen, Kompetenzen, Netzwerk oder frei verfügbare Ressourcen. Dies hat den wesentlichen Vorteil, nicht von den Entscheidungen oder Mitteln Dritter (z.B. Budgetfreigaben) abhängig zu sein. Alles, was man sich vornimmt, kann aus eigener Kraft erreicht werden. Zudem wird dieser Ressourceneinsatz immer ökonomisch sein.
Leistbarer Verlust
Ein entsprechend hoher erwarteter Ertrag rechtfertigt auch einen entsprechend hohen Ressourcen- bzw. in der Regel Kapitaleinsatz. So zumindest die landläufige Meinung. Ein Restrisiko bleibt, insbesondere wenn es nicht kalkulierbare Umstände gibt. Ein Unternehmer würde aber - anders als ein Manager - nie mehr einsetzen (riskieren), als er sich erlauben kann zu verlieren, da hiermit seine Existenz verknüpft ist. Daher hängt im Effectuation-Modell der Einsatz allein vom leistbaren Verlust ab.
Vereinbarungen und Partnerschaften
Es erscheint logisch, wenn man für ein Vorhaben, damit es auch garantiert ein Erfolg wird, das Team zusammenstellt, indem genau die richtigen Partner sitzen. So wie die passenden Puzzlesteine ein vollständiges Bild ergeben. Doch hier zeigt die Praxis wie mühsam es häufig ist, die richtigen Partner zu überzeugen. Da werden langwierige Verhandlungen geführt, Eventualitäten diskutiert und seitenweise Kooperationsverträge erstellt, bevor das Projekt überhaupt begonnen hat. Hinweise auf Erfolg eines Vorhabens zeichnen sich aber besonders schnell ab, wenn man bereits in einer frühen Projektphase Kooperationspartner und Kunden für seine Idee begeistern kann. In den Reaktionen der Partner zeichnen sich die Stärken und Entwicklungspotenziale ab. Daher sollte man Vereinbarungen mit denen eingehen, die überzeugt und daher bereit sind, mitzumachen. Eine solche Zusammenarbeit erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit.
Umstände und Zufälle
Es läuft nicht immer alles nach Plan, doch alles was wir vorhersagen können, können wir steuern. Das weiß jeder Projektmanager und installiert deshalb ein Risikomanagement. Hier wird versucht, alle Umstände und Zufälle zu kalkulieren, die das geplante Ziel gefährden könnten. Entsprechend werden oft (Verteidigungs-) Strategien entwickelt, das Unplanbare beherrschbar zu machen, um unbeirrt seinem Weg folgen zu können.
Wie wertvoll Zufälle sein können, zeigt die Liste zufälliger Erfindungen. Dazu gehören unter anderem die Röntgentechnik, Porzellan und der Mikrowellenherd. Daher versucht der Effectuation-Ansatz das Situationspotenzial zu identifizieren und Umstände und Zufälle als Hebel für das eigene Vorhaben zu nutzen, anstatt sie als Fehlversuche auszuklammern.
Zyklischer Prozess
Die Ideenverwertung im Unternehmensprozess mit allen seinen Entscheidungsgremien und Hierarchieebenen sieht folgendermaßen aus: Zur Umsetzung einer Idee werden alle Einflussfaktoren bis ins Detail analysiert, um eine valide Entscheidung ableiten zu können. Dann wird geplant. Potenziale werden berechnet, um die notwendigen Ressourcen bewilligt zu bekommen. Erst dann wird gehandelt und der geplante Pfad kann nur mit großen Mühen unter Einreichung von Change Requests verändert werden. Der zyklische Ansatz weicht von diesem Vorgehen ab. Nachdem die alternativen Handlungsoptionen geprüft wurden, beginnt das Handeln und ggf. Erproben mehrerer Optionen. Es besteht unter anderem darin, Partnerschaften mit denjenigen einzugehen, die dem Vorhaben folgen und bereit sind, in dieses zu investieren, z.B. Know-how, Zeit, ihr Netzwerk oder Geld. Mit Hilfe dieser Vereinbarungen ändert sich die Ausgangslage, denn die zur Verfügung stehenden Mittel haben sich nun aufgrund der Partnerschaft vermehrt. Somit stehen auch neue Handlungsoptionen zur Verfügung und der Zyklus beginnt erneut. Auf diese Art und Weise werden auch nur Vorhaben vorangetrieben, die ausreichend viele Partner überzeugen können.
Somit ist ein wesentlicher Unterschied die Perspektive der beiden Methoden. Die klassische Methode definiert ein Ziel in der Zukunft und sucht einen Weg, genau dieses Ziel zu erreichen. Entsprechend kann der Erfolg auch nur durch einen Soll-Ist-Vergleich gemessen werden. Der Effectuation-Ansatz kommt aus der Gegenwart. Das Ziel wird mehr als Zielkorridor oder Richtung festgelegt. Auf dieser Basis werden die Schritte unternommen, die attraktiv sind, um gemeinsam die Zukunft zu gestalten. Entsprechend wird der Erfolg über den für die Beteiligten geschaffenen Wert definiert. (siehe Tabelle 1)
Fazit
In stabilen Situationen, in denen fixe Ziele erreicht werden sollen, eignet sich die kausale, klassische Logik am besten. Für die von großen Veränderungen betroffenen Chemie- und Industrieparks ist es notwendig, mehr selbst zu gestalten und unternehmerische Ansätze wie das Effectuation-Modell auszuprobieren. Denn alles was wir selber steuern können, brauchen wir nicht vorherzusagen. Um unternehmerische Ansätze erfolgreich zu etablieren, bedarf es Motivation und gewisser Freiräume. Denn feste Strukturen, Hierarchien und starre, arbeitsteilige Prozesse verhindern unternehmerisches Denken und vor allem Handeln.
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