Anlagenbau & Prozesstechnik

Digitalisierung als Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit in der Prozessindustrie

Mehr als nur ein Problemlöser

14.06.2023 - Paul Rösberg, geschäftsführender Gesellschafter von Rösberg Engineering, spricht im CHEManager-Interview über Chancen, die die Digitalisierung für die Prozessindustrie bietet.

Die vielfältigen Anforderungen der Prozessindustrie fordern Digitalisierung. Rösberg Engineering bietet hierfür Softwarelösungen, Engineering und Know-how. Paul Rösberg ist davon überzeugt, dass konsequent eingesetzte Digitalisierung ein wesentlicher Schlüssel für die Innovationskraft eines Unternehmens ist. Er leitet das 1962 gegründete Familienunternehmen mit derzeit ca. 170 Mitarbeitern mittlerweile in dritter Generation. Volker Oestreich sprach mit ihm über Chancen, die die Digitalisierung für die Prozessindustrie bietet.

CHEManager: Herr Rösberg, welche gesellschaftlichen und technischen Herausforderungen stehen derzeit in Ihrem Fokus und was davon tangiert besonders die Prozessindustrie?

Paul Rösberg: Die gesamte Industrie steht vor gewaltigen Herausforderungen: Der demografische Wandel führt zu einem zunehmenden Fachkräftemangel mit schwer absehbaren Folgen für viele Bereiche der Gesellschaft. Maßnahmen zu Umwelt- bzw. Klimaschutz fordern technische Lösungen und Konzepte zur nachhaltigen Energieerzeugung, aber auch bei der Herstellung von Produkten. Gleichzeitig bestehen alte Forderungen wie etwa die nach sicherer und effizienter Produktion, um im Hochlohnland Deutschland wettbewerbsfähig zu bleiben. Konsequent gelebte Digitalisierung kann hier mehr sein als nur ein Problemlöser.

 

Grundsätzlich ist der Fachkräftemangel ein Problem,
dem die Automatisierung in hohem Maße begegnen wird.



Die Prozessindustrie gilt in vielen Bereichen als konservative Branche, weil die Sicherheit von Prozessen über Innovation steht. Und dennoch ist auch sie stetig im Wandel. Wir haben diesen Wandel über die letzten Jahrzehnte nicht nur mitbegleitet, sondern auch mitgeprägt – als Engineering-Partner für Lösungen unterschiedlichsten Umfangs bis hin zu hochkomplexen Projekten ebenso wie als Anbieter von maßgeschneiderten Softwarelösungen für die Prozessindustrie.

Können Sie das an konkreten Anwendungen genauer erläutern?

P. Rösberg: Die zuverlässige Planung und termingerechte Umsetzung von Anlagen der Prozessindustrie ist ohne die entsprechende digitale Unterstützung heute nicht mehr denkbar. Unser PLT-CAE-System ProDOK begleitet Anlagenbauer und -betreiber der Prozessindustrie mittlerweile seit Jahrzehnten, und zwar während des kompletten Lebenszyklus der Anlage. Das Tool unterstützt den Prozess, sodass Anlagenrealität und die Abbildung der EMSR-Technik in der Software stets in Deckung bleiben.

Während vielerorts in Prozessanlagen die Dokumentation noch auf Papier festgehalten und in meterlangen Ordnerreihen abgelegt wurden, entwickelten wir bereits vor vielen Jahren die digitale Anlagendokumentation LiveDOK. Mit ihr lassen sich Änderungen bei Wartung und Instandhaltung einfach an zentraler Stelle festhalten und sofort allen Mitarbeitern in der Anlage verfügbar machen, ganz ohne zeitaufwändiges und fehleranfälliges Kopieren und Abheften in Ordnern.

Ein Thema, das in den vergangenen Wochen über ChatGPT nicht nur in der Automatisierung, sondern in der breiten Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit erfahren hat, ist künstliche Intelligenz. Wie wird der Anlagenbau und der Anlagenbetrieb davon profitieren können?

P. Rösberg: Ich gehe vorerst nicht davon aus, dass künstliche Intelligenz beispielsweise die manuelle Software-Entwicklung direkt ablöst, wohl aber zum Unterstützer werden kann. Sicherheit und Datenschutz spielen in der Prozessindustrie eine zentrale Rolle. Ein wichtiger Bestandteil von Sicherheitskonzepten ist das Vier-Augen-Prinzip. Eine Möglichkeit, wie KI-Technologie in diesem Zusammenhang unterstützen könnte, besteht darin, bei der Analyse von Schwachstellen zu helfen. Mittelfristig werden sich bestimmt auch Chancen bei der Unterstützung und Verifizierung der Prozessplanung ergeben.

Wie können die 3-Buchstaben-Akro­nyme MTP, APL und NOA dabei helfen, den aktuellen Herausforderungen für wirtschaftliches Agieren in der Prozessindustrie zu begegnen?

P. Rösberg: MTP, das Module Type Package, ist ein interessanter Baustein für die optimierte Prozessplanung. Standardisierte, funktional beschriebene Prozessmodule, die sich für die Entwicklung verschiedener Anlagen wiederverwenden lassen, werden den Engineering-Aufwand im Anlagenbau künftig deutlich reduzieren und gleichzeitig die Qualität verbessern.
Ohne Netzwerk ist keine Digitalisierung möglich. Hier eröffnen sich mit Ethernet APL, also der speziell für die Anforderung der Prozess­industrie weiterentwickelten Ethernet-Kommunikationstechnologie, in vielen Anwendungen neue Möglichkeiten. Neben dem Netzwerk sind Daten ein wesentliches Kernelement für eine erfolgreiche Digitalisierung.

 

KI und Konzepte wie MTP werden die Erstellung von Automatisierungs­software
für wiederkehrende Aufgaben deutlich erleichtern.

 

Je nachdem, welchen Teil einer Prozessanlage man näher betrachten will, stehen zwar viele Daten irgendwo zur Verfügung, sind aber längst nicht alle im Zugriff. In der Steuerung beispielsweise finden sich in der Regel nur die Daten, die für den Produktionsprozess selbst relevant sind, und zwar auch nur in der Genauigkeit, wie sie dafür benötigt werden. Das Monitoring von Feldgeräten oder Messungen zur Prozess­optimierung oder Überwachung von Umweltdaten lassen sich damit oft nicht realisieren. Hier kommt die NE 175 „NAMUR Open Architecture“ mit ihrem NOA-Konzept ins Spiel. Ihr Ziel ist es, Produktionsdaten einfach und sicher für Anlagen- und Geräteüberwachung sowie für Optimierungen nutzbar zu machen. Wir beobachten diese Trends aufmerksam und stehen mit entsprechenden Lösungen parat.

Lassen Sie mich ein weiteres Buzz-Word in die Runde werfen, den digitalen Zwilling. Welche Bedeutung hat er für die Prozessindustrie?

P. Rösberg: Der digitale Zwilling hat in der Fabrikautomation schon viel von sich reden gemacht und bringt natürlich auch Chancen für die Prozessautomation. Allerdings ist hier die Vernetzung vielfältiger Gewerke zu betrachten. Wir können natürlich für die EMSR-Seite einer Anlage einen digitalen Zwilling liefern und je nach Definition, die man für den Begriff wählt, bilden die Daten in ProDOK eine Art digitalen Zwilling ab. Aber zusätzlich braucht es, um die gesamte Anlage abzubilden, auch digitale Zwillinge für die angrenzenden Gewerke. Die Verwaltungsschale bzw. Asset Administration Shell spielt hier eine entscheidende Rolle. Sie dient als eine standardisierte Schnittstelle, die es ermöglicht, die unterschiedlichen digitalen Zwillinge sinnvoll miteinander zu verbinden.

Welche weiteren Digitalisierungstrends sehen Sie für die Prozess­industrie?

P. Rösberg: Mixed Reality ist ein Trend, der die Branche künftig prägen wird. Sie kann beispielsweise bei der Anlageninspektion zum Unterstützer werden, sowohl zum Auffinden der zu wartenden Komponenten als auch beim Abgleich mit digitaler Dokumentation oder dem Einbeziehen externer Experten. Auch in Kombination mit unserem Workflow-Optimierungs-Tool PAM, dem Plant-Assist-Manager, bringt sie großen Nutzen bei der Digitalisierung von Produktionsprozessen.

Zum Abschluss eine eher persönliche Frage: Was sind Ihre besonderen Herzensangelegenheiten?

P. Rösberg: Da fällt mir einiges ein: Wer wie wir langjährig bewährte Produkte setzt, darf nie aus dem Blick verlieren, diese am Puls der Zeit weiterzuentwickeln. Deshalb habe ich das rLab gegründet, unsere Innovationswerkstatt, in der Macher aus allen Rösberg-Fachgebieten ihre Köpfe zusammenstecken, um neue Markttrends zu erspüren und an visionären Technologien und Softwaretools von Ingenieuren für Ingenieure zu forschen. Hier investieren wir personelle und finanzielle Ressourcen in einem strukturierten Prozess, damit aus Visionen am Ende ganz reale Produkte werden.

Wichtig sind mir aber auch enge Partnerschaften, z. B. mit der NAMUR, bei der wir in verschiedenen Gremien vertreten sind. Wir haben verschiedene Richtlinien mit unserer Praxiserfahrung mitgeprägt und in unseren Softwaretools entsprechende Lösungen implementiert. Eine weitere wichtige Partnerschaft besteht zu Siemens. Hier sind wir einer von weltweit fünf zertifizierten PCS neo-Spezialisten für das Web-basierte Prozessleitsystem Simatic PCS neo.

Der Mix an Themen, die ein Unternehmen heute im Blick haben muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben, ist vielfältig: Dazu gehören Lösungen zur Nachhaltigkeit für unsere Auftraggeber ebenso wie im eigenen Unternehmen. Wir sehen es als unsere Hauptaufgabe, die Industrie auf ihrem Weg in eine nachhaltigere Zukunft zu unterstützen und begleiten. Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg ist nach meiner Meinung das Arbeiten auf Augenhöhe mit den eigenen Mitarbeitern, Kunden und Partnern. Nicht zuletzt auch in Bezug auf den Fachkräftemangel ist eine moderne Arbeitskultur wichtig für die Gewinnung neuer Talente. Diesen vielfältigen Themen kann man aus meiner Sicht heute nur noch mit der Unterstützung durch digitale Lösungen begegnen.

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