Anlagenbau & Prozesstechnik

Chemisches Recycling – Status und Perspektive im industriellen Kontext

Eine nachhaltige Lösung für Kunststoffabfälle

25.07.2023 - Was hat E-Mobilität mit chemischem Recycling zu tun? Das verdbindende Element ist Naphtha, das als Nebenprodukt bei der Herstellung von Automobilkraftstoffen aus Erdöl entsteht.

Naphtha bildet die  Grundlage für die im Steamckracker hergestellten Basismoleküle der Kunststoffproduktion. Solange keine Umstellung auf E-Mobilität erfolgt, bleibt die Produktion von Kunststoffen aus Naphtha bestehen. Obwohl großtechnische chemische Recyclingverfahren bereit sind, besteht derzeit kein Bedarf an zusätzlichen Rohstoffen für die Kunststoffproduktion.

In der heutigen Zeit sind Kunststoffe aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken und nahezu unverzichtbar. Da jedoch Kunststoff in der Umwelt kaum abgebaut werden, kann ihre weit verbreitete Nutzung und unsachgerechte Entsorgung zu erheblichen Umweltproblemen führen, darunter die Vermüllung der Ozeane und die Freisetzung von Treibhausgasen. Dem will die EU entgegenwirken. Die EU strebt zudem eine Energiewende an, wie sie durch die Annahme der EU-Taxonomie im Jahr 2022 deutlich wird. Unser Ziel ist es, klimafreundliche Maßnahmen zu ergreifen, wie sie der europäische Green Deal vorsieht. Um das Ziel einer Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 zu erreichen, ist konsequentes Handeln erforderllch, um ohne Erdöl als Treib-, Brenn- und Rohstoff auskommen zu können. Doch woher sollen dann unsere Kunststoffe kommen, die bisher aus dem Nebenprodukt der Erdölraffination, dem Naphtha hergestellt werden?

Bisher konnte die werkstoffliche Verwertung von Kunststoffabfällen nur etwa 10 % der neuen Kunststoffe ersetzen, und es ist äußerst schwierig, diesen Anteil wesentlich zu erhöhen. Rund 90 % der recycelten Post-Consumer-Kunststoffabfälle mussten somit neue oder alternative Märkte finden, indem sie zu eher dickwandigen Produkten wie Palletten, Parkbänken, Terrassendielen oder Palisaden verarbeitet werden, dem so genannten Downcycling. Die werkstoffliche Verwertung hat so bisher zu einem Anstieg der Kunststoffverwendung geführt, nicht zur Kunststoffvermeidung. Es konnte die Produktion von neuen Kunststoffen kaum ersetzen.

Kunststoffe bestehen hauptsächlich aus Polymeren auf Kohlenwasserstoffbasis, wie Polyethylen (PE), Polypropylen (PP), Polyethylenterephthalat (PET), Polyvinylchlorid (PVC), Polyurethan (PUR), Polyamid (PA) oder Poly­styrol (PS). Neben den Polymeren enthalten Kunststoffe aber auch mineralische, metallische, halogenhaltige und organische Zusatzstoffe, die die Qualität, Funktion und Haltbarkeit des Kunststoffs erzeugen. Selbst wenn Kunststoffe optimal sortenrein erfasst und von Verunreinigungen gereinigt werden, ist es fast unmöglich, die richtige Zusammensetzung dieser Additive für die jeweilige spätere gleichwertige Anwendung wiederherzustellen. Dies verdeutlicht die Komplexität der Aufgabe des Kunststoffrecyclings.

Ein aktueller Ansatz zur Erweiterung des Potenzials des mechanischen Recyclings besteht darin, unter der Voraussetzung, dass bereits sortenreine Kunststoffe vorliegen, die Additive (z.B. die Weichmacher) durch den Einsatz von Lösemitteln zu extrahieren. Auf diese Weise können die Additive dann bei Bedarf den gereinigten Polymeren wieder zugeführt werden.

Rückblick auf die Recyclingentwicklung

Die Verpackungsverordnung aus dem Jahr 1991 hat mit dem ebenso eingeführten Dualen System Deutschland (DSD) zur Erfassung der Einwegverpackungen, das mechanische Recycling der Kunststoffe überhaupt nicht auf dem Schirm gehabt. Machbarkeit und Kosten des dualen Systems wurden fast ausschließlich mit dem Potenzial des chemischen Kunststoffrecyclings begründet. Konkret war hierzu die Methanolproduktion des Vergasungskomplexes „SVZ Schwarze Pumpe“, die Kohle-Öl-Anlage in Bottrop zur Produktion von Kohlenwasserstoffen für die chemische Industrie, unter anderem zur Produktion von Kunststoffen, und das Stahlwerk Klöckner-Stahl zur Reduktion von Eisenerz und Treibhausgasminderung als Recyclingoptionen für die damals prognostizierten 500.000 Mg/a Kunststoffverpackungsabfälle aus der getrennten Sammlung vorgesehen. Das mechanische Recycling konnte erst später aufgrund der Sprunginnovation der NIR-Sortiertechnologie und vieler weiterer effizienter Sortiertechnologien einen neuen Markt für Recyclingprodukte entwickeln, die jedoch kaum in Konkurrenz zu Neuprodukten standen.

Von 2001 bis 2003 wurden 95 % aller DSD-Anlagen mit dieser neuen NIR-Technologie ausgestattet. Mit der fortschreitenden Digitalisierung wurde die NIR-Technologie entscheidend weiterentwickelt, reicht aber wegen der erforderlichen gleichbleibenden Qualitäten nicht aus, um relevant Neukunststoffe zu ersetzen. Ein Blick auf die Rohstoffe der Kunststoffherstellung in Europa weist Naphtha aus der Erdölraffination als den hauptsächlichen Grundstoff der Kunststoffproduktion aus. Es fällt genau so viel Naphtha an, wie bei der Herstellung der Zielprodukte der Raffinerie, v. a. den Treibstoffen Benzin und Diesel für die Mobilität produziert wird.

Eine Reduzierung der Kunststoffproduktion und eine damit iniziierte Abfallvermeidung steht somit in einem komplexen Zusammenhang mit der chemischen Industrie und der erdölbasierten Verwendung im Sektor der Mobilität. Pauschal könnte man sagen: Es ist in Europa nicht mehr Kunststoff produziert worden als bei der Erzeugung von Treibstoffen am Nebenprodukt Naphtha entstanden ist, aber leider auch nicht weniger!

 

Chemisches Recycling zwischen Gestern und Heute

Es gibt Staaten, die schon frühzeitig auf andere Rohstoffe als Naphtha zur Kunststoffproduktion geschaut haben, gerade vor und nach 1973 mit der ersten globalen Ölkrise.

Das chemische Recycling, oder auch „Coal-to-Chemicals“ wurde überall dort massiv entwickelt, wo der Zugriff auf Rohöl erschwert und mit einer nationalen sehr guten Verfügbarkeit von Kohle kombiniert war. Derzeit ist China der weltweit größte Hersteller von Kunststoffen aus Kohle, vorwiegend über druckaufgeladene Flugstromvergaser. Ebenso führten Entwicklungen von General Electric (GE), auf Basis von seit 1952 genutzten atmosphärischen Flugstromvergasern schließlich 1983 zum ersten kommerziell betriebenen druckaufgeladenen Flugstromvergaser des US-Chemiekonzerns Eastman als Coal-to-Chemical Anlage. Kunststoffabfälle werden in dieser Anlage ab 2019 bereits in großem Umfang für das chemische Recycling verwendet. Dies erfolgt heute anteilig auch in den mehr als 60 großen Coal-to-Chemi­cals-Anlagen in China mit einem Durchsatz von jeweils mehreren Millionen Tonnen pro Jahr.

Alternative Technologien, die auf dem Prinzip der Schacht- oder der Wirbelschichtvergasung von Kohle beruhen, haben sich für die Coal-to-Chemical-Anlagen nicht durchgesetzt. Dies liegt zum einen an den geringeren Durchsätzen dieser Technologien im Vergleich zum Druck-Flugstromvergaser, aber auch an besonderen Anforderungen an deren Kohlequalität.

In deutschen Erdölraffinerien wiederum sind nur Verarbeitungskapazitäten im Millionen-Tonnen-Bereich wirtschaftlich sinnvoll. Insgesamt gibt es in Deutschland an weniger als 15 Standorten zusammen mehr als 100 Mio. t Rohölverarbeitungskapazität pro Jahr, d.h. durchschnittlich etwa 7 Mio t pro Jahr und Standort.

Pioniere in der chemischen Verwertung von Kunststoffabfällen waren Unternehmen wie KWU mit dem Schwel-Brenn-Verfahren, das ursprünglich Wasserstoff aus Pyrolysegas und Pyrolysekoks erzeugen sollte. Für das Cracken des Pyrolysegases und des Pyrolysekokses sollte ein Gaswandler, bestehend aus einem glühenden Koks-Fließbett, verwendet werden. Der Gaswandler hat jedoch nie funktioniert, um ein für die chemische Weiterverwendung geeignetes Synthesegas zu erzeugen. Mit der Entwicklung des Druck-Flugstromvergasers sollte die Pyrolyse an diese Technologie angepasst werden. Hierzu wurde das Noel-Konversionsverfahren als auch für das Choren-Verfahren als Versuchsanlagen, beide auf der Basis des Druck-Flugstrom-Vergasers, realisiert und weiterentwickelt.

Ab 1995 wurden im ehemaligen VEB-Gaskombinat Schwarze Pumpe diverse Braunkohleschachtvergaser zum anteiligen Einsatz von kunststoffhaltigen Abfällen zur Methanolproduktion umgebaut und hierzu ebenso neue Steinkohlevergaser installiert. Leider konnte der erhoffte hohe Abfallanteile im Brennstoffgemisch mit Kohle aufgrund zu geringer Thermostabilität der hierfür erzeugten Briketts nicht erreicht werden. Der druckbeaufschlagte Flugstromvergaser konnte nur mit flüssigen oder fein gemahlenen suspendierten Abfällen betrieben werden. Dies hat für die technologische Entwicklung des chemischen Recyclings zwar einen großen Beitrag geleistet, aber es hat zu diesem Zeitpunkt kein wirtschaftlich akzeptables Verfahren hervorgebracht.

Der Durchbruch des chemischen Recyclings mit dem druckaufgeladenen Flugstromvergaser gelang mit Unterstützung bei der Entwicklung von ABB (TwinRec) und Lurgi (Rowitec), der japanischen Firma EBARA. Der wesentliche Unterschied zu den oben genannten Verfahren liegt in der vorangeschalteten intern rotierenden Wirbelschichtvergasung zur Brennstoffkonditionierung.

Da die Druck-Flugstromvergasung nur aschearme, pulverförmige oder flüssige Brennstoffe verarbeiten kann, übernimmt die druckaufgeladene EBARA-Wirbelschichttechnologie die thermische Konditionierung der Abfälle. Bei der Vergasung bei niedriger Temperatur entstehen Koks und ein sehr kohlenwasserstoffreiches („fettes“) Gas, wie bei der Pyrolyse. Der Koks wird von der rotierenden Wirbelschicht durch das Sandbett pulverisiert und kann so mit dem kohlenwasserstoffreichen Gas Druck-Flugstromvergasung zugeführt werden. Die  Asche wird in der Wirbelschicht ausgetragen  und so gelangt nur ein geringer Ascheanteil in den Flugstromvergaser.

Seit 1999 wurde in Japan so das chemische Recycling von getrennt gesammelten Kunststoffabfällen mit dem EBARA-System eingeführt und wird ab 2001 in einer ersten kommerziellen Anlage mit 35.000 Mg/a und ab 2003 in einer weiteren Anlage mit 70.000 Mg/a betrieben. Das japanische Konsortium aus dem Chemieunternehmen Showa Denko, dem Kunststoffhersteller UBE, dem Anlagenbauer EBARA und dem Maschinenbaukonzern JGC bietet aktuell diese Technologie für das chemische Recycling von Kunststoffabfällen weltweit an.

Zukunft des chemischen Recyclings

Auf dieser Technologie beruhend, könnten in Deutschland innerhalb von maximal fünf Jahren an Raffinerie- oder Chemiestandorten die Kapazitäten für das chemische Recycling mit etwa einem Dutzend Anlagenlinien mit jeweils bis zu 500.000 Mg/a installiert und damit alle in Deutschland anfallenden Kunststoffabfälle, die nicht mechanisch verwertbar sind, chemisch recycelt werden.

Dies könnte somit eine nachhaltigere Lösung anstelle der heute noch vorwiegenden Verbrennung dieser Kunststoffabfälle darstellen, da hierbei die Rohstoffe für eine Kunststoffproduktion erhalten bleiben. Solange aber nicht konsequenter auf Elektroantriebe umgestiegen und künftig weiterhin etwa die gleiche Menge an Kraftstoffen verbraucht wird, wird der Rohstoff der heutigen Kunststoffproduktion, Naphtha, als Nebenprodukt der Benzin- und Dieselherstellung weiterhin produziert und muss damit vorwiegend zu Kunststoffen verarbeitet werden.

Die chemische Industrie schlägt hierfür neben, u.a. Verfahren der Solvolyse, Depolymerisation oder des enzymatischen Recyclings vor, eher kleine dezentrale Pyrolyseanlagen zu bauen, um über deren Output ihre Steamcracker weiter auszulasten und so auch bei sinkenden Naphthamengen weiter zu betreiben. Der Nachweis, dass Pyrolyseöl hierfür kein Abfall mehr ist, muss jedoch noch erbracht werden. Bislang gibt es in Deutschland keine bekannte Genehmigung für den direkten Einsatz von Pyrolyseöl aus Kunststoffabfällen in Steamcrackern. Aber selbst, wenn es sie gäbe, ist die bisherige Pyrolysetechnik nur für kleine Kunststoffmengen geeignet und zudem sehr ineffizient: Das unvermeidbar entstehende Pyrolysegas ist nur bedingt energetisch nutzbar und mit nicht zu vernachlässigenden CO2-Emissionen verbunden. Der Pyrolysekoks ist ebenfalls nicht als Produkt  vermarktbar. Es wird die Hoffnung genährt, dass chemisches Recycling vieler Kunststoffabfälle so in Zukunft möglich sein wird, nur eben noch nicht heute. Diese Strategie funktioniert, da die chemische Industrie derzeit keine recycelten Kunststoffe benötigt, weder aus dem mechanischen noch aus dem chemischen Recycling. Dies liegt daran, dass die Verkehrswende mit Elektrifizierung noch in den Kinderschuhen steckt und Naphtha immer noch reichlich in den Raffinerien als Nebenprodukt produziert wird.
Unbenommen dieser Einschränkungen bietet das chemische Kunststoffrecycling, v. a. der Vergasung in der Zukunft aber ein enormes Potenzial für eine hoch vernetzte sowie nachhaltige Kunststoffwirtschaft, die zu einer Rohstofferhaltungsstrategie, inkl. der umfassenden Nutzung des Wasserstoffs und des Kohlendioxids aus Kunststoffabfällen führen wird. Anstrengungen müssen aber unternommen werden, um ein günstiges regulatorisches Umfeld, z.B. durch Normung sowie ein passendes wirtschaftliches Umfeld für die Entsorgungswirtschaft und die chemische Industrie zu schaffen, dass deren Anwendung und die Skalierung der Technologien künftig fördert.

Autoren: Holger Alwast, Geschäftsführer, Alwast Consulting
Reinhard Schu, Geschäftsführer, EcoEnergy, Gesellschaft für Energie- und Umwelttechnik mbH

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