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Chemieindustrie 2030 – die Zukunft ist gestaltbar

VCI und Prognos veröffentlichen Studie zur Entwicklung der Chemieindustrie

02.10.2012 -

Die deutsche Chemieindustrie wird auch im Jahr 2030 maßgeblich zu Lebensqualität und Wohlstand unserer Gesellschaft beitragen. Zu diesem Ergebnis kommt das Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos, das im Auftrag des Verband der Chemischen Industrie (VCI) die Entwicklung der Branche analysierte. Dr. Andrea Gruß befragte Dr. Klaus Engel, Vizepräsident des VCI, zu den Ergebnissen der Studie.

Herr Dr. Klaus Engel, welcher Zukunft sieht die Chemieindustrie in 20 Jahren entgegen?

. Klaus Engel:
Die fortschreitende Globalisierung wird zu teils dramatischen und sehr dynamischen Umwälzungen in der Weltwirtschaft und das Weltbevölkerungswachstum zu einem zunehmenden Bedarf an Konsumgütern führen. In dieser wirtschaftlichen Entwicklung wird die Chemie weltweit eine Schlüsselrolle einnehmen, von der auch die deutsche Chemie profitieren kann.

Denn bei allen globalen Megatrends wird unser Industriezweig mit seinen Leistungen und innovativen Produkten entscheidende Beiträge zur Lösung dieser Herausforderungen liefern können.
Als Global Player wird die deutsche chemische Industrie in diesem neuen, veränderten Umfeld richtig aufgestellt sein und erfolgreich punkten können. Die Vernetzung mit starken Leitbranchen wie Fahrzeug- und Maschinenbau oder Elektrotechnik bleibt dabei ein entscheidender Heimvorteil.
Unter diesen Voraussetzungen wird die deutsche Chemieproduktion bis 2030 durchschnittlich um 1,8 % pro Jahr, global um 4,5 % pro Jahr wachsen. Sie legt damit eine höhere Dynamik an den Tag als die gesamte deutsche Industrie oder die Gesamtwirtschaft.

Die deutschen Chemieexporte werden weiter zulegen, so dass schließlich 60 % der Produktion an Kunden im Ausland verkauft werden können: 8 Prozentpunkte mehr als heute. Im Ergebnis wird Deutschland seine gute Position am Weltmarkt somit verteidigen können.

Was bedeuten die Entwicklungen für die Chemiebeschäftigten?

Dr. Klaus Engel:
Eine der schwierigsten Herausforderungen wird in unserer Bevölkerungsstruktur liegen. Der demografische Wandel in Deutschland wird dazu führen, dass das Potential an Arbeitskräften stark zurückgeht: Im Jahr 2030 werden 37,5 Mio. Beschäftigte - also rund 3 Mio. weniger als heute - 30 % mehr Wirtschaftsleistung erzielen müssen. Wir wollen die Auswirkungen des demografischen Wandels, insbesondere den Fachkräftemangel in der Chemie, durch technologischen Fortschritt und effizientere Strukturen im Betriebsablauf auffangen. Bei deutlich steigenden Reallöhnen verbessert dieser Produktivitätsfortschritt gleichzeitig die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Chemie. Ebenso wichtig wird aber auch die Integration ausländischer Fachkräfte sein. Ohne Zuwanderung wird es nicht gehen.

Wie machen sich die Unternehmen fit für die Zukunft?

Dr. Klaus Engel:
Rohstoffverknappung, Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Urbanisierung und Industrialisierung setzen in den kommenden 20 Jahren für die Unternehmen unserer Branche andere Rahmenbedingungen als in der Vergangenheit. Zusätzlich haben wir am Standort Deutschland mit den Herausforderungen von Energiewende, Fachkräftemangel und Ressourceneffizienz zu kämpfen. An diese Rahmenbedingungen müssen sich die deutschen Chemieunternehmen anpassen.

Wir müssen also unsere Innovationsanstrengungen erhöhen. Die chemische Industrie zählt schon heute mit jährlich 8,8 Mrd. € für Forschung und Entwicklung zu den besonders innovationsstarken Zweigen der deutschen Wirtschaft. Der globale Wettbewerb um neue Produkte erfordert aber ein noch höheres Tempo: Bis 2030 wird unsere Branche ihr Forschungsbudget um weitere 9 Mrd. € aufstocken.
Zudem werden forschungsintensive und höherwertige Spezialchemikalien einfache Chemieprodukte verdrängen. Schon heute stellen die Spezialitäten mit 43 % den größten Anteil der Produktion der deutschen Chemie. Unser Wissensvorsprung auf diesem Gebiet macht auch in Zukunft den Unterschied im Wettbewerb gegenüber anderen Chemienationen aus. Trotz dieses Trends wird Deutschland bis 2030 eine starke Basischemie betreiben.

Der globale Wettbewerb und steigende Energie- und Rohstoffkosten werden dafür sorgen, dass die Unternehmen die Messlatte für Ressourceneffizienz noch höher legen: Obwohl die Produktion bis 2030 um 40 % zulegt, wird der absolute Rohstoffverbrauch nur um 15 %, der Energieverbrauch sogar nur um 8 % ansteigen.

Der qualitative Wandel der Rohstoffbasis, der die Abhängigkeit unserer Branche von endlichen fossilen Ressourcen verringert, wird weiter vorangetrieben. Der Rohstoffmix der deutschen Chemie wird sich weiter zu Gunsten nachwachsender Rohstoffe verändern. 2,7 Mio. t nachwachsende, pflanzliche Rohstoffe sind heute Ausgangspunkt für die Herstellung von Produkten größtenteils aus dem Segment der Spezialchemie. Bis 2030 werden die Chemieunternehmen in Deutschland 50 % mehr nachwachsende Rohstoffe für ihre Verfahren verwenden.

Die Aussichten für die deutsche Chemiebranche, die Sie skizzieren, sind gut. Kann es auch anders kommen?

Dr. Klaus Engel:
Die Studie stellt in Alternativszenarien dar, dass die politischen Rahmenbedingungen die Entwicklung sogar erheblich beeinflussen können. Im Szenario „zerrissene Wertschöpfungsketten" wird eine Industriepolitik zu Grunde gelegt, die vor allem in Bezug auf die Energieversorgung zu massiven wirtschaftlichen Einschnitten führen würde. Wenn die drei Eckpfeiler der Energiepolitik „sicher, sauber und bezahlbar" nicht mehr gewährleistet sind, werden tiefe Risse in unserem Wirtschaftssystem entstehen. Und reißen die etablierten Wertschöpfungsketten in Deutschland, würde der industrielle Kern schwer geschädigt.

Die mangelnde Versorgung der Kundenbranchen mit Vorleistungen der Chemie würde letztlich zu einer Abwanderung wichtiger Industriezweige führen. Den volkswirtschaftlichen Gesamtschaden des Szenarios der Deindustrialisierung quantifiziert Prognos auf 440 Mrd. €.

Was müsste geschehen, damit die Erwartungen übertroffen werden?

Dr. Klaus Engel:
Wie die Politik mit den gezielten Maßnahmen zusätzliche Wachstumskräfte mobilisieren und die wirtschaftliche Entwicklung unterstützen kann, zeigt das Szenario „innovationsfreundliches Umfeld". Eine kosteneffiziente Umsetzung der Energiewende stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und die Kaufkraft der Bürger. Ein Ausbau der Forschungsförderung würde die Innovationspotenziale in der deutschen Wirtschaft steigern.

Ein besseres Bildungsniveau an Schulen und Hochschulen würde das Angebot an qualifiziertem Personal für die Unternehmen verbessern. Weniger bürokratische Prozeduren für die vereinfachte Einwanderung von Fachkräften würden dazu beitragen, die Herausforderungen des demografischen Wandels zu bewältigen. Mit diesen Maßnahmen, könnte die Politik einen beträchtlichen positiven Schub für die deutsche Volkswirtschaft und die chemische Industrie auslösen. Der volkswirtschaftliche Mehrwert läge dann insgesamt bei 180 Mrd. €.

Mehr zur Prognos-Studie lesen Sie hier.

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