Strategie & Management

Chemiehandel 2015 bleibt unter Erwartungen

Zweite Jahreshälfte verschlechtert Umsatz – fragile Randbedingungen erschweren Geschäfte

04.05.2016 -

Für den deutschen Chemikalien-Groß- und Außenhandel verlief das letzte Jahr durchwachsen. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, allem voran der Ölpreisverfall, aber auch infrastrukturelle und Gesetzeshürden trugen dazu bei, dass Umsatzeinbußen hingenommen werden mussten. Dr. Birgit Megges führte mit dem Vorstand des Verbands Chemiehandel (VCH) ein Round-Table-Gespräch, in dem die Hintergründe des Jahresverlaufs durchleuchtet wurden. Die Teilnehmer des Gesprächs waren Uwe Klass (VCH-Präsident), Robert Späth (stv. Präsident und Schatzmeister), Thorsten Harke (stv. Präsident und Vorsitzender FA Außenhandel), Frank Edler (Vors. FA Binnenhandel), Jens Raehse (Sprecher der FA Chemiehandel und Recycling), Volker Seebeck (Vorstandmitglied), Christian Westphal (Vorstandmitglied), Peter Steinbach (geschäftsführendes Vorstandmitglied) und Ralph Alberti (VCH-Geschäftsführer).

Während der deutsche Chemikalienhandel im ersten Halbjahr 2015 an die positive Entwicklung im Jahr 2014 anknüpfen und sowohl Mengen- wie auch Umsätze gut behaupten konnte, setzte sich diese Entwicklung im dritten und insbesondere im vierten Quartal nicht fort, so dass sich der Mengenabsatz des lagerhaltenden Platzhandels 2015 insgesamt um 1,4% und der Umsatz um 0,6% verringerten. Im Außen- und Spezialitätenhandel führte die sich verschlechternde konjunkturelle Situation in wichtigen Liefer- und Absatzländern in Verbindung mit dem weiter gefallenen Ölpreis zu einem Umsatzrückgang um 5,9% (für genaue Zahlen s. Kasten „Deutscher Chemiehandel 2015 in Zahlen“). Uwe Klass fasste das vergangene Jahr mit den Worten zusammen: „Das Jahr 2015 war sicherlich kein Jahr, das unsere Erwartungen erfüllt hat.“ Diese Aussage relativierend fügte er noch hinzu, dass bei der Mengenentwicklung der Gesamttonnage das Jahr 2015 mit einem Absatz von 6,3 Mio. t bei einer Betrachtung der letzten zehn Jahre als das zweitbeste Jahr verbucht werden konnte. „Alles in allem kann man mit der Entwicklung des letzten Jahres noch zufrieden sein“, so Klass.

Unternehmen, deren Geschäft auf Basischemikalien fokussiert ist, haben bereits sehr früh im Jahresverlauf unter dem Ölpreisverfall gelitten. Volker Seebeck erklärte: „Wir konnten nicht an die guten Vorjahre anknüpfen. Verursacht durch die hohe Preisvolatilität haben wir eine große Verunsicherung auf den Märkten gesehen. Wir wollten kein bewusstes Risiko eingehen und haben vorsichtig agiert, indem wir für Teile unseres Geschäfts gewisse Mengenreduktionen selbst herbeigeführt haben. So hatten wir trotzdem noch ein normales, ein brauchbares Jahr.“

Robert Späth erläuterte die Geschäftsentwicklung aus der Sicht eines sowohl im Industriechemikalienbereich als auch als Spezialitätenhändler tätigen Unternehmens: „Im mittelständischen Kreis unserer Abnehmer von Industriechemikalien ist eigentlich die Geschäftsentwicklung derzeit erfreulich. Allerdings sind die Preise der Chemikalien, bedingt durch die Ölpreise und andere Effekte, gesunken. Das erweckt die Erwartung der Kunden nach Preisreduktionen für unsere Spezialitäten, die wir aber nicht erfüllen können.“ Die Problematik, die dahinter steht, ist einfach erklärt: In den Spezialitäten stecken viele innovative Ideen und die Wertschöpfung ist insgesamt höher, so dass die Preise für Spezialchemikalien nicht einfach gesenkt werden können. Im Gegenteil, die Lieferanten der Spezialchemikalien erwarten teilweise sogar Preiserhöhungen, die sich für den Händler im Markt nur schwer umsetzen lassen. Frank Edler ergänzte: „Die Margen sind in den einzelnen Regionen Deutschlands relativ konstant geblieben. Es gab hier schon immer gute und schlechte Gebiete. Allerdings ist der Umsatz im Platzhandel nicht so stark gesunken wie im Außen- und Spezialitätenhandel.“ Christian Westphal ergänzte folgende Schwierigkeit: „Wir sehen auf dem deutschen Markt einen intensiven Wettbewerb. Viele ausländische Wettbewerber, die eigentlich in ihren Ländern wie Frankreich oder England bleiben wollten, gehen inzwischen doch nach Deutschland. Das erhöht den Margendruck.“

Blick auf verschiedene Regionen

Beim Blick auf Entwicklungen außerhalb Deutschlands gerieten mehrere Länder in den Fokus. So wurde der türkische Markt als schwierig beschrieben, da die Margen dort stark unter Druck geraten sind. Hier spielten der Währungsverfall und die insgesamt schlechtere Wirtschaftslage eine große Rolle. Ebenfalls schwierig, durch einen sehr starken Preisdruck, verlief das Jahr im polnischen Markt. Im Gegenzug waren im russischen Markt Verbesserungen zu spüren, weil dort die Kaufkraft durch die Stabilisierung des Rubels wieder zugenommen hat. Die Märkte in Spanien und Portugal haben sich erholt und sorgten 2015 für ein gutes Jahr. Frankreich hingegen ist ein Land, das höhere Erwartungen geweckt hat, diese aber nicht erfüllen konnte. In Großbritannien und den Benelux-Staaten gab es keinerlei Auffälligkeiten.

Seebeck spannte den Bogen noch ein bisschen weiter: „In Asien ist das Wachstum im Wesentlichen durch China nicht mehr auf dem Niveau, das wir über viele Jahre gewohnt waren. Wir befinden uns dort in einer Phase, in der zusätzlich für das ein oder andere Produkt Überkapazitäten entstanden sind, die die Wettbewerbsintensität und damit auch den Druck auf die Marge erhöhen. Grundsätzlich ist es aber weiterhin eine Wachstumsregion, so dass wir hier auch zukünftig über interessante Volumina sprechen.“ Lateinamerika hat sich zu einem eher schwierigen Markt entwickelt, weil die politische Situation und das Thema Korruption einen negativen Einfluss auf die Geschäfte hatten. „Vor einigen Jahren galten die BRIC-Staaten noch als Treiber der Weltwirtschaft, heute sind alle vier Staaten mit einem Fragezeichen versehen“, so Seebeck. Für den Chemiesektor sieht er Nordamerika als den heutigen Treiber der Weltwirtschaft. Die Amerikaner haben sowohl günstige Rohstoffe als auch sehr wettbewerbsfähige Energiekosten. Darüber hinaus bietet der große Home-Market einen beträchtlichen Vorteil gegenüber den anderen Regionen der Welt.

Recycling 2015

Die Beantwortung der Frage, wie sich das Recyclinggeschäft im letzten Jahr entwickelt hat, startete Jens Raehse mit den Worten: „Die Recycler haben es gemacht wie immer – mit viel Einfallsreichtum.“  Die Branche hatte im letzten Jahr bei ihren Produkten mit einem Preisverfall von 40 oder 50% zu kämpfen, was im Normalfall zu einem sehr schlechten Jahr geführt hätte. Das ständige Schwanken der Rohölpreise und Währungen hat besonders die Recycler getroffen. Die Zeitspanne zwischen Rohwareneingang, Recyclingprozess und Wiederveräußerung erschwerte eine gesicherte Kalkulation.

Glücklicherweise konnte der Preisverfall durch einen deutlichen Mengenzuwachs im Bereich der Lohndestillation und weiterer Dienstleistungen ausgeglichen werden. Raehse betonte außerdem, dass die Recycler gerade in den letzten Jahren sehr viel investiert haben, um zum einen die Kapazitäten zu erhöhen und zum anderen die Lagermöglichkeiten auszubauen. Von daher war es sehr wichtig, dass ein Ausgleich für den Zusammenbruch der Preise gefunden wurde.

Kritisch äußerte sich Raehse über den restriktiven Umgang der Banken mit der Kreditvergabe an Recycler, der die grundsätzlich hohe Investitionsbereitschaft der Branche ausbremst. Während sich die Banken der positiven Entwicklung verschließen, konnten zumindest in einem Bundesland in Deutschland regionale Förderungsmaßnahmen zum Ausbau des Betriebes in Anspruch genommen werden.

Anforderungen an Mitarbeitern steigen

Die Zahl der Arbeitskräfte ist im Chemiehandel im letzten Jahr insgesamt um 1,8% im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Vor allem Abteilungen, die sich mit den neuen gesetzlichen Vorgaben auseinandersetzen müssen, sind in den letzten Jahren stark gewachsen. Edler kommentierte: „Unsere Legal-Compliance-Abteilung hatte vor fünf Jahren einen Mitarbeiter, jetzt sind es zehn. Natürlich dienen all diese Vorgaben der Sicherheit. Die Frage ist nur, ob der Aufwand in dieser Größenordnung wirklich sinnvoll ist.“

Ein weiteres Problem ist die Qualifikation der Mitarbeiter. Die Anforderungen in sämtlichen Bereichen wachsen kontinuierlich und zum Teil sind neue Berufsfelder entstanden. Klass bemerkte: „Wir werden auch in den kommenden Jahren einen Zuwachs haben, weil wir unseren Mitarbeitern in vielen Bereichen mehr Zeit geben müssen, um die Aufgaben qualifiziert umzusetzen…Wir sind permanent dabei, die nächsten Generationen auszubilden. Das, was die Mitarbeiten lernen müssen, geht oft nur neben dem Tagesgeschäft in unseren eigenen Betrieben.“ Dass diese Tatsachen vor allem für kleinere Unternehmen eine sehr große Herausforderung – und das nicht nur aus finanzieller Sicht – darstellen, liegt auf der Hand.

Zunehmende Digitalisierung

Ferner muss sich der Chemiehandel in vielfältiger Weise den Herausforderungen durch die fortschreitende Digitalisierung stellen. Dies reicht von der Ausbildung ihrer Mitarbeiter über die Modernisierung und Weiterentwicklung ihrer EDV-Systeme bis zur Neugestaltung ihrer Einkaufs-, Vertriebs- und Logistikstrukturen. Unter anderem sprach Westphal von einer regelrechten Parallelarbeit, die momentan bewältigt werden muss. Er hofft aber, dass es sich hier um ein Übergangsthema handelt und die Digitalisierung in einigen Jahren zu Einsparungen führen wird. Für Peter Steinbach ist es eher ein Wunschdenken, dass es den Zeitpunkt geben wird, an dem alle den gleichen modernen Kommunikationskanal nutzen werden: „Ich vermute, dass die Zahl der Kommunikationskanäle eher noch zunehmen wird. Meiner Meinung nach müssen wir eher Sorge haben, dass für einen Händler, der sich sowohl auf die Lieferanten- als auch auf die Kundenseite einstellen muss, das Geschäft noch anspruchsvoller wird, da letztendlich alle Kanäle bedient werden müssen. So rückt das Ziel der Kostenersparnis durch Digitalisierung vielleicht weiter weg, als dass es näher kommt.“

Auch Klass gab zu bedenken: „Wir handeln zum Teil mit hochsensiblen Produkten, deren Vertriebsprozesse wir selbst in der Hand behalten müssen. Ich denke da zum Beispiel an Endverbleibserklärungen oder Responsible-Care-Leitlinien und freiwillige Selbstbeschränkungen der VCH-Mitgliedsunternehmen im Hinblick auf die Grundstoffüberwachung. In diesen Bereichen stößt die Digitalisierung an ihre Grenzen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir irgendwann auch missbräuchlich verwendbare Produkte auf rein digitalem Weg vermarkten werden.“

Dokumentationsaufwand wächst

Die Branche klagt außerdem über einen stetig steigenden Dokumentationsaufwand. Es häufen sich Fragebögen zu Systemen, die Kunden bei sich implementiert haben. Dabei geht es oft um Sicherheits- oder Umweltaspekte. Jeder möchte sich gegen jegliche Regressansprüche absichern. Die Folge ist, dass die Fragen oft mehrere Ebenen der Lieferkette umfassen. Die Offenlegung der Bedingungen hinter den eigenen Werkstoren genügt schon lange nicht mehr. „Wir haben teilweise Leute bei uns sitzen, die den ganzen Tag nichts anderes machen, als diese Fragebögen zu bearbeiten. Und das sind meist hochqualifizierte Mitarbeiter, weil viele der Fragen nicht einfach zu beantworten sind“, so Thorsten Harke.

Von Verbandsseite wird seit Jahren versucht, einheitliche Systeme zu verwenden, um derartige Abfragen zu vereinfachen. Dies ist zum Teil mit der Einführung der gegenseitig anerkannten Selbstverpflichtung Responsible Care und dem Zertifizierungssystem ESAD gelungen. Als wenig hilfreich empfindet die Branche die Einführung neuer, nicht abgestimmter Initiativen wie „Together for Sustainability“ (TfS). Diese von der chemischen Industrie ins Leben gerufene Initiative bringt zusätzliche Fragestellungen ein, die in den bewährten Systemen nicht abgefragt werden. Dies sorgt unweigerlich für Komplikationen, erfordert einen zusätzlichen Aufwand und verursacht Kosten. Ralph Alberti verdeutlichte die Wünsche des Verbandes: „Unser Anliegen ist es, möglichst viel zusammenzuführen, was letztlich auf ein Ziel hinausläuft. Wir plädieren für eine Vereinheitlichung. Leider sind wir diesbezüglich im letzten Jahr überhaupt nicht weitergekommen.“

Späth wies darauf hin, dass im Grunde gar keine lokalen, sondern globalen Lösungen gefragt sind: „Die Lieferketten sind global und die problematischsten Regionen liegen zum Teil nicht in Europa. Letzten Endes müsste die Lösung also zumindest europäisch, besser noch international sein. Leider funktioniert die Standardisierung aber überhaupt nicht…Es wäre wünschenswert, hier einen gemeinsamen Nenner zu finden.“

Einflüsse, die das Geschäft erschweren

Es liegt auf der Hand, dass im Zuge aktueller Ereignisse das Thema Sicherheit in den Vordergrund rückt. Dazu zählen Themen wie die Abgabe von Stoffen, die ein erhöhtes Gefährdungspotenzial aufweisen, sowie die Absicherung von Anlagen und Transporten. In diesen Bereichen sind sowohl die gesetzlichen als auch die Vorgaben der Kunden enorm gestiegen.

Zusätzliche Beeinträchtigungen für die Branche stellen Verordnungen dar, die zwar schon länger in der Diskussion sind, deren Folgen aber jetzt erst absehbar werden. Harke erläuterte: „Die nächste Stufe von REACh wird bis 2018 in nicht wenigen Fällen dazu führen, dass Produkte vom Markt genommen werden, weil die Kosten im Falle einer Registrierung zu hoch werden. Auch die Biozid-Verordnung wird in den nächsten Jahren ganz massiv durchschlagen. Absehbar werden auch hier Produkte, zum Beispiel im Schwimmbad- oder im Wasch- und Reinigungsmittebereich, vom Markt verschwinden. Bei einigen Produkten wird es eine Konzentration auf wenige Anbieter geben.“ Insofern wäre es dringend notwendig, innovative Alternativprodukte zu entwickeln. Doch Steinbach äußerte sich dazu kritisch: „Laut einer Studie des europäischen Biozidnetzwerks sind Mitarbeiter so intensiv mit dem Abarbeiten der regulatorischen Vorgaben beschäftigt, dass sie kaum noch Zeit für innovative Entwicklungen haben. Dass sich das in einigen Jahren rächen wird, ist klar.“

Problematisch auf den Handel wirkt sich auch die zurzeit diskutierte Umsetzung der SEVESO-III-Richtlinie aus. Es wird nach Angaben der Verbandsmitglieder immer schwieriger, Standorte für Betriebe und Lagerstätten zu finden bzw. zu halten. „Der jetzt bekannte Entwurf des Bundesumweltministeriums zur Einhaltung von Abständen von Störfallbetrieben zu Schutzobjekten stammt mittlerweile aus dem Sommer letzten Jahres. Er sieht ein Abstandsgebot für den Anlagenbetreiber vor. Dabei wird der Betreiber tatsächlich verpflichtet, einen historisch nicht gegebenen Abstand einzuhalten. Wenn er es nicht schafft, kann es dazu kommen, dass er den Betrieb schließen muss. Die Unternehmen sind dadurch in ihrer Existenz bedroht. Es liegt derzeit kein neuer Entwurf vor und das Ergebnis bleibt abzuwarten“, so Alberti abschließend.

Ausblick

Mit der Geschäftsentwicklung im ersten Quartal 2016 ist die Branche nicht unzufrieden. Für das Jahr insgesamt gilt es, Umsätze, Absatzmengen und Roherträge zu stabilisieren und auszubauen. Dabei wirkt sich für den Chemiehandel positiv aus, dass das Spektrum der Branchen, die bedient werden, sehr breit gefächert ist. Die Herausforderungen für das laufende Jahr sind eingebettet in weiterhin fragile handels-, finanz- und geopolitische Rahmenbedingungen. Insofern schätzt der Verbandsvorstand die Aussichten für das gesamte Jahr insgesamt eher verhalten ein. Trotz einer relativ stabilen Nachfrage werden derzeit keine großen Möglichkeiten gesehen, deutliches Wachstum zu generieren. Dennoch ist die Branche überzeugt, ihre wichtige volkswirtschaftliche Funktion im Produktionsverbindungshandel erneut unter Beweis stellen und gleichzeitig einen Beitrag zur Nachhaltigkeit in der Chemie leisten zu können.

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