Biobasierte Rohstoffe aus Abfällen
Für die Transformation der Chemieindustrie ist die Kreislaufwirtschaft wichtig, aber nur ein Teil der Lösung
Keine Konferenz, keine Messe, keine Präsentation ohne Kreislaufwirtschaft. Das Konzept ist simpel wie überzeugend: Materialien im Kreislauf halten und so den Bedarf an neuen Rohstoffen senken.
Wiederverwendung maximieren, Abfall minimieren. Gerade in der Chemie- und Kunststoffindustrie werden so gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Weniger Plastikmüll am Ende der Wertschöpfungskette, weniger fossile Ressourcen an ihrem Anfang. Die zwei größten Herausforderungen der Branche mit einem Streich bewältigt?
Völlig zu Recht ist Kreislaufwirtschaft ein viel diskutiertes Thema, wenn es darum geht, nachhaltiger zu wirtschaften. Recycling wird eine entscheidende Rolle dabei spielen, die Branche zu transformieren. Ohne Kreisläufe wird es die Chemie schwer haben in einer Gesellschaft, in der Nachhaltigkeit vom Wettbewerbsvorteil zur Grundvoraussetzung wird. Ohne Kreisläufe wird es nicht gehen. Wo es möglich ist, müssen wir Materialien im Kreislauf halten.
„Ohne Kreisläufe wird es nicht gehen. Wo es möglich ist, müssen wir Materialien im Kreislauf halten.“
Recyceln, was möglich ist
Dafür müssen wir alle Möglichkeiten ausschöpfen: Stand heute landen weniger als 10% des globalen Kunststoffabfalls im Recycling. Um die Lücke zu schließen, braucht es eine Ausweitung des mechanischen Recyclings. Gleichzeitig braucht es aber auch neue Technologien: Wir müssen das chemische Recycling ausbauen, um zusätzliche Abfallströme zu nutzen und Rezyklate in Anwendungen zu bringen, für die sich das mechanische Recycling nicht eignet, etwa aufgrund von zu starken Verunreinigungen in den Abfallströmen oder aufgrund sehr hoher Qualitätsansprüche beim Endprodukt – z.B. im medizinischen Bereich. Es passiert viel in diesem Feld: Neste selbst investiert aktuell in Kapazitäten für chemisches Recycling in Finnland, aber auch viele andere Unternehmen treiben neue Recyclingtechnologien voran. Die Chancen stehen gut, dass wir zukünftig mehr und mehr recyceln können. Die Kreislaufwirtschaft kann Realität werden. Aber reicht das auch?
Die Nachfrage nach Kunststoffen wächst, trotz Bestrebungen, den Einsatz von Plastik dort zu reduzieren, wo es Alternativen gibt. Wir müssen beim Recycling-Rennen also nicht nur eine Lücke schließen, die Strecke wird auch stetig länger. Hinzu kommt: Recycling geht immer mit Verlusten einher, bei jedem Prozessschritt büßen wir Material ein. Je nach Recyclingverfahren und Qualität bzw. Zusammensetzung des Abfalls bleibt mehr oder weniger Material auf der Strecke, wobei sich generell festhalten lässt: je komplexer der Abfall, desto geringer die Ausbeute. Wir werden daher auf absehbare Zeit immer auch neues Material brauchen, um den Bedarf zu decken. In einer nachhaltigen Gesellschaft kann dieses Material nicht mehr aus fossilen Quellen stammen. Glücklicherweise gibt es Alternativen, die wir nutzen können, z.B. biobasierte Rohstoffe.
„Recycling und die Kreislaufwirtschaft können zum Rückgrat der Transformation werden.“
Abfälle und Reststoffe nutzen
Es gibt zahlreiche biobasierte Rohstoffe, die sich zur Herstellung von Kunststoffen und Chemikalien eignen. Bei Neste setzen wir z.B. vornehmlich auf Abfälle und Reststoffe: altes Frittierfett etwa oder Rückstände aus der Pflanzenölproduktion. In unseren Raffinerien werden diese Rohstoffe zu reinen Kohlenwasserstoffen verarbeitet. Chemisch sind sie damit nahezu identisch mit den Produkten aus fossilen Raffinerien. So entstehen biobasierte bzw. erneuerbare Kraftstoffe (Diesel, Flugzeugtreibstoff), aber auch Naphtha oder Propan, die in der Kunststoffherstellung Anwendung finden können. Da die erneuerbaren Rohstoffe für die Chemieindustrie von ihren fossilen Verwandten kaum zu unterscheiden sind, können sie diese auch eins zu eins ersetzen. Sie können zudem auch mit fossilen – oder chemisch recycelten – Rohstoffen für die Chemieindustrie gemischt werden. Das macht sie gerade als wirkungsvolle Ergänzung zur Kreislaufwirtschaft interessant.
Unterm Strich ermöglichen erneuerbare Rohstoffe die Herstellung von Kunststoffen und Chemikalien von identischer Qualität und mit identischen Eigenschaften wie jene, die aus fossilen Rohstoffen hergestellt werden: Polypropylen, Polyethylen, PET o. ä. Im Ergebnis gibt es bereits heute zahlreiche Anwendungen in den Supermarktregalen dieser Welt: von hochwertigen Kaffeekapseln über Verpackungsfolien, von Windeln bis Plastikbechern. Anwendungen in der Medizin- oder Lebensmittelindustrie zeigen, dass es auch beim Thema Sicherheit keinerlei Abstriche gibt.
Der entscheidende Unterschied: die Klimabilanz
Ganz anders sieht es beim CO2 -Fußabdruck aus, wenn erneuerbare Rohstoffe fossile ersetzen. Mit biobasierten Rohstoffen nutzen wir Kohlenstoff aus dem natürlichen Kreislauf der Erde. Im Gegensatz zu fossilen Rohstoffen bleibt die Gesamtmenge an Kohlenstoff in der Atmosphäre so weitgehend unverändert. Im Falle von biobasierten Rohstoffen von Neste sinkt der CO2 -Fußabdruck gegenüber fossilem Rohstoff für Plastik um über 85 %.
Im Gegensatz zu anderen Sektoren sind erneuerbare Kunststoffe keine Zukunftsidee, sondern im Hier und Jetzt verfügbar – und das nicht zu knapp: Allein Neste verfügt über erneuerbare Raffinerien mit einer Gesamtkapazität von etwa 3,3 Mio. t/a. Bis Anfang 2024 wird die Zahl auf 5,5 Mio. t/a steigen und soll Ende 2026 rund 6,8 Mio. t/a erreichen. Es ist der Chemieindustrie damit möglich, ohne großen CapEx-Aufwand oder Umstellungen an der Infrastruktur die Emissionen in der Lieferkette deutlich zu senken und die Abhängigkeit von fossilen Ressourcen zu verringern.
„Um fossile Ressourcen gänzlich zu ersetzen, müssen wir die Rohstoffbasis ausbauen.“
Erneuerbare Rohstoffe der Zukunft
Die Verfügbarkeit der heute eingesetzten Abfälle und Reststoffe hat ein natürliches Limit. Schätzungen gehen davon aus, dass uns 2030 jedes Jahr über 40 Mio. t Öle und Fette aus Abfällen und Reststoffen zur Verfügung stehen werden. Bei einer globalen Kunststoffproduktion von rund 400 Mio. t/a ist klar, dass das nicht reichen wird – zumal die Öle und Fette auch zu Kraftstoffen oder anderen Produkten verarbeitet werden.
Um fossile Ressourcen gänzlich zu ersetzen, müssen wir die Rohstoffbasis daher ausbauen. Das gilt für Öle und Fette aus Abfällen und Reststoffen, es gibt aber auch weitere vielversprechende Quellen, an denen wir forschen:
- Lignocellulose: Hier dienen land- und forstwirtschaftliche Abfälle und Reststoffe als Basis für den benötigten Kohlenstoff.
- Novel Vegetable Oils (NVO): Pflanzenöle, die auf neuen, nachhaltigeren und regenerativen Konzepten in der Landwirtschaft basieren und den Bedarf an Ackerfläche reduzieren. So lassen sich zusätzliche Mengen an Pflanzenölen herstellen. Dabei wird die Aufnahme von CO2 und somit die Senkung von Treibhausgasemissionen maximiert. Zudem steigt die Qualität der Böden. Genutzt werden bestehende Flächen, etwa abseits der Saison oder im Einklang mit der Viehwirtschaft.
- Mikroalgen: Fotosynthetische Algen können prinzipiell überall dort kultiviert werden, wo es Sonnenlicht und Wasser gibt – auch Salzwasser.
- Siedlungsabfälle: Bestimmte Teile des herkömmlichen Haushaltsabfalls lassen sich durch Vergasung oder Fermentation und Synthese zu Kohlenwasserstoffen verarbeiten.
- Power-to-X: Mit der Umwandlung von CO2 lockt eine nahezu unbegrenzt verfügbare Kohlenstoffquelle für Kraft- oder Rohstoffe – vorausgesetzt, es gibt ausreichende Mengen an erneuerbarer Energie.
Es braucht alle Lösungen
Bei der Suche nach nachhaltigen Lösungen für die Chemieindustrie wird Recycling oft als perfekte Lösung idealisiert. Dabei geraten zusätzliche Technologien in Vergessenheit. Richtig ist: Recycling und die Kreislaufwirtschaft können zum Rückgrat der Transformation werden. Je mehr Material wir recyceln und damit im Kreislauf halten, desto besser. Wo mechanisch möglich, sollte es mechanisch erfolgen. Wo nicht möglich, sollten wir chemisch recyceln.
Aber: Recycling allein wird im post-fossilen Zeitalter nicht reichen. Wir werden zusätzliche Alternativen brauchen. Darüber müssen wir uns schon heute bewusst werden und die richtigen Weichen stellen.
Biobasierte Rohstoffe können eine dieser Alternativen sein. Dass sie schon heute verfügbar sind, hilft uns dabei, den Wandel voranzutreiben. Denn: Unser CO2-Budget ist absolut. Jeder eingesparte Tropfen Rohöl zählt – heute schon. Warten wir nicht, legen wir los!
Katja Wodjereck, Executive Vice President Renewable Products, Neste
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Zur Person
Katja Wodjereck ist Executive Vice President Renewable Products bei Neste. Vor ihrem Wechsel zu Neste im Frühjahr 2023 war die gebürtige Augsburgerin Präsidentin DACH und Italien bei Dow sowie Commercial Director Dow Industrial Solutions. Im Laufe ihrer 20-jährigen Laufbahn bei Dow hatte sie zuvor verschiedene Führungspositionen in Vertrieb, Marketing und Product/Asset Management in Europa und Lateinamerika inne. Wodjereck ist Absolventin eines Executive MBA-Programms und hat International Business Management studiert.