Automatisierung und Digitalisierung erhöhen Widerstandsfähigkeit
Auch in Krisenzeiten wettbewerbsfähig durch intelligente Lösungen für Anlagenwartung und Instandhaltung
Im aktuellen Geschäftsklimaindex stellt das IFO-Institut fest: Die Geschäftsstimmung in der chemischen Industrie hat sich im August drastisch verschlechtert (minus 33 Punkte); die deutsche Chemieindustrie blickt so düster in die Zukunft wie seit über 30 Jahren nicht mehr (schlechtester Wert seit 1991) und viele wissen nicht, wie sie durch den Winter kommen sollen. Der Krieg in der Ukraine belastet die Branchenkonjunktur erheblich, denn laut VCI ist die chemische Industrie mit einem Anteil von 15 % größter deutscher Gasverbraucher und ein großer Anteil des Energieverbrauchs entfällt auf Erdgas (siehe Nord Stream).
Die chemische Industrie fürchtet obendrein für den Fall eines Ausbleibens russischer Gaslieferungen einen „industriellen Flächenbrand“ für die Bundesrepublik. Der Branchenverband VDI warnt: Würden Chemieanlagen einmal heruntergefahren, stünden sie still für Wochen und Monate. Experten befürchten dann einen Dominoeffekt, weil wenig später die Bänder auch in anderen großen Branchen wie der Autoindustrie oder dem Maschinenbau ruhen müssten – ein Desaster für die gesamte deutsche Wirtschaft. Unternehmen bereiten sich entsprechend auf den Ernstfall vor und entwickeln Strategien, falls es zum Engpass in der Gasversorgung kommen sollte: Die Pläne reichen von alternativen Brennstoffen bis hin zum Zurückfahren – oder sogar ganz Herunterfahren – der Produktion. Dazu kommt: Viele Unternehmen kämpfen mit einem eklatanten Personalmangel und haben oft nicht die Zeit und Ressourcen sich um Präventivmaßnahmen zu kümmern. Viele Unternehmen agieren aktuell oft nur reaktiv statt proaktiv auf die aktuell ständig wechselnden Umstände.
Digitalisierung für mehr Wettbewerbsfähigkeit
Doch genau in der aktuellen Situation ist es umso wichtiger, einen Schritt zurückzutreten und das große Ganze zu betrachten: Auch wenn die deutsche Chemieindustrie eine der größten und wichtigsten in Europa ist, ist sie nicht unantastbar. Unternehmen beginnen langsam, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie resilienter gegenüber externen Störungen werden, um im internationalen Vergleich weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben. Der Lösungsansatz: Digitalisierung! Dadurch werden die hohen Gaspreise und der Personalmangel nicht verschwinden – die Situation erfordert jedoch ein Umdenken in herkömmlichen Prozessen und einen neuen Technologieansatz, damit Unternehmen effizienter agieren können.
Der digitale Wandel bietet Unternehmen beträchtliche Möglichkeiten nicht nur zur Verbesserung von Prozessen, sondern auch, um einen Beitrag zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele zu leisten. Fortschrittliche Technologien sind in der Lage, große Datenmengen in Echtzeit zu sammeln, zu überwachen und zu analysieren. Diese Daten können dabei helfen, die Produktivität und Effizienz im Unternehmen zu steigern, die Widerstandsfähigkeit gegenüber Störungen zu verbessern und nachhaltiger zu werden, indem Prozesse optimiert werden.
Next Steps für die deutsche Chemieindustrie
Automatisierung und Digitalisierung für mehr Widerstandsfähigkeit – dieses Credo trifft auch auf die Chemieindustrie zu. Dabei ist die Implementierung intelligenter Lösungen im Bereich Anlagenwartung und Instandhaltung der erste und wichtigste Schritt für Unternehmen, um auch in Krisenzeiten wettbewerbsfähig zu bleiben.
Es kommt zunächst darauf an, vorhandene Altsysteme zu modernisieren und vor allem zu vereinheitlichen. Alle Standorte eines Unternehmens sollten auf eine zentrale Datenbank, z.B. bei der Erstellung und Verwaltung von P&IDs zugreifen können und nicht mit unterschiedlichen Tools arbeiten müssen.
Durch die Einführung entsprechender Technologien und Tools kann die Effizienz im Anlagenbetrieb durch Verbesserung der Qualität der technischen Anlagendokumentation gesteigert werden. Zudem ist eine Daten-zentrierte und standardisierte Datenbank der erste Schritt für den Aufbau einer digitalen und vernetzten Produktion. Weiterhin berichten Unternehmen von einer verbesserten Time-to-Market sowie einer erhöhten Effizienz bei der Projektdurchführung, da den Projektteams nun aktuelle, einheitliche und vertrauenswürdige technische Bestandsdaten zur Verfügung stehen.
„Vor allem für anlagenintensive Branchen wie die Chemieindustrie ist ein proaktives Management der Anlagen unerlässlich."
Perfektioniert wird dieser Vorgang durch die Einführung eines digitalen Zwillings (Digital Twin), der die 3D-Visualisierung der Anlagen ermöglicht. Mithilfe des Digital Twins lassen sich fehlerhafte Komponenten schnell identifizieren und nach effizienter Bestellung der notwendigen Ersatzteile unterstützen digitale Aus- und Einbauhilfen den Austauschprozess der defekten Teile. Das Stichwort hier lautet „proaktiv“ und lässt sich generell auf die Anlagenwartung in Chemieunternehmen anwenden: Vor allem für anlagenintensive Branchen wie die Chemieindustrie ist ein proaktives Management der Anlagen unerlässlich, um kritische Maschinen und Produktionsanlagen am Laufen zu halten und die vorhandenen Mengen an Daten zu nutzen, um den Wartungsbedarf zu prognostizieren. Damit können Chemieunternehmen nicht nur Kosten sparen, sondern auch ihre sowieso nur begrenzt verfügbaren Ressourcen optimal nutzen und die Beschäftigten vor Ort dort einsetzen, wo sie am dringendsten benötigt werden.
Autorin: Sabrina Buschkamp, Account Manager DACH, Asset Lifecycle Intelligence Division, Hexagon, Ratingen
Zur Person
Sabrina Buschkamp studierte Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Digitalisierung an der Universität Duisburg-Essen und sammelte bei Praktika erste Industrieerfahrungen, u a. bei Covestro. Seit 2018 arbeitet sie bei Hexagon und berät als Account Manager in der Hexagon Asset Lifecycle Intelligence Kunden in der DACH-Region bei ihren Digitalisierungsstrategien. Aktuell unterstützt sie Betreiber in Deutschland dabei, einen stärkeren datengetriebenen Ansatz zu verfolgen und die verfügbaren technischen Daten zu nutzen, um die digitale Fabrik bzw. virtuelle Anlage zu entwickeln und die Vorteile der Industrie 4.0 zu nutzen.
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