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Werkstoff mit Zukunft: Interview mit Robert Koehler, Wiesbadener SGL Group

Der Graphit- und Carbonfaserproduzent SGL Group profitiert von Innovationen durch Substitution

05.11.2009 -

Eine wirtschaftliche Herstellung von Aluminium und Stahl wäre ohne Kathoden und Elektroden aus Graphit kaum denkbar. Auch High-tech-Branchen, wie die Halbleiter- oder Solarindustrie, die Luft- und Raumfahrt sowie die Windenergiebranche, wissen die ungewöhnlichen Eigenschaften von Graphit und carbonfaserbasierten Werkstoffen zu schätzen. All diese Industrien sind Kunden der Wiesbadener SGL Group. Dr. Andrea Gruß befragte Vorstandsvorsitzenden Robert Koehler zur Strategie des Unternehmens und den Entwicklungen am weltweiten Carbon-Markt.

CHEManager: Im Jahr 2007 wurde aus der SGL Carbon Group die SGL Group - The Carbon Company. Was war der Anlass für den Namenswechsel?

R. Koehler: Seit dem Ausstieg aus dem Hoechst-Konzern ­Anfang der 1990er Jahre haben wir mehrere Entwicklungsphasen durchlaufen. Auf den Börsengang im Jahr 1995 folgte eine Phase des externen Wachstums, in der wir unser Geschäft global ausgerichtet haben. Die Jahre ab 1998 waren geprägt durch interne und externe Schwierigkeiten, z.B. das Antitrust-Verfahren. Es folgten die Asienkrise, der Einbruch des Neuen Marktes und die amerikanische Stahlkrise, in der über ein Drittel der US-Stahlindustrie in Chapter 11 war. Diese Phasen mussten wir durchlaufen, d.h. Standorte schließen, Geschäfte verkaufen und gleichzeitig globale Strukturen aufbauen sowie unser Portfolio neu ausrichten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Ende 2006 stand die Neuausrichtung der Firma mit dem Fokus auf die Geschäftsfelder: Graphitelektroden und -kathoden, Graphitmaterialien und -systeme sowie Carbonfasern und Composites. Das haben wir dann mit einem neuen Firmennamen kommuniziert.

Was unterscheidet das Geschäft der heutigen SGL Group von dem der 1990er Jahre?

R. Koehler: Zu Hoechst-Zeiten produzierten wir in drei Ländern, in Italien, in Deutschland und in Österreich. Damit waren wir als europäischer Spieler bestenfalls im Mittelfeld. Mit der schrittweisen Verabschiedung aus dem Hoechst-Verbund haben wir als erstes unser größtes Geschäft - die Graphitelektrode für die Elektrostahlindustrie - durch Akquisition globalisiert und zum Marktführer ausgebaut. Danach wurde unser Portfolio bei Graphitspezialitäten und Prozesstechnologie nach und nach erweitert und ebenfalls auf eine globale Basis gestellt. Dabei wurde alles was nicht hineinpasste systematisch abgebaut. Wir haben Werke geschlossen, zusammengelegt oder teilweise außerhalb Europas, in Amerika oder in Asien, neu aufgebaut. Es war eine schwierige Phase der Restrukturierung, der Akquisition und der Investitionen, die natürlich auch mit erheblichen Kosten und Personalveränderungen verbunden war. Heute sind wir führender Hersteller von Produkten aus Kohlenstoff mit einem umfassen Portfolio von Carbon- und Graphitprodukten bis zu Verbundwerkstoffen. Wir erzielten 2008 einen Jahresumsatz von rund 1,6 Mrd. € mit einem EBIT von über 300 Mio. € und betreiben weltweit über 40 Produktionsstätten in Europa, Nordamerika und Asien.

Der Titel „The Carbon Company" impliziert die Marktführerschaft Ihres Unternehmens ...

R. Koehler: Ja, wir nehmen für uns in Anspruch, dass wir das führende Unternehmen in dieser relativ kleinen Branche sind. Die gesamte Carbon-, Graphit- und Carbonfaser-Composite-Branche ist schwer zu erfassen, weil die Verästelungen der Produktverarbeitungen sehr weit gehen. Wenn man den Markt relativ eng abgrenzt, ist es eine kleine globale Nische mit vielleicht 8 bis 10 Mrd. € Marktvolumen. In jedem unserer Geschäftsfelder haben wir ungefähr ein halbes Dutzend ernstzunehmender Wettbewerber; die nächst größeren erzielen ungefähr 50-60% unseres Umsatzes und keiner von ihnen deckt die gesamte Produktpalette ab.

Was macht das Besondere am Werkstoff Carbon aus?

R. Koehler: Carbon wird da eingesetzt, wo andere Materialien versagen. Es ist hitzebeständig bis 3000°C, strom- und wärmeleitfähig. Carbonfasern sind zudem leicht und zugfest. Daher kommen heute Wissenschaftler, Forscher und Ingenieure an diesem Werkstoff nicht vorbei, wenn sie energieeffiziente und umweltfreundliche Anwendungen konstruieren. Das gilt für die neue Flugzeuggeneration genauso wie für die Windrotorblätter oder den automobilen Leichtbau. Bei hohen Temperaturen über 1200°C gibt es praktisch keine Alternative zu Graphit. Anwendungen sind z.B. Heizelemente bei der Wafer-Produktion in der Halbleiterindustrie oder Formen und Tiegel aus Graphit für die Produktion von Solarsilizium. Auch die Anoden von Lithium-Ionen-Batterien werden aus hoch reinem Graphit gefertigt. Im Markt für Anoden in aufladbaren Batterien für kleine Anwendungen, wie Laptops, Handys, etc. halten wir einen Weltmarktanteil von annähernd 40%.

Seit 2005 erzielt Ihr Unternehmen zweistellige Wachstumsraten. 2008 stieg der Umsatz um 17%, das EBIT wuchs um 18%. Wie wollen Sie Wachstum auch in Zukunft sicherstellen?

R. Koehler: Mit unserer neuen, breit aufgestellten Unternehmensstruktur profitieren wir - auch in der derzeitigen Wirtschaftskrise - gleich von mehreren Trends am Weltmarkt. Da ist zum einen der massive Aufbau der Infrastruktur in der neuen Welt, die hohe Mengen an Stahl und Aluminium produziert und auf unsere Elektroden und Kathoden angewiesen ist. Zum anderen haben die Industrialisierung Asiens und Osteuropas beschleunigte Substitutions- und Innovationsprozesse in der westlichen Welt zur Folge. Denn eine mögliche Antwort der traditionellen Industrienationen ist eine beschleunigte Innovation, die zu neuen Technologien, neuen Produkten und Rohstoff- und Energieeinsparungen führt. Bei den alternativen Energien, wie Solarenergie und Windkraft, kommen sie um Graphit und Carbonfaser-Verbundwerkstoffe nicht herum. Aber auch Kernkraftwerke der vierten Generation - Hochtemperaturreaktoren für die kombinierte Produktion von Dampf und Strom, wie sie z. B. in China, Südafrika bzw. USA in der Planung sind - kommen ohne Graphit nicht aus. Leichtbauweisen tragen zur Reduktion des Energieverbrauchs und der Emissionen bei. Die Flugzeugindustrie hat die Teilsubstitution von Metall, hin zur Carbonfaser bereits vollzogen; die Automobilindustrie wird folgen. Aufgrund der Substitutionsprozesse werden allein für den weltweiten Carbonfaser-Markt jährliche Wachstumsraten von über 10% erwartet, auch wenn die derzeitige Wirtschaftskrise für temporäre Dämpfer sorgt. Als einziger integrierter Carbonfaser- und Verbundwerkstoffhersteller in Europa, der die gesamte Wertschöpfungskette abdeckt, profitieren wir von diesen Trends.

Welche Rolle spielt Deutschland für die SGL Group als Produktionsstandort?

R. Koehler: Wir produzieren ca. 70% unserer Produkte außerhalb Deutschlands und verkaufen fast 90% im Ausland. Dass sich unser Hauptsitz in Deutschland befindet, ist rein historisch bedingt. Vor kurzem haben wir übrigens zur Societas Europaea (SE) umfirmiert. Die Rechtsform einer Europäischen Gesellschaft entspricht unserer internationalen Unternehmenskultur und verleiht uns mehr Flexibilität in der Unternehmensführung.

Und Deutschland als Standort für Forschung und Entwicklung?

R. Koehler: Eine Voraussetzung für Innovation sind die richtigen Leute an der richtigen Stelle zum richtigen Zeitpunkt. Deshalb haben wir unsere weltweite Forschung und Entwicklung in Deutschland gebündelt und 10 Mio. € in ein Technology & Innovation Center in Meitingen bei Augsburg investiert, unserem weltweit größten Standort. Es wurde im Mai 2008 eröffnet und bietet Platz für bis zu 150 Wissenschaftler, auch für
Mitarbeiter aus externen Forschungseinrichtungen im Rahmen gemeinsamer Projekte. In Meitingen konzentrieren wir unser gesamtes Material-, Prozess- und Anwendungs-Know-how.
Neben der Weiterentwicklung existierender Geschäfte werden dort innovative Geschäftsideen von der Idee bis zur Marktreife entwickelt.
Des Weiteren haben wir in einen Lehrstuhl für Carbonfasern und Composites an der TU München investiert. Inzwischen beteiligen sich auch BMW, Porsche, EADS und Siemens an der Stiftungsprofessur. Weltweit gibt es nur etwa ein halbes Dutzend Carbonfaser- und Composite-Lehrstühle. München ist der erste in Deutschland.

Demnach bekennen Sie sich zum Standort Deutschland?

R. Koehler: Wenn es um Ingenieurleistungen sowie um Forschung und Entwicklung geht, sind wir in Deutschland nach wie vor stark. Warum ist Ihrer Meinung nach Deutschland im Bereich der Windenergie führend? Subventionen gibt es auch in anderen Ländern. Der Grund dafür ist das aerodynamische Know-how der Flugzeug- und Strömungstechnologie, über das wir in Deutschland verfügen. Hinzu kommen die hohe Kompetenz unseres Maschinenbaus und die Werkstoffkompetenz. Windräder höher als der Kölner Dom mit Rotorblättern von 50 bis 60 Meter sind extremen Materialbelastungen ausgesetzt. Hier kommen nur carbonfaserbasierte Verbundwerkstoffe in Frage. Einen ähnlichen Technologievorsprung wie in der Windenergie beobachten wir in Deutschland auch in der Solarbranche. Auch hier sind unsere Graphit-Produkte gefragt.

International investieren Sie derzeit in einen Produktions­standort in Malaysia. Warum dort?

R. Koehler: Malaysia hat eine hervorragende Infrastruktur. Die Geschäftssprache ist Englisch, die politische Lage stabil und sehr investitionsfreundlich. Und es gibt gut ausgebildete Fachkräfte. Die Bedingungen sind in etwa vergleichbar mit denen in Singapur, mit dem Vorteil, dass Malaysia größer ist und billigere Rohstoffe wie Öl und Gas bietet. Wir investieren in Malaysia mehr als 200 Mio. € in den Bau eines voll-integrierten Graphit­elektroden- und Kathodenwerks mit einer Kapazität von 60.000 t/a. Das ist die größte Einzelinvestition in unserer Unternehmensgeschichte. Im April 2009 startete dort bereits die Produktion von Teilfertigungen der Graphitelektroden für die Elektro-Stahlherstellung. Die Fertigstellung des Werks ist bis Anfang 2011 geplant. Dann wird uns der Standort als Graphit-Hub für Südostasien, Taiwan, Indien und Korea dienen. Längerfristig werden wir dort sicherlich nicht nur Performance Products, sondern auch Produkte aus unserem Geschäftsbereich Advanced Materials herstellen, z.B. Spezialgraphite. In etwa zehn Jahren könnte sich Malaysia zum größten Stwandort der SGL Group entwickeln.

Welche Entwicklung erwarten Sie kurzfristig, für das Jahr 2009 für Ihr weltweites Geschäft?

R. Koehler: Trotz eines 20%-igen Umsatzrückgangs haben wir im ersten Halbjahr 2009 eine EBIT-Marge von 10% und einen Nachsteuergewinn von 23 Mio. € erzielt, nach 99 Mio. € im ersten Halbjahr 2008. Das bestätigt unser Geschäftsmodell. Denn wir konnten den Nachfragerückgang bei Graphitelektroden, den wir für das Gesamtjahr auf 5% schätzen, durch ein Umsatzplus im Geschäftsbereich Carbon Fibers & Composites von 37% im ersten Halbjahr 2009 teilweise kompensieren. Zu diesem Wachstum haben insbesondere Branchen wie die Windenergie und die Luft- und Raumfahrt beigetragen. Zudem sehen wir erste Anzeichen, dass in einigen Kundenindustrien - insbesondere der Stahlindustrie - der Lagerabbau abgeschlossen ist und sich die Produktion wieder belebt. Daher erwarten wir eine Verbesserung in der zweiten Jahreshälfte.

www.sglgroup.com