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Wachstum in der Krise

China investiert einen Großteil seines Bruttoinlandprodukts in Konjunkturprogramme

05.11.2009 -

In den Jahren 1997 bis 2007 konnte China seinen Anteil am Weltmarkt für Chemikalien von 4% auf 11% steigern. Zwar ist auch die aufstrebende Wirtschaft Chinas von der weltweiten Konjunkturkrise betroffen, dennoch erwarten Experten für Chinas Chemieindustrie auch weiterhin ein überproportio­nales Wachstum von mehr als 10% pro Jahr. Damit wird sich die Region bis zum Jahr 2015 zum größten Chemiemarkt der Welt entwickeln. Dr. Andrea Gruß befragte Dr. Dahai Yu, President Greater China bei Evonik Industries, zu seiner Einschätzung der wirtschaftlichen Lage und den Trends am chinesischen Markt.

CHEManager: China war Exportweltmeister 2008 und müsste demnach ebenso von der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise betroffen sein wie westliche Nationen. Was beobachten Sie vor Ort, Herr Dr. Yu?

Dr. D. Yu: 40% des chinesischen Bruttoinlandproduktes basieren auf Export. Daher ist China naturgemäß von der Wirtschaftskrise sehr stark betroffen. Und wir sehen seit deren Beginn auch einen Rückgang beim Export. Ein wesentlicher Teil des chinesischen Exports basiert auf der Verarbeitung, d.h. es werden Komponenten importiert, verarbeitet und wieder exportiert. Die Wertschöpfung innerhalb Chinas ist dabei sehr begrenzt, ein großer Teil der Wertschöpfung wird im Ausland erzielt, in den USA, Japan und Europa. Die Auswirkung des Exportrückgangs auf das BIP-Wachstum wird häufig überschätzt. Der Rückgang hat jedoch starke Auswirkung auf die Beschäftigung in China. Insbesondere im Süden, wo die verarbeitende Industrie beheimatet ist, kommt es zu Entlassungen. Die Regierung hat daher bereits entsprechende Maßnahmen getroffen, um dem entgegenzuwirken.

Welche Wachstumsraten werden derzeit in China erzielt?

Dr. D. Yu: Vor der Krise hat China ein jährliches BIP-Wachstum von 10 bis 13% erzielt. Im Jahr 2008 waren es 9% und im ersten Quartal 2009 6,1%. Das zeigt, dass China prinzipiell stark von der Krise betroffen ist. Vergleicht man jedoch die Wachstumsraten Chinas mit denen der USA und Deutschlands, die im ersten Quartal bei -4,7% und -3,5% lagen, dann zeigt sich, dass die Differenz im BIP-Wachstum eher größer geworden ist.

Wie erklären Sie diesen Trend?

Dr. D. Yu: Das ist sicherlich eine spannende Frage, die nicht so einfach zu beantworten ist. Es gibt wahrscheinlich diverse Einflüsse, die hier eine Rolle spielen.

Sie hatten eingangs gesagt, die chinesische Regierung reagiert mit stabilisierenden Maßnahmen auf die Krise. Welche sind dies?

Dr. D. Yu: Die chinesische Regierung hat relativ schnell - wie andere Regierungen auch - eine Reihe an Maßnahmen initiiert, um das BIP-Wachstum zu stärken. Das ‚Stimulus-Paket‘ umfasst Maßnahmen zur Stärkung des Binnenmarktes, z.B. die Förderung von Investitionen, die Erhöhung der Mehrwertsteuerrückerstattung und die Schaffung von kostengünstigen Krediten. Neben den Arbeitsplatz sichernden Maßnahmen setzt China auch auf verbesserte Rahmenbedingungen für Merger & Akquisitions und für Innovationen. Die Förderungen des Stimulus-Plans konzentrieren sich auf zehn zukunftsorientierte Industriebereiche, dazu zählen neben der Petrochemie, Textilien, Stahl auch alternative Antriebe für Automobile, Nicht-Eisen-Metalle, die Leuchtmittel- und Elektronik- und Kommunikationsindustrie sowie der Schiffsbau und die Logistik. Hier ergeben sich viele Chancen für westliche Unternehmen.

Welches Volumen umfasst das chinesische Konjunkturpaket?

Dr. D. Yu: China investiert 450 Mrd. € in Konjunkturmaßnahmen. Der absolute Betrag liegt damit in der Größenordnung der Investitionen in Gesamteuropa oder in den USA. Betrachtet man jedoch den prozentualen Anteil, so investiert China 17% seines BIPs, die USA 5,7% und Deutschland 3,2%. Investitionen in diesem Ausmaß können daher zu einem nachhaltigeren Wachstum führen als in anderen Regionen. Hinzu kommt, dass in der zentralistisch organisierten Planwirtschaft sich vermutlich Maßnahmen in der Krise konsequenter umsetzen lassen als in anderen Systemen.

Welche Trends beobachten Sie in der chinesischen Chemieindustrie?

Dr. D. Yu: Grundsätzlich ist die chinesische Chemie ein relativ junger Industriezweig. Die chemische Industrie ist noch stärker fragmentiert als in reiferen Regionen wie Europa. Es gibt viele, kleine Chemiefirmen, die Produkte mit relativ niedriger Markteintrittsbarriere anbieten. Die Branche wird daher noch über eine sehr lange Zeit hinweg konsolidieren. Gleichzeitig werden die Wachstumsraten der chemischen Industrie weiterhin sehr hoch sein - unabhängig von der Krise. Denn der grundlegende Bedarf an Produkten für ein besseres Leben, für mehr Mobilität wächst aufgrund der steigenden persönlichen Einkommen, und da wird die Chemie einfach gebraucht. Experten schätzen, dass die Chemieindustrie in China auch in den nächsten Jahren um mehr als 10% pro Jahr wachsen wird.
Aufgrund der verschärften Umweltgesetzgebung wird es dabei aber zu einer Auslese der Produzenten kommen. Nur die Firmen und Anbieter, die nachhaltig investieren und produzieren, werden langfristig überleben. Einhergehend mit diesen Trends steigt auch die Akzeptanz für das Chemiepark-Konzept in China. Denn ein Chemiepark bietet Infrastrukturen, mit denen sich die Synergien zwischen Produzenten besser nutzen und nachhaltige Umweltmaßnahmen realisieren lassen.

Wie ist es um den Nachwuchs in China bestellt?

Dr. D. Yu: Das Nachwuchsthema ist ein Topthema in China. Es gibt war zwar jährlich sehr viele Hochschulabsolventen und zunehmend sehr gut qualifizierte Akademiker mit Vordiplom oder Bachelor-Ausbildung, aber auf der anderen Seite herrscht in China weiterhin ein akuter Mangel an Managern mit internatio­naler Industrieerfahrung. Hier ist der Wettbewerb um die besten Kräfte sehr viel intensiver als in den USA oder Europa.

Welche Bedeutung hat das China-Geschäft für Evonik?

Dr. D. Yu: Evonik ist in China seit 1933 aktiv. Damals wurde in Schanghai das erste Repräsentationsbüro eröffnet. Das Geschäftsfeld Energie ist dort seit über 15 Jahren mit Ingenieurdienstleistungen präsent. Heute liegt der Schwerpunkt von Evonik in der Region Greater China, die China, Hongkong und Taiwan umfasst, auf den Chemie-Aktivitäten. Seit Ende 2002 haben wir dort unser Engagement systematisch ausgebaut. Mit insgesamt 19 Unternehmen und 15 Produktionsstandorten und 4.000 Mitarbeitern hat das Geschäftsfeld Chemie mittlerweile eine starke Präsenz vor Ort. Insgesamt erwirtschaftete der Evonik-Konzern im Jahr 2008 in China, Hongkong und Taiwan einen Umsatz von mehr als 820 Mio. €, davon etwa 85% in der Volksrepublik China. Das entspricht einem Umsatzwachstum von 10% gegenüber 2007. Trotz der Krise streben wir mittelfristig einen Umsatz von
2 Mrd. € an.

Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen?

Dr. D. Yu: Wir fahren auch in Krisenzeiten mit unserer Investitionstätigkeit fort. In den vergangenen Jahren hat Evo­nik jährlich rund 100 Mio. € in der Region investiert. Zuletzt startete im November 2008 der erste Teil eine Großanlage für die Produktion von Plexiglas in Schanghai. Der zweite Teil soll planmäßig noch in diesem Jahr in Betrieb gehen. Insgesamt wird die 250-Mio.-€-Investition eine Kapazität von 100.000 t/a an Methylmethacrylat sowie weitere Kapazitäten für Meth­acrylsäure, Butyl- und Spezialmethacrylate schaffen. Parallel haben wir noch diverse andere Investitionen in China laufen.

Werden zurzeit auch neue Investitionen initiiert?

Dr. D. Yu: Obwohl das Budget aufgrund der aktuellen Krise gekürzt wurde, sieht Evonik China immer noch als die Wachstumsregion und investiert dort überproportional. Wir schauen stets nach Wachstumsmöglichkeiten in China und achten auf eine langfristige Personalplanung. Eins ist klar, die Krise wird zu Ende gehen - wir sehen bereits erste positive Entwicklungen seit März 2009 in China. Die Unternehmen, die sich langfristig vorbereiten und auch in der Krise das Ende der Krise nicht aus den Augen verlieren, werden sicherlich die Gewinner sein.

www.evonik.com