Den Korrosionsprozessen auf der Spur
Simulation galvanischer Korrosion bei hybriden Komponenten
Korrosionssimulation im Entwicklungsprozess zu implementieren ist noch Zukunftsmusik. Zur Verkürzung von Korrosionsüberprüfungen kann sie bereits heute eingesetzt werden.
Korrosion ist keine Material- sondern eine Systemeigenschaft. Die Werkstoffe verhalten sich in Abhängigkeit ihrer Umgebungseinflüsse und Materialpaarungen sehr unterschiedlich. Einflussfaktoren sind unter anderem die verwendete Fügetechnologie, die Bauteilgeometrie, die Werkstoffpaarungen, die Oberflächenzustände und die Betriebsumgebung. Zur Entwicklung von Korrosionsschutzkonzepten ist daher ein detailliertes Verständnis der zugrundeliegenden elektrochemischen Vorgänge unerlässlich.
Untersuchung der Prozesse und Einflussfaktoren
Ein effektiver Korrosionsschutz sollte möglichst früh im Entwicklungsprozess ansetzen und idealerweise bereits in der Konstruktionsphase Berücksichtigung finden, da späte Maßnahmen in der Regel deutlich teurer und aufwändiger sind. Bevor jedoch dem Konstrukteur geeignete Werkzeuge zur Überprüfung zur Verfügung stehen, sind umfangreiche grundsätzliche Untersuchungen der auftretenden Prozesse und Einflussfaktoren notwendig. Bisherige Ansätze zur Untersuchung von Korrosionsvorgängen waren überwiegend experimenteller Natur und daher entsprechend aufwändig und langwierig. Die computerbasierende Analyse des Korrosionsprozesses stellt eine leistungsfähige Möglichkeit dar, die Kinetik der Korrosion, den auftretenden Materialverlust und die Oberflächenbeschaffenheit unter Berücksichtigung der langfristigen Eigenschaften und Funktionen zu untersuchen. Das Institut für Werkstoffforschung am Helmholtz-Zentrum in Geesthacht hat, in Zusammenarbeit mit der Abteilung Korrosionsschutz Karosserie der Daimler AG in Sindelfingen, mit Comsol Multiphysics ein Simulationsmodell erstellt und am Beispiel einer Stanzniete mit der Materialpaarung Magnesium und Aluminium den auftretenden galvanischen Korrosionsprozess detailliert berechnet.
Der Geschäftsbereich ‚Magnesium Innovations Centre‘ des Instituts für Werkstoffforschung am Helmholtz-Zentrum in Geesthacht beschäftigt sich mit der Entwicklung und dem Verfall von Magnesium und hat den Auftrag, Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung zur industriellen Anwendung zu bringen. In letzter Zeit hat sich das Institut verstärkt im Bereich Simulation und Modellbildung engagiert. Mit dem aktuellen Projekt wurde mit Hilfe der Simulation eine Basis geschaffen, Korrosionsprozesse mit konstruktiven Aufgabenstellungen zu kombinieren. Da Korrosionsvorgänge sehr komplex sind und mögliche Schutzmaßnahmen auf das Wissen aus den Bereichen Werkstoffwissenschaften, Metallurgie, Chemie, Physik und Produktionstechnik zurückgreifen, ist das derzeitige Projekt als erster Schritt zu verstehen. Das erzeugte Simulationsmodell der Stanznietverbindung dient als Ausgangspunkt für zukünftige Erweiterungen.
Aufbau eines Simulationsmodells
Bevor das Simulationsmodell aufgebaut werden konnte, mussten zunächst einige Parameter, wie z. B. die elektrochemische Kenngrößen der verschiedenen Metalle, experimentell bestimmt und in einer Datenbank abgelegt werden. So konnten bestimmte Kurven mathematisch dargestellt und im Modell verwendet werden. Als Simulationsumgebung wurde die Modellierungsumgebung COMSOL Multiphysics gewählt, deren besondere Stärke es ist, Eigenschaften gekoppelter Phänomene zu berechnen. Das Programm basiert auf der Finite-Elemente-Methode und wird in Forschung, Lehre und Entwicklung eingesetzt. Durch eine Vielzahl physikalischer Schnittstellen zu Anwendungen von der Flüssigkeitsströmung und der Wärmeübertragung bis hin zur Strukturmechanik und elektrochemischer Analyse können die relevanten physikalischen Phänomene beschrieben und im Modell gekoppelt werden.
Der Anwender kann in vordefinierten Eingabemasken verschiedene physikalische Eigenschaften auswählen, ihre Wechselwirkungen untersuchen und wenn erforderlich, eigene partielle Differenzialgleichungen (PDEs) hinzufügen. Materialeigenschaften, Quellterme, Randbedingungen usw. können dabei frei wählbare Funktionen abhängiger Variablen sein. Das zugehörige gekoppelte Gleichungssystem wird dann simultan gelöst. Für das aktuelle Simulationsmodell der Stanznietverbindung in Comsol Multiphysics wurde der ALE (Arbitrary Lagrangian-Eulerian) Modellierungsansatz mit elektrochemischen Berechnungen für verschiedene Niet-Geometrien gekoppelt. Dabei wurden chemische Reaktionen im Elektrolyt sowie weiterführende gewöhnliche Differentialgleichungen berücksichtigt, um die Oberflächenabdeckung und die Dicke der selbstinduzierten, porösen Korrosionsschicht zu berechnen.
Die aus Materialabtrag und Schichtwachstum resultierende Grenzflächengeschwindigkeit wurde durch die Lösung der Nernst-Planck-Gleichung innerhalb des Elektrolytes, durch die Berechnung der Grenzflächenkinetik unter Anwendung der Butler-Volmer-Gleichung für Mg, einer diffusionsbegrenzten Gleichung für Al und durch die Berücksichtigung der Mg(OH)2 Schichtbildung bei veränderlichen Bedingungen berechnet. Die verwendeten Comsol Multiphysics Module waren neben dem Grundmodul vor allem das Chemical Reaction Engineering Modul sowie das Batteries & Fuel Cells Modul.
Mittlerweile bietet Comsol Multiphysics auch das Corrosion Modul an, mit dem beispielsweise das Schichtwachstum mit Hilfe des sogenannten Moving Mesh-Modus abgebildet werden kann.
Das derzeitige Simulationsmodell hat noch eine Reihe von Einschränkungen, da zur Vereinfachung verschiedene Annahmen getroffen wurden. So wurde z. B. das Aluminium als nicht korrodierend und das Magnesium als reiner Werkstoff und nicht als Legierung angenommen. Darüber hinaus wurde von einfachen Befeuchtungsproblemen ausgegangen, d. h. es handelt sich bei der Umgebung um einen moderat aggressiven Elektrolyt. Zudem werden keine metallischen Ausscheidungen betrachtet und der Korrosionsprozess findet nur an der Oberfläche statt. Darüber hinaus wurde nur eine beschränkte Anzahl chemischer Spezies und Reaktionsprodukte berücksichtigt und lokale Effekte, wie z. B. Lochfraß, wurden in diesem ersten Schritt nicht mit einbezogen.
Erkenntnisse aus der Simulation
Trotz der benannten Vereinfachungen des derzeitigen Simulationsmodells konnten wertvolle Erkenntnisse zum Korrosionsprozess gewonnen und hinsichtlich eines konstruktiven Korrosionsschutzes abgeleitet werden. So konnte durch die zeitliche Betrachtung des Prozesses beispielsweise das Wachstum der Korrosionsschicht untersucht werden. Die zunehmende Schichtdicke führte dazu, dass der Widerstand der Schicht zunimmt, wodurch wiederum das Wachstum nach einer bestimmten Zeit zum Erliegen kommen sollte.
Das Modell zeigte aber, dass aufgrund der Porosität der Schichten ein vollkommener Stopp nicht zu erreichen ist. Insbesondere die Simulation des zeitlichen Verlaufs des Korrosionsprozesses ermöglicht detaillierte Erkenntnisse, die mit experimentellen Untersuchungen so nicht möglich sind. Darunter fallen beispielsweise auch auftretende Schwankungen des pH-Wertes im Elektrolyt.
Außerdem konnten die hinsichtlich eines konstruktiven Korrosionsschutzes wichtigen geometrischen Aspekte detailliert betrachtet werden. So wurde untersucht, wie sich eine Ecke bei einem tief eingestanzten Niet auf das Wachstum der Korrosionsschicht auswirkt und welcher Korrosionsstrom für so eine Geometrie auftritt. Durch eine entsprechende Geometrieoptimierung können solche Stromspitzen vermieden und der Schaden dadurch minimiert werden. Durch die Kopplung der einzelnen Einflussgrößen im Comsol Multiphysics Modell konnten die Wechselwirkung zwischen den Systemen untersucht und im Anschluss geeignete Maßnahmen zur Korrosionsminimierung getroffen werden.
Das generierte Basiswissen konnte bereits auf andere Problemstellungen übertragen und angewendet werden. Es wurde z. B. damit begonnen, die Unterwanderung an KTL-beschichtetem verzinktem Stahl zu berechnen. In einer akzeptablen Genauigkeit konnte so das Verhalten von entsprechenden Bauteilen im Klimakammertest abgebildet werden. Die Ergebnisse werden nun angewendet, um verschiedene Beschichtungsfehler (z. B. Kratzer) auf ihren negativen Einfluss für den Korrosionsschutz zu untersuchen.
Fazit und Ausblick
Im Gegensatz zu bisherigen zeitlich eingeschränkten Betrachtungen ist beim Simulationsmodell des Helmholtz-Zentrums Geesthacht jeder Prozess mit einer Zeitfunktion versehen und zeigt, trotz der noch vorherrschenden Vereinfachungen, eine gute Übereinstimmung mit experimentellen Ergebnissen. Zukünftige Modellerweiterungen werden die Entwicklung mathematischer Beschreibungen der Testumgebung (z. B. Flüssigkeitsfilm/Konvektion), die vollständige Beschreibung der chemischen Reaktionskette (z. B. Cl-) sowie weitere zeitabhängige Korrosions-Randbedingungen und weitere Materialpaarungen umfassen. Das bisherige Modell kann aber bereits für die Untersuchung und virtuelle Auslegung einer Hybridverbindung genutzt werden. Die Strukturen können mittels Simulation optimiert werden, indem die Parameter entsprechend eingestellt werden, um die bestmöglichen Ergebnisse hinsichtlich des Korrosionsstromes und in Folge dessen des Korrosionsschutzes zu erzielen.
Die Implementierung der Korrosionssimulation im Entwicklungsprozess liegt zwar noch in der Ferne, die Nutzung der Simulation als probates Mittel zur Verkürzung von Korrosionsüberprüfungen ist aber bereits heute möglich.
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