Multiphysikalische Batteriesimulation
Von der Makro- bis zur Mikroskala
Modellierung und Simulation (M&S), die immer mit experimentellen Untersuchungen kombiniert werden sollten, folgen einem mehrstufigen Prozess: Nach der physikbasierten Modellbildung und Validierung können letztlich Vorhersagen getroffen werden, welche sogar über den ursprünglichen Validierungsbereich hinausgehen. Modelle werden im gesamten F&E Prozesses verwendet, um virtuelle Experimente durchzuführen. Damit sind „Was-wäre-wenn“-Studien möglich, die zu einem tieferen Verständnis des untersuchten Batteriesystems führen und darüber hinaus innovative Ideen fördern. Die Modelle können für Prognosen, Design, Optimierung und Regelung von Batteriesystemen verwendet werden.
Batteriesysteme werden von unterschiedlichen Interessengruppen mit verschiedenen Zielen und Vorhaben untersucht. Bei einem Elektrofahrzeug z. B. können Aspekte wie Energiedichte, Leistungsdichte, Lebensdauer, Kosten und Nachhaltigkeit die technischen Grenzen und die damit verbundenen Ziele für alle Interessengruppen bestimmen. An Universitäten und Forschungsinstituten gibt es vermehrt Forschungsprogramme, die darauf abzielen, alle Aspekte der Batterienutzung grundlegend zu verstehen, darunter Materialforschung zu neuen elektrochemischen Reaktionen, das Design von Batteriezellen und -systemen sowie die Ökobilanzierung, einschließlich des Prozesses der Rohstoffgewinnung, der Entsorgung und des Recyclings. Batteriehersteller untersuchen ähnliche Themen, allerdings mit einem größeren Fokus auf die Herstellbarkeit, Implementierung und Nutzung. OEM haben in der Regel einen starken Fokus auf die Einbettung von Batterien in ihr Design, aber auch auf die Ökobilanz.
Modellskalen
Je nach Interessengruppe und Vorhaben können M&S-Projekte auf unterschiedlichem Level durchgeführt werden. Dies kann die Modellierung von Prozessen auf unterschiedlichen Skalen beinhalten, von der molekularen Skala über die mikroskopische und die Zellskala bis zur Betrachtung ganzer Akkumodule.
Molekulardynamikmodelle werden von Materialwissenschaftlern, Elektrochemikern und Physikern verwendet, um neue chemische Effekte in Batterien zu erforschen und das Verhalten möglicher neuer Materialien und Reaktionen vorherzusagen, worauf in diesem Artikel nicht weiter eingegangen wird.
Mikroskala
Die Modellierung einer Batterie auf der mikroskopischen Skala umfasst die Chemie, die physikalischen Eigenschaften und die detaillierte Geometrie der porösen Struktur und des Porenelektrolyts. Die Eingabedaten für die mikroskopische Skala werden nicht selten durch die molekulare Modellierung geliefert, z.B. Frequenzkonstanten, Elektrodenpotenziale, Transporteigenschaften und andere chemische und physikalische Eigenschaften von Batteriematerialien.
Modelle auf der Mikroskala müssen viele verschiedene Sachverhalte berücksichtigen, z.B. das elektrische Potenzial des elektronischen Leiters (der Elektrode), das ionische Potenzial des Porenelektrolyten sowie des freien Elektrolyten, die Konzentration der ionischen Spezies und der neutralen Spezies, die elektrochemischen und chemischen Reaktionen, die Temperaturverteilung und die mechanischen Verschiebungen aufgrund von thermischer Ausdehnung oder Ausdehnung durch den Transport chemischer Spezies. Mit anderen Worten: An einer genauen Beschreibung eines Batteriematerials sind mehrere physikalische Phänomene beteiligt.
Wesentliche Ergebnisse von Modellierungsprojekten sind Aussagen zu Mechanismen, welche die Leistung und Lebensdauer von Batterien bedingen. Dazu zählen quantitative Vorhersagen zu absoluten Leistungsgrenzen (Energiedichte und Leistungsdichte), zum Einfluss von Material- und Konstruktionsparametern, zur räumlichen und zeitlichen Verteilung von elektrochemischen Reaktionen und Temperaturen sowie zu Risiken für Kurzschlüsse, Ermüdung, vorzeitiges Versagen und die Bildung schädlicher Nebenprodukte. Des Weiteren erlauben Modelle die Bewertung des Gesundheitszustandes einer Batterie („state-of-health“, SOH). Leistungsabfall und Ausfall zeigen sich fast immer zuerst an Phänomenen auf der mikroskopischen Skala – lange bevor sich der SOH in der Gesamtleistung einer Zelle bemerkbar macht.
Batteriezellenskala mit Theorie poröser Elektroden
Nach der mikroskopischen Skala erfolgt die Untersuchung auf der Batteriezellenskala. Die porösen Elektroden werden dann als homogenisierte Platten beschrieben, wobei der Porenelektrolyt und die Elektrodenmaterialien im gleichen Punkt im Raum im Modell definiert sind. Die Struktur der Elektrode wird in dem Fall durch Effektivparameter wie Volumenanteil des Porenelektrolyts, Volumenanteil der Elektrode und Tortuosität beschrieben. Modelle dieser Art nutzen die sogenannte poröse Elektrodentheorie, die von Newman et.al. entwickelt wurde. Sie bildet die Grundlage für Batteriemodelle auf einer Skala knapp oberhalb der Mikroskala.
In diesem Maßstab untersucht man ähnliche Aspekte wie im Mikromaßstab, allerdings für eine oder mehrere Batteriezellen. Die Modelle liefern Informationen über den Einfluss verschiedener Materialien und Chemikalien auf die Leistung und Lebensdauer, die Porosität und spezifische Oberfläche der Elektroden und Materialien, die Dimensionen der Stromkollektoren, Elektroden und des Separators, die mechanischen Belastungen der Batteriezelle durch die Geometrie und die Ausdehnung während des Entladens und Aufladens, die Auswirkungen des Wärmemanagementsystems und andere Einflussgrößen.
Das Ergebnis von M&S in diesem Maßstab sind quantitative Angaben über Leistung, Leistungsgrenzen und Lebensdauer. Diese lassen sich aus unterschiedlichen Ergebnisgrößen ableiten, wie Strom- und Potenzialverteilung, Temperaturverteilung, Metallabscheidung und Kurzschluss, Ermüdung und Rissbildung in den Elektroden aufgrund von Ausdehnung beim Laden und Entladen sowie Bildung von Nebenprodukten und Auftreten von Nebenreaktionen, die die Lebensdauer verringern. Merkmale und Eigenschaften sowie quantitativen Vorhersagen dieser Modelle können anhand der detaillierten mikroskopischen Modelle weiter validiert werden. Die Batteriezellenmodelle können mit den detaillierten mikroskopischen Eigenschaften der Batterie gekoppelt werden.
Modulskala
Akkumodule oder Akkupacks können aus Dutzenden bis Hunderten von Batteriezellen bestehen. Aktuell ist es noch nicht möglich, jede Batteriezelle mit der Theorie der porösen Elektroden in 3D zu modellieren. Stattdessen werden vereinfachte 0D- und 1D-Modelle für das elektrochemische Verhalten der einzelnen Zellen verwendet, welche an detaillierten Zellenmodellen validiert wurden und auf diese zurück gekoppelt werden können. Typische Ergebnisse solcher Modelle sind die räumlichen und zeitlichen Verteilungen von Temperatur, Stromdichte und Potenzial zwischen den einzelnen Zellen, deren Auswirkungen auf Ladung und Entladung, die mechanische Ausdehnung der verschiedenen Zellen sowie die Integrität des Moduls.
Darüber hinaus kann das Wärmemanagementsystem mit Kühl- und Heizkanälen in der Zelle, sowie konstruktive Details des externen Stromleitungssystems simuliert werden. Dies erlaubt schließlich das Design von Frühwarnsystemen, die den Ausfall von Batteriezellen und das thermische Durchgehen in einem Batteriesystem anzeigen können.
Fazit
Der Grad der Komplexität eines Batteriesystemmodells hängt von dem Zweck des Batteriesystems selbst ab. Mikroskopische Modelle sind sehr anspruchsvoll und zielen auf ein detailliertes Verständnis des Herzstücks der Batterie ab. Ein Modell, das für die Steuerung eines Akkupacks als Teil eines Elektrofahrzeugantriebsstrangs verwendet wird, kann und darf nicht denselben Grad an Komplexität aufweisen. Stattdessen kann es sich um vereinfachte Modelle handeln, die die Physik des Batteriesystems nur näherungsweise beschreiben.
Multiphysikalische Modellierung und Simulation bieten eine geschlossene Kette zur qualitativen und quantitativen Validierung eines Batteriesystems von seinen Eigenschaften auf der Makroskala bis zum Herzstück der Batterie auf der Mikroskala.
Autoren:
Ed Fontes, CTO, Comsol
Henrik Ekström, Technology Manager Electrochemistry, Comsol
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