Pricing: Innovationen monetarisieren
Chemieunternehmen berücksichtigen kommerzielle Aspekte im Innovationsprozess zu wenig oder zu spät
Aber trotz hoher Investitionen und guter Entwicklungen verfehlen 72 % aller neuen Produkte ihr Gewinnziel, so das Ergebnis einer Studie von Simon-Kucher. Was müssen Unternehmen tun, um ihre Innovationen erfolgreich zu vermarkten und zu monetarisieren?
Aktuelle Entwicklungen zeigen, dass die chemische Industrie ein immenses Innovationspotenzial hat, von neuen Materialarten bis hin zu neuen digitalen Lösungen. Neue Verbundwerkstoffe etwa tragen dazu bei, Gewichte von Bauteilen oder Autos deutlich zu reduzieren. Materialien wie Graphen sind stärker, leichter und temperaturbeständiger als jedes andere chemische Produkt zuvor. Mit Sensoren lassen sich Leistungsdaten in der Weiterverarbeitung nachverfolgen, um mit den so gewonnenen Erkenntnissen Produkte kontinuierlich zu verbessern. Durch die Nutzung von Big Data und intelligenten Algorithmen wie bei BASFs Quriosity wird die Innovationskraft weiter gestärkt. Quriosity ist ein Hochleistungsrechner, mit dem alternative Formulierungen in nur wenigen Tagen durchgerechnet werden anstatt Wochen und Monate im Labor zu verbringen.
Angesichts dieses enormen Innovationspotenzials wird die Fähigkeit zur erfolgreichen Monetarisierung immer wichtiger. Mit „zu wenig und zu spät“ lässt sich das typische Vorgehen zusammenfassen, mit der in der chemischen Industrie kommerzielle Aspekte im Innovationsprozesses berücksichtigt werden. Die folgenden Maßnahmen helfen dagegen anzuwirken und Innovationen besser zu monetarisieren:
1. Zahlungsbereitschaften der Kunden zu Beginn des Innovationsprozesses bewerten
Alle Unternehmen verfügen über Innovationsprozesse mit rigiden Meilensteinen für die Erstbewertung, die Konzept- und Produktentwicklung bis hin zur Markteinführung. Aus unseren Erfahrungen wird die Frage der preislichen Positionierung häufig erst am Ende des Prozesses, viel zu spät, kurz vor der Markteinführung entschieden.
Dabei hat sich die Quantifikation des Mehrwerts und der Zahlungsbereitschaften als Ausgangspunkt des Innovationsprozesses als deutlich erfolgreicher herausgestellt, da diese Informationen dazu dienen, das Produkt und die Angebotsgestaltung klar an Kundenbedürfnissen und Mehrwerten auszurichten.
Selektive Kundengespräche ganz zu Anfang des Prozesses gewähren Einblicke, welche Produktfunktionen oder -eigenschaften wichtig sind, anstatt im Dunkeln zu tappen und die Entwicklung auf vagen Vermutungen und groben internen Einschätzungen zu basieren. Zu unterscheiden ist dabei, ob es um Produktfunktionalitäten in konkreten, direkten Anwendungen geht oder ob die Produkteigenschaften das Produkt beim Endkunden verbessern – je nachdem, müssen entweder die direkten Kunden oder die Endverbraucher am Ende der Wertschöpfungskette miteinbezogen werden.
2. Interne Ressourcen effektiv einsetzen
Fehlende Ressourcen sind eine beliebte Ausrede, um die Kundenperspektive zu Beginn des Innovationsprozesses nicht zu berücksichtigen. Und dann warten meist auch noch so viele Projekte auf die Bearbeitung, dass mehr Zeit mit der Abstimmung als der Bearbeitung verbracht wird. Eine zu hohe Anzahl von Innovationsprojekten führt zu einer hoffnungslosen Überlastung der Prozesse. Jedes Projekt wird diskutiert und bearbeitet. Häufig wird nicht priorisiert, in den seltensten Fällen wird aussortiert. In der Regel sind es fehlende Informationen über die kommerziellen Erwartungen, die dazu führen, dass Projekte nicht schon in der Frühphase gestoppt werden. Wenn die Annahmen zu Mengenpotenzialen und Preislagen nicht schon früh verankert werden, lassen sie sich auch im weiteren Verlauf des Prozesses nicht hinterfragen oder adaptieren. Im schlimmsten Fall wird es dann aufgrund bereits getätigter Investitionen unmöglich, ein nicht erfolgversprechendes Projekt zu stoppen.
Eine kontinuierliche Bewertung und Priorisierung von Innovationsprojekten bei jedem Meilenstein hilft, zielgerichteter zu entscheiden, welche Innovationsprojekte lohnenswert sind, wieviel Ressourcen eingesetzt werden und wann die Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben ist.
„Chemische Produkte werden in der Regel in Kilogramm,
Tonne oder Liter abgerechnet."
3. Das „richtige“ Preismodell nutzen
Mit dem Ende der Konzeptentwicklung müssen grundlegende Entscheidungen zu Preisstrukturen und Preismetrik getroffen werden. Chemische Produkte werden in der Regel in Kilogramm, Tonne oder Liter abgerechnet. Manchmal spiegeln Preismodelle, die auf einen Preis pro Einheit beruhen, jedoch nicht den wahren Produktwert wider. Etwa bei leichten Verbundwerkstoffen: Sie senken den Kraftstoffverbrauch des Autos, reduzieren dessen Emissionen, ermöglichen Steuerersparnisse und erhöhen das Fahrvergnügen für den Fahrer. Der Automobilhersteller kann Produktionskosten senken und sich als Technologieführer positionieren. Ein „Preis pro Kilogramm“ spiegelt weder den Mehrwert der Produkte beim Automobilhersteller noch den Wert der daraus hergestellten Fahrzeugkomponenten im Auto für die Fahrer wider. Nur durch einen Preis pro Komponente (einschließlich des Komponentendesigns) lässt sich der Mehrwert tatsächlich monetarisieren. Sollte dies nicht möglich sein, da zu große Veränderungen in der gesamten Wertschöpfung erforderlich wären, sollten die Preise pro Kilogramm mindestens verdrei- oder vierfacht werden.
Projektbeispiel: Projektklassifizierung
Einer unserer Kunden hat eine Projektklassifizierung eingeführt, mit der er zwischen einem „kurz & knapp“, „pragmatischen“ und „umfassenden“ Kommerzialisierungsansatz für Innovationsprojekte unterscheidet. Die Klassifizierung basiert auf Merkmalen wie Größe des Zielmarktes und Wettbewerbsintensität, internen Fähigkeiten wie technologischem Know-how, erforderlichen Budgets (Capex und Opex), dem angenommenen Risiko sowie strategischen Aspekten der Produktportfolio-Effekte (z. B. Kannibalisierungen). Sobald ein Projekt einer dieser drei Kategorien zugeordnet ist, wird entsprechend dem Ansatz entschieden, welche Ressourcen dafür aufgewendet werden. Der „kurz & knapp“-Ansatz basiert vor allem auf bereits vorliegenden Informationen und Erkenntnissen, der internen Beurteilung von funktionsübergreifenden Teams sowie interner Benchmarks. Der „pragmatische“ Ansatz ergänzt das „kurz & knapp“-Modell durch Kundenworkshops, Interviews mit Zielkunden und eine umfangreiche Nutzwertanalyse. Der „ausführliche“ Ansatz umfasst sowohl Kundeninteraktionen als auch Interviews mit weiteren Industrieexperten, ggf. entlang der Wertschöpfungskette.
ZUR PERSON
Andrea Maessen ist Senior Partnerin und Global Head der Practice „Chemicals & Construction“ bei Simon-Kucher. Ihre Beratungsschwerpunkte liegen in der Optimierung von Preis- und Vertriebsprozessen und -systemen sowie in der Entwicklung von Vertriebs- und Preisstrategien. Sie unterstützt Unternehmen beim Aufbau von Pricing-Kompetenzen.
ZUR PERSON
Jan Haemer ist Partner im Kompetenzzentrum „Chemie & Materialien“ bei Simon-Kucher und Spezialist für Produktportfoliomanagement sowie für die Entwicklung, Umsetzung und Digitalisierung von Vertriebs- und Preisprozessen. Er unterstützt überwiegend global aufgestellte Unternehmen mit europäischem Hauptsitz.
Kontakt
Simon-Kucher & Partners Strategy & Marketing Consultants GmbH
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