Strategie & Management

Die grüne Transformation ermöglichen

Mit nachhaltigen Innovationen will Evonik drängende Herausforderungen unserer Zeit lösen

16.04.2025 - Die chemische Industrie ist der wichtigste Wegbereiter der Defossilisierung, der Energiewende und der Kreislaufwirtschaft und steckt zugleich selbst mitten in dieser Transformation. Evonik geht diese Herausforderungen mit einer im vergangenen Jahr vorgestellten Innovationsstrategie an.

Forschung und Innovation sind unerlässlich, um den Wandel zu einer klimaneutralen Gesellschaft zu ermöglichen. Die chemische Industrie ist der wichtigste Wegbereiter der Defossilisierung, der Energiewende und der Kreislaufwirtschaft und steckt zugleich selbst mitten in dieser Transformation. Evonik geht diese  Herausforderungen mit einer im vergangenen Jahr vorgestellten Innovationsstrategie an und operiert zudem seit April in einer neuen Konzern­struktur. CHEManager sprach darüber mit Ralph Marquardt, Chief Innovation Officer des Essener Chemiekonzerns.

CHEManager: Herr Marquardt, Evonik will mit einer neuen Konzernstruktur schlanker und differenzierter werden. Das betrifft zunächst die operativen Geschäfte. Wie wirkt sich die gerade in Kraft getretene neue Struktur auf die Innovationsstrategie aus?

Ralph Marquardt: Für uns bei Evonik steht immer der Kundennutzen unserer Produkte und Lösungen im Vordergrund. Dafür wollen wir unsere Technologiekompetenzen weiter stärken, unsere internationale Zusammenarbeit ausbauen sowie unsere regionalen Potenziale besser nutzen. Das geht Hand in Hand mit der neuen Struktur. Bisher steuerte Evonik das operative Chemiegeschäft über drei Divisionen. Seit dem 
1. April 2025 sind die Business Lines direkt den Vorständen der neuen Segmente Custom Solutions und Advanced Technologies zugeordnet. Forschung und Entwicklung liegt in der Verantwortung der Vorständin Lauren Kjeldsen, die auch für das Segment Custom Solutions zuständig ist. Dies ermöglicht schnellere Entscheidungen aufgrund flacherer Hierarchien, eine klarere strategische Ausrichtung und Ressourcenallokation sowie eine differenzierte Steuerung der Geschäfte nach Geschäftsmodellen.

Wo liegen die jeweiligen Schwerpunkte der beiden Segmente Custom Solutions und Advanced Technologies?

R. Marquardt: Im Segment Custom Solutions konzentrieren wir uns auf maßgeschneiderte, innovationsgetriebene Lösungen für Nischenmärkte mit enger Kundenbindung. Im Segment Advanced Technologies liegt unser Fokus auf hoher Technologiekompetenz und operativer Exzellenz. Bei Custom Solutions hat die Produktinnovation eine größere Bedeutung, während bei Advanced Technologies die Prozessinnovation im Vordergrund steht.
Unsere drei neuen Innovationswachstumskerne –  Advance Precision Biosolutions, Accelerate Energy Transition und Enable Circular Economy –  sind dabei für beide Segmente von zentraler Bedeutung. Sie adressieren zentrale Herausforderungen der grünen Transformation: biobasierte Lösungen, Energiewende und Kreislaufwirtschaft. Für uns in der Forschung und Entwicklung gehen Produkt- und Prozessinnovation stets Hand in Hand. Wenn wir neue Produktplattformen aufbauen, dann müssen wir auch immer gleich die Prozessinnovation mitdenken. Das eine geht nicht ohne das andere.

Wie verteilen sich Ihre F&E-Aufwendungen auf die Segmente und Innovationsfelder?

R. Marquardt: Das hängt von der strategischen Ausrichtung und dem Fokus der jeweiligen Geschäftsbereiche ab. Das Verhältnis von Neuproduktentwicklung zu Prozessentwicklung variiert in den Segmenten. Wir veröffentlichen keine detaillierten Zahlen zur Forschungsintensität pro Segment, aber um Ihnen eine grundsätzliche Einordung zu ermöglichen: Insgesamt investieren wir etwa 459 Mio. EUR jährlich in Forschung und Entwicklung, was einer Forschungsquote von circa 3 % entspricht.

Die drei Innovationswachstums­kerne, auf die Sie den Großteil der Forschungsaktivitäten konzentrieren, sollen bis zum Jahr 2032 einen zusätzlichen Umsatz von 1,5 Mrd. EUR generieren. Welche Pläne und Ziele verfolgen Sie bei den drei Themen Biotechnologie, Energiewende und Kreislaufwirtschaft?

R. Marquardt: Unsere Innovationswachstumskerne haben enormes Potenzial und wir setzen alles daran, die Chancen nutzbar zu machen. Dabei setzen wir auf eine Mischung aus innovativen Bereichen mit einem jungen Basisgeschäft und hochinnovativen Forschungsfeldern, die noch zu erschließen sind.
Nehmen wir, um konkreter zu werden, als erstes den Wachstumskern Advanced Precision Biosolutions. Er umfasst Bereiche wie nukleinsäurebasierte Therapeutika, Zellkulturmedien, Biotenside und kosmetische Wirkstoffe. Hier hilft die Biotechnologie, die Lebensqualität und Gesundheit zu verbessern und die Ressourcen zu schonen. Ein Beispiel sind Rhamnolipide, die wie gesagt biobasiert und abbaubar sind und insbesondere bei kosmetischen Produkten wie Handwaschmittel Chancen bieten. Diese neue Klasse von Biotensiden haben wir bereits eingeführt und arbeiten daran, sie auch für andere Anwendungen wie Farbpigmente zu nutzen. 
Beim Thema Accelerate Energy Transition setzen wir auf den Umstieg von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien. Dies ist entscheidend für die Reduktion des CO2-Fußabdrucks und das Erreichen der Klimaziele. Wir fokussieren uns auf Gasseparationsmembranen, Wasserstoffwirtschaft, Mobilität der Zukunft, Batteriesysteme, CO2-Abscheidung und -Speicherung sowie Energieeffizienz. Ein Beispiel sind unsere Gasseparationshohlfasern, die Biomethan aufreinigen, welches dann als Ausgangsstoff für die Synthese von Wasserstoff, Methanol oder Ammoniak genutzt werden oder als Energieträger dienen kann.
Und beim Thema Enable Circular Economy geht es darum, Stoffkreisläufe zu schließen und nachhaltige Rohstoffe im Kreislauf zu halten. Nachwachsende und recycelte Rohstoffe sowie das Design for Circularity nehmen an Bedeutung immer mehr zu. Es ist wichtig, bereits bei der Entwicklung von Systemkomponenten Recyclingaspekte zu berücksichtigen, um die spätere Wiederverwendung zu erleichtern. Beispiele sind Katalysator- und Lithiumrecycling sowie unser Polyurethanrecyclingverfahren. Hierbei gewinnen wir reinste Komponenten zurück, um den Kreislauf zu schließen.

Wie skalieren Sie diese neuen Verfahren?

R. Marquardt: Wir betreiben an vielen Standorten Pilotanlagen für neue Verfahren. Wenn der eigentliche Prozess feststeht, bauen wir eine Demon­s­trationsanlage, um zu sehen, wie der Prozess im größeren Maßstab funktioniert. Bewähren sich Produkt und Prozess, folgt eine große Anlage für die kommerzielle Produktion. Wir brauchen die Demoanlage, um Skalen­effekte zu verstehen. Dennoch wägt jedes Unternehmen Bauentscheidungen sorgfältig ab: Der Anlagenbau bindet viel Geld und Personal. Gleichzeitig ist das Risiko zu scheitern hoch – gerade bei den jungen, grünen Technologien, auf die die Gesellschaft große Hoffnungen setzt, wenn es um mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz geht. Daher ist öffentliche Förderung insbesondere für solche Anlagen so entscheidend. In Deutschland und Europa müssen wir die Implementierung von neuen Technologien stärker unterstützen. Verbessern wir die Fördermöglichkeiten, sichern wir auch unsere Wettbewerbsfähigkeit als Hochtechnologie-Standort. Wir müssen jetzt handeln und ins Machen kommen. Außerhalb von Deutschland oder Europa haben viele Länder bereits bessere Rahmenbedingungen geschaffen. 

Können Sie uns Beispiele nennen, wie Evonik gemeinsam mit Forschungsinstituten Innovationen vorantreibt und wie die Synergie von wissenschaftlicher Forschung und industrieller Innovation wirkt? 

R. Marquardt: Zunächst möchte ich eines unterstreichen: Deutschland verfügt über ein starkes Innovationsökosystem. Wir arbeiten eng mit großen Forschungsinstituten zusammen, um neueste Erkenntnisse in unsere Innovationswachstumskerne einfließen zu lassen. Die gemeinsamen Projekte mit Universitäten und Großforschungseinrichtungen beschleunigen unsere Innovationen.
So arbeiten wir etwa mit dem Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion und Professor Waldvogel in der Elektrochemie zusammen. Elektrochemie spielt eine Schlüsselrolle in der nachhaltigen Transformation, sowohl in klassischen Elektrolysen als auch in der Elektrodialyse. Die grundlegenden Arbeiten, die in diesen Forschungsinstituten geleistet werden, sind Voraussetzung dafür, dass Unternehmen wie Evonik diese Erkenntnisse im nächsten Schritt industriell umsetzen können. 
Ein weiteres Beispiel ist unsere Zusammenarbeit mit AkzoNobel und anderen Vertretern der Lackindus­trie sowie Hochschulen im SustInkCoat-Projekt. Hier geht es darum, nachhaltigere Beschichtungen und dünnere Folien zu entwickeln, die die Recyclingfähigkeit von Materialien wie Möbel, Baumaterialien und Stahlkonstruktionen verbessern.

“Open Innovation” umfasst also nicht nur Forschungskooperationen mit akademischen Institutionen, sondern auch die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen entlang Wertschöpfungsketten, um gemeinsam Innovationen zu entwickeln, beispielsweise in Konsortien. Haben Sie dafür Beispiele?

R. Marquardt: Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit zwischen Evonik und Oerlikon Barmag im Bereich PET-Recycling. Beide Unternehmen entwickeln gemeinsam einen Depolymerisations- und Reinigungsprozess, um diese Technologie Dritten zur Verfügung zu stellen. Ein weiteres Beispiel ist die Kooperation zwischen Dow und Evonik zur Herstellung von Propylenglykol aus Wasserstoffperoxid. Diese enge Zusammenarbeit bei der Prozessentwicklung zeigt unsere Offenheit für gemeinsame Innovation.

Ein Zitat lautet: „Die Glühbirne wurde auch nicht durch die kontinuierliche Weiterentwicklung der Kerze erfunden.“ Ist in der modernen, anwendungsorientierten Chemieforschung und insbesondere in Ihrer Innovationsstrategie Platz für Kreativität und gibt es dafür Freiräume?

R. Marquardt:: Hier sprechen Sie einen wichtigen Punkt an: Eine wesentliche Voraussetzung für kontinuierliche Kreativität ist das fortlaufende Einbringen neuer Perspektiven. Wir fördern Kreativität auch durch dynamische Initiativen wie unseren Global Ideation Jam. Dadurch verbinden wir Innovation und Unternehmertum innerhalb des Unternehmens. Mitarbeitende bringen Ideen ein und werden von erfahrenen Coaches bei der Ausarbeitung unterstützt. Dies fördert das unternehmerische Denken über alle Abteilungsgrenzen und Hierarchieebenen hinweg. Freiraum in der Forschung ist entscheidend, um Neues auszuprobieren, und den fördern wir bewusst. Gerade in der heutigen Zeit ist dieser Freiraum für viele Wissenschaftler ein wesentliches Kriterium. 

Welche Eigenschaften und Qualifikationen brauchen Forscher in Zukunft, um die drängenden Herausforderungen unserer Zeit lösen zu können?

R. Marquardt: Ich denke, eine Kombination aus technischer Expertise, vernetztem Denken und sozialer Kompetenz – diese Eigenschaften sind entscheidend für die Entwicklung guter Lösungen. Besonders wichtig ist der Drang nach lebenslangem Lernen und interdisziplinäres Wissen, das zunehmend an Bedeutung gewinnt. Studiengänge an Hochschulen werden interdisziplinärer, und Forscher brauchen fundiertes Wissen in ihren Hauptfächern sowie Offenheit für die Zusammenarbeit mit anderen Bereichen. Aspekte wie künstliche Intelligenz und Materialwissenschaften müssen integriert werden, auch wenn sie nicht zum klassischen Chemiestudium gehören. Das Thema digitale Chemie ist noch eine große Herausforderung. Durch die bessere Verzahnung von klassischer Chemie, Automatisierung und künstlicher Intelligenz können enorme Produktivitätsgewinne realisiert werden. Davon bin ich fest überzeugt.

Werfen Sie für uns einen Blick in die Zukunft? Wird die Chemie­industrie die Herausforderungen meistern, sich selbst erfolgreich transformieren und die benötigten Lösungen für eine nachhaltige Gesellschaft entwickeln? 

R. Marquardt: Die Chemieindustrie arbeitet intensiv an der grünen Transformation. Die Innovationsstrategie von Evonik zeigt, wie wir uns für die Zukunft gut aufstellen. Wir sehen die Transformation als Chance und investieren entsprechend in nachhaltigere Entwicklungen. 
Wir investieren in Next Generation Technologies, um effizienter und umweltfreundlicher zu werden. Wir schauen global, wo unsere Kunden Produkte benötigen und sind idealerweise bereits in diesen Regionen aktiv.
Natürlich sind die hohen Energiepreise und komplexen Regulierungen in Deutschland Herausforderungen. Aber Politik und Wirtschaft müssen einen Weg finden, um diese Probleme zu bewältigen und unsere Innovationskraft weiter zu stärken. 

Werden wir so auch international wettbewerbsfähig bleiben?

R. Marquardt: Deutschland ist ein Innovationsstandort und besitzt ein starkes Innovationsökosystem. Die deutsche Industrie hat eine starke Entwicklungsfähigkeit und kann ihre Wettbewerbsfähigkeit gerade durch gezielte Internationalisierung steigern. Nehmen Sie als Beispiel das Evonik Skin Institute in Singapur, unseren Innovation Satellite zum Thema Precision Biosolutions in Cambridge oder unser Research Center in der Metropolregion Mumbai. Diese Einrichtungen stärken nicht nur unsere Kontakte in diese Regionen, sondern sie kommen auch dem Standort Deutschland zugute, da sie eng mit unseren Einheiten hier verzahnt sind. Zusammenarbeit mit einem hohen Internationalisierungsgrad ist entscheidend für den Erhalt unserer Innovationskraft. Ich sehe das als große Chance.

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