Anlagenbau & Prozesstechnik

Dr. Wilhelm Rauch, Industrievereinigung Chemiefaser (IVC) über Chemiefasern und ihr Beitrag zur ökologischen Zukunft

15.11.2010 -

Das Bewusstsein um die Endlichkeit der fossilen Rohstoffe stellt heute vor allem die Energiewirtschaft vor große Herausforderungen. Diese muss dringend nach Alternativen zu fossilen Energieträgern suchen, weil zurzeit ca. 90% des geförderten Erdöls ohne vorherigen Einsatz in anderen materiellen Lebenszyklen unmittelbar Verbrennungsprozessen zugeführt wird. Dagegen werden lediglich 0,8% des derzeit geförderten Erdöls für die weltweite Produktion von synthetischen Chemiefasern benötigt (Grafik 1).

Verbunden mit der Suche nach alternativen Rohstoffen wird der Ruf nach der Nutzung nachwachsender Rohstoffe lauter. Auch im textilen Bereich sind Stimmen vernehmbar, die aus diesem Grund den verstärkten Anbau von Naturfasern propagieren. Diese Forderung verdeutlicht, dass der noch vor etwas mehr als 100 Jahren bekannte Zusammenhang zwischen verstärkter Nutzung von Naturfasern und Hungersnöten abhanden gekommen ist. Erste Anzeichen dafür, dass dieser Zusammenhang aber auch heute noch seine Gültigkeit hat, sind im Anstieg der globalen Nahrungsmittelpreise zu sehen, weil Agrarflächen zunehmend zum Zwecke der landwirtschaftlichen Nutzung für Industrierohstoffe umgewidmet werden.Auch heute stellen Chemiefasern eine Entlastung der Agrarflächen dar und leisten einen Beitrag zur Nachhaltigkeit, ohne die Ernährungssituation zu verschärfen.

Chemiefaserproduktion schont Ressourcen

Auch die cellulosischen Chemiefasern stehen keinesfalls im Wettbewerb zur Nahrungsmittelproduktion. Nur 0,2% des weltweit geschlagenen Holzes werden zur Cellulosegewinnung für die Herstellung cellulosischer Chemiefasern herangezogen. Vergleicht man die zur Herstellung 1 t Fasern notwendige Fläche, so nimmt die Wollproduktion 67 ha in Anspruch, wohingegen man zur Viskosefaserproduktion nur 0,8 ha und zur Synthesefaserproduktion keine landwirtschaftliche Fläche benötigt.

Die Nachhaltigkeit von Chemie im Vergleich zu Naturfasern kommt noch deutlicher zum Ausdruck, wenn man die gesamte weltweit notwendige Fläche betrachtet, die für die Faserproduktion verwendet wird (Grafik 2). Dabei steht der Flächenverbrauch umgekehrt proportional zur Ergiebigkeit: Mit nur 3,5% Flächenverbrauch decken Chemiefasern 60% der weltweiten Faserproduktion ab. Dagegen reichen 27% der Fläche (Baumwolle) nur für 38% Anteil an Baumwollfasern bzw. 55% an Fläche (Wolle) für nur 2% Wollfaseranteil an der Weltfaserproduktion (Grafik 3).

Der Weltfaserbedarf beträgt 68 Mio. t. Würde man auf Chemiefasern verzichten und auf eine ausschließliche Wollproduktion umstellen, wären hierfür 46 Mio. km² Weidefläche notwendig. Dieses entspricht einem Drittel der gesamten Landfläche der Erde. Dabei beträgt die weltweit verfügbare Weidefläche lediglich 3,4 Mio. km². Zum Vergleich: Die Fläche der Bundesrepublik Deutschland beträgt ca. 0,36 Mio. km². Bei einer solchen theoretisch erforderlichen Schafzucht gäbe es viermal mehr Schafe als Menschen. Die Schafe würden 160 Mio. t des klimarelevanten Gases Methan emittieren, was 3.700 Mio. t CO2-Äquivalenten entspricht. Selbst der weltweite Verkehr belastet die Umwelt mit nur 3,3 Mio. CO2-Äquivalenten.

Hinzu kommt: Für den Anbau von Nutzpflanzen ist nicht nur landwirtschaftliche Fläche erforderlich, sondern auch Wasser (Grafik 4). Wie bekannt ist, sind dessen Ressourcen weltweit begrenzt und kostbar. So benötigt man zum Anbau von Baumwolle pro gewonnener Tonne Baumwollfasern ca. 25.000 m³ Wasser, was ökologisch nicht unbedenklich ist. Dieses ist mehr als das 70-Fache dessen, was zur Viskosefaserherstellung und mehr als 6.000 mal so viel, wie zur Polyesterfaserproduktion notwendig ist. Chemiefasern tragen also auch deutlich zur Schonung der lebensnotwendigen Wasservorräte bei.

Ohne Chemiefasern stünden weder genügend landwirtschaftliche Fläche für die Lebensmittelproduktion noch genügend Wasservorräte zur Ernährung der Menschheit zur Verfügung. Chemiefasern haben im Vergleich zu Naturfasern weiterhin den Vorteil, dass sie dort hergestellt werden können, wo in Märkten eine entsprechende Nachfrage existiert. Nicht nur in der Herstellungsphase zeigen Chemiefasern deutliche ökologische Vorteile gegenüber Naturfasern, sondern auch mit Blick auf deren Anwendungsgebiete. Sie werden zur Optimierung der Mobilität, der Bauprodukte, Industrieanwendungen sowie Medizinartikel eingesetzt. Zahlreiche Anwendungen wären ohne den Einsatz von Chemiefasern nicht realisierbar. Weder moderne Sportbekleidung noch Airbags oder Gurte oder inhärent flammwidrige Textilien wären ohne Chemiefasern denkbar. Zudem trägt der Einsatz von Chemiefasern mit dazu bei, ökologische Vorgaben z.B. bei der Mobilität zu erfüllen, in dem zahlreiche metallene Bauteile gegen leichtere Textilien substituiert werden. Chemiefasern in Vliesstoffen dienen als Isolier- und Dämmstoffe. In temperaturbeständigen Filtern sorgen Chemiefasern für eine staubfreie Luft.

Umweltfreundliche Produkte aus Chemiefasern

Auch nach deren Verwendung in Form von Produkten leisten Chemiefasern wertvolle ökologische Dienste. Während cellulosische Chemiefasern biologisch abbaubar sind, können Synthesefasern im Recyclingprozess über den Monomerweg wieder neu verwendet werden. Darüber hinaus bestehen zahlreiche Chemiefasern bereits aus rezyklierten Rohstoffen. So werden jährlich ca. 40% der in Europa verbrauchten PET-Flaschen zu Fasern verarbeitet. Der Müllberg wird damit täglich um 10 Mio. PET-Flaschen verkleinert, wodurch 200.000 t Primärrohstoffe eingespart werden.

Im Gegensatz zu Naturfasern lässt sich der in Chemiefasern enthaltene energetische Anteil zurückgewinnen und in Form von Fernwärme zu Heizzwecken (Grafik 5) nutzen. Dabei wird wertvolle Primärenergie eingespart.

Natur ist nicht besser als Chemie

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Chemiefasern für den spezifischen Anwendungsbereich gezielt auf molekularer Ebene designed werden. Im Vergleich zur Herstellung von Naturfasern sind Emissionen und Nebenprodukte vernachlässigbar.

Der wachsende Trend und die steigende Nachfrage nach umweltfreundlichen und unter sozialverträglichen Bedingungen hergestellten Textilien lässt Öko-Labels und -Kollektionen aus dem Boden sprießen. Bezeichnungen wie „Natur", „Bio" oder „Öko" sind in Bezug auf Bekleidung - bis auf den weltweit anerkannten Öko-Tex-Standard - bisher aber noch nicht geschützt. Eine schnelle Beurteilung nach dem Motto „Natur ist besser als Chemie" ist jedoch nicht gerechtfertigt, denn in der Gesamt-Ökobilanz verhält sich die Chemiefaser günstiger als Baumwolle. Neben Energie- und Ressourcenverbrauch sind auch Faktoren wie Maschineneinsatz, Düngemittel, Veredlung und Transportkosten zu berücksichtigen. Chemiefasern tragen nicht nur zur ökologischen Nachhaltigkeit bei, sondern sind ein Mittel zur Bewältigung von Umweltproblemen.