Anlagenbau & Prozesstechnik

Reduzierter Kalibrieraufwand

Heartbeat Technology ermöglicht Online-Verifikation von Durchflussmessgeräten bei Lkw-Verladung

31.10.2019 -

Clariant bietet ein Beispiel, wie durch intelligente Nutzung von Daten und einer innovativen Technologie Prozessverbesserungen erreicht werden können.

Clariant, eines der weltweit führenden Unternehmen für Spezialchemie, leistet für Kunden in den unterschiedlichsten Branchen mit innovativen und nachhaltigen Lösungen einen wichtigen Beitrag zur Wertschöpfung. Clariant Produkte (Deutschland) stellt in Oberhausen in einem Hochdruck- Polymerisations-Verfahren (2.500 bar, 250 °C) Fließverbesserer her. Diese werden Diesel-Kraftstoff und Heizöl als Additive zur Verbesserung des Tieftemperaturverhaltens zugesetzt. Im Clariant-Betrieb in Oberhausen wird kundenspezifisch produziert – dabei erfolgt die Produktion innerhalb von Wochen, wenn es sein muss sogar innerhalb von Tagen.

Aus verschiedenen Tanklagern in den Lkw
Bei der stark saisonabhängigen Produktion werden Komponenten aus verschiedenen Tanklagern, u. a. dem Komponentenlager, welches 2014 als eines der größten Projekte am Standort neu gebaut wurde, nach Kundenauftrag und Rezept in der Mischanlage gemischt und direkt in einen Lkw verladen.
Die Tanklager, die Mischanlage und die Verladung sind zentraler Bestandteil der Produktion, denn abrechnungsrelevant zum Kunden ist der Inhalt der Lkws, welcher über eine Verwiegung auf einer geeichten Waage ermittelt wird. Aber Fehler bzw. Abweichungen während der Verladung – sei es zu viel oder zu wenig – bedeuten letztendlich Aufwand und Kosten durch Qualitätsmängel, Ablassen oder erneutes Nachfüllen. Über zusätzliche Qualitätsmessstellen wurde der Durchfluss der einzelnen Komponenten aus den Tanklagern über Massedurchflussmessgeräte überwacht. Um hier dauerhaft eine hohe Qualität in der Messgenauigkeit zu erhalten, mussten die bisher installierten Durchflussmessgeräte jährlich aufwendig kalibriert bzw. auf Funktion geprüft werden, indem eine bestimmte Menge einer Komponente in einen Bahnkesselwagen gepumpt und anschließend verwogen wurde. Für jeden einzelnen der 19 installierten Messgeräte bedeutete das: Befüllen des Bahnkesselwagens, Verwiegen, Entleeren bzw. Umpumpen und ggf. sogar das Entsorgen der Komponente. Dieses war mit viel Aufwand, Zeit und Kosten verbunden und, was nicht zu unterschätzen ist, mit einem zusätzlichen Risiko für das Personal.
Die Heartbeat-Technology, in viele Messgeräte von Endress+Hauser integriert, war ein entscheidendes Kriterium, die bestehenden Messgeräte durch Coriolis-Massedurchflussmessgeräte Promass F 300 zu ersetzen. Die Heartbeat Funktionen Verification und Monitoring ermöglichen neben der permanenten internen Diagnose auch eine Vor-Ort-Verifikation und eine automatisierte Dokumentation jeder Messstelle und das ohne jegliche Prozessunterbrechung.
Die zyklisch im Gerät ablaufenden Diagnosen überprüfen das Gerät permanent. Diese online ablaufende Selbstüberwachung stellt für Clariant eine ausreichende Prüfung zur Sicherstellung der Qualität dar. Zusätzlich wird einmal jährlich die ordnungsgemäße Funktion der Messstelle geprüft und dokumentiert. Diese Verifikation erfolgt mittels der integrierten ­Heartbeat Technology ohne Ausbau der Messgeräte und ohne weitere Installationen – einfach auf Knopfdruck. Um hier unabhängig Sicherheit und Qualität zu gewährleisten, wurde diese Aufgabe an Endress+Hauser als objektive, „externe Stelle“ übertragen. So übernimmt der Vor-Ort-Service von Endress+Hauser im Rahmen eines Servicevertrages die jährliche Heart­beat Verification der Durchflussmessgeräte.

Industrie 4.0 und Digitalisierung
Industrie 4.0 und Digitalisierung machen selbstverständlich auch bei Clariant nicht halt – hier weist die neue Generation der Messgeräte einen deutlichen Mehrwert auf: alle Geräte sind mit Technologien ausgestattet, die es ermöglichen, die Geräte einfach und unkompliziert aus dem Schaltraum oder vom Arbeitsplatz aus zu konfigurieren oder Meldungen auszulesen. Teilweise sind die Geräte sogar mit kabellosen Schnittstellen ausgerüstet. Auch wenn diese aus Sicherheitsgründen noch nicht für die Prozesssteuerung genutzt werden, können so einfach z. B. Messungen für die Zustandsüberwachung von Equipment eingebunden werden. Für die Instandhaltung bedeutet dies eine echte Reduzierung des Aufwandes und eine enorme Zeitersparnis. Als nächsten Schritt erwägt Clariant jetzt die Beschaffung von Ex-fähigen Laptops und/oder Tablets, um diese Eigenschaften zukünftig auch im Feld nutzen und online auf die Dokumentation zugreifen zu können.
Und auch unter dem Aspekt „Mehr Infos aus dem Prozess“ liefert das Coriolis Durchflussmessgerät Promass F 300 einen Mehrwert. Gemäß Zollrecht muss Clariant einen Nachweis über die in der Anlage produzierte Menge liefern; dabei ist der Standard die Angabe der Masse. In den Lagertanks wird der Füllstand gemessen und das Volumen berechnet. Zur Bestimmung der Masse wird dieses Volumen mit der im Leitsystem hinterlegten Dichte­tabelle der Produkte umgerechnet, allerdings ist dies immer mit einem gewissen Fehler verbunden. Aufgrund der Technologie des Coriolis Durchflussmessgerätes – die Resonanzfrequenz ist eine Funktion der Messstoffdichte – kann der Promass F 300 neben dem Masse­strom auch die Dichte des geförderten Mediums ausgeben. Diese „reale“ Dichte wird bei etwaigen Abweichungen zur Korrektur der berechneten Menge verwendet.
Zusätzlich zu den überzeugenden Funktionen der Heartbeat Technology und dem Beitrag zu Industrie 4.0 ist es aber letztendlich das Gesamtpaket, welches überzeugt:
Die neuen Durchflussmessgeräte  Promass F 300 weisen, neben der vereinfachten Kalibrierung, mit einer Messabweichung von ± 0,1 % vom Messwert auch eine deutlich höhere Messgenauigkeit im Vergleich zu den Bestandsgeräten auf; so gab es seit der Installation keine signifikante Abweichung zu der Referenz, der geeichten Lkw-Waage.

Bauweise und Elektronik
Der Promass F 300 ist in der sogenannten Kompaktausführung verfügbar, d. h. Messumformer und Messaufnehmer bilden eine mechanische Einheit. Bisher war die Auswerteelek­tronik der Messgeräte im Schaltraum montiert. Aufgrund der kompakten Bauweise und Instal­lation der Elektronik im Feld entfällt jetzt ein kompletter Schaltschrank. Zusätzlicher Platz im Schaltraum ist, wie vermutlich vielen aus der täglichen Arbeit bekannt, quasi unbezahlbar.
Im Leitsystem der Anlage sind Summenzähler zur ganzheitlichen Betrachtung der verladenen Komponenten integriert – allerdings im flüchtigen Speicher. Das bedeutet: Bei jeder Änderung am Leitsystem wird dieser Zähler zurückgesetzt. Der in den Messgeräten integrierte Summenzähler ist dank des HistoROM Datenspeicherkonzeptes „unverlierbar“ und somit jederzeit aktuell und verfügbar.

Profibus PA
Bei der Verkabelung und Kommunikation zwischen Feldgeräten und Leitsystem setzt Clariant auf Profibus PA. Neben den grundlegenden Eigenschaften dieser Technologie (einfache und kostensparende Topologie, bidirektionale Kommunikation, umfangreiche Informationsmöglichkeiten und Standardisierung der Geräte- und Diagnosefunktionen) zählen für Clariant noch folgende Vorteile:

  • Reduzierter Aufwand bei der Planung
  • Einfachere Verkabelung
  • Verringerung des Dokumentationsaufwandes durch vereinfachte Schaltpläne und Entfall der Exi-Berechnung

Damit werden nicht nur in der Produktion, sondern auch bereits und besonders bei der Planung und der Dokumentation Ressourcen und Kosten gespart. Denn jedes Blatt Papier, das nicht gebraucht wird, spart am Ende Geld und ist ein weiterer Schritt in Richtung papierloses Büro.

Standardisierung
Nicht im Hauptfokus, aber ein lohnendes Nebenprojekt: Gleichzeitig mit dem Austausch der Messgeräte in der Mischanlage hat Clariant sich entschieden, diese Messgeräte, sofern möglich, als Standardgeräte für die Durchflussmessung einzusetzen. Bereits nach kürzester Zeit hat sich dieses Projekt gelohnt:
Durch die Standardisierung der Geräte – bisher musste für jeden Messgerätetyp mindestens eine Reserve vorgehalten werden – wurden die Lagerhaltungskosten bereits beträchtlich reduziert.
Sehr eindrucksvoll wirkt sich die Standardisierung im Bereich der Technik bzw. Instandhaltung aus: Durch die Fokussierung auf ein Standardgerät werden die Techniker vor Ort zu Spezialisten für das Gerät; so wird das Bedien­konzept und damit die Inbetriebnahme der Messgeräte zum Tagesgeschäft. Probleme bei der Anbindung der Geräte und bei Schnittstellen zu anderen Systemen werden reduziert; insgesamt kann die Anzahl der Fehler minimiert werden. Und sollte doch mal ein Fehler auftreten, haben die spezialisierten Techniker diesen schnell selbst behoben. Zu Recht ist Clariant stolz darauf, dass Überstunden, Sonder- und Störeinsätze derzeit für die Technik zwar noch nicht ganz der Vergangenheit angehören, aber auf einem historisch niedrigen Niveau sind.
Es ist also nicht verwunderlich, dass diese guten Erfahrungen in naher Zukunft auch auf andere Messstellen übertragen werden sollen:
So ist geplant, auch die Versorgungsleitungen, die den Clariant-Betrieb in Oberhausen z. B. mit Ethylen versorgt, mit Heartbeat Technology auszustatten.
So entfällt der bisher alle zwei Jahre notwendige Ausbau und Versand zur Kalibrierung, was insgesamt leicht 6–8 Wochen dauern kann. Die Messungen sind von den Regelungen des Mess- und Eichgesetzes aufgrund des § 35 (MessEG) befreit, da sie zur Ermittlung leitungsgebundener Leistungen unter gleichbleibenden gewerblichen Vertragspartnern dienen. Aber dennoch bedeuten auch hier eine geringe Messabweichungen in der Regel bares Geld.

„Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“
Am Ende ist es das Gesamtpaket bzw. die Summe der einzelnen Optimierungen und Vorteile, die ein Projekt erfolgreich machen. So kann Clariant mit Stolz behaupten, dass sie mit dieser Investition in eine neue Technologie den richtigen Schritt in die Zukunft geht. Das richtige Messgerät an der richtigen Stelle kann von der Planung über die Dokumentation bis zur Installation, aber vor allem auch bei der Wartung und Instandhaltung, den Aufwand beträchtlich reduzieren, die Kosten senken und sogar am Ende die Zufriedenheit der Mitarbeiter erhöhen.
Und auch Industrie 4.0 lässt sich im Kleinen gestalten und nutzen. So bietet Clariant ein wunderbares Beispiel, wie durch die richtige und intelligente Nutzung von Daten und innovativen Technologien wie der Heartbeat Technologie Prozessverbesserungen erreicht werden und damit Kosten und Ressourcen gespart werden können.