Mikroverfahrenstechnik steht vor dem Durchbruch
Kleine kommen ganz groß raus
Mikrotechnik hat einen großen Einfluss auf unser heutiges Leben, betrachtet man z.B. Mobiltelefone, MP3-Player, Sensoren und Elektronik im Auto oder die Medizintechnik. In der Verfahrenstechnik, chemischen Entwicklung und in Chemielaboratorien sieht dies auf den ersten Blick noch anders aus, wenn man von der Mikroreaktions- bzw. Mikroverfahrenstechnik spricht. Aber dieser Blick trügt, denn kaum einer kann sich dem Trend zur Miniaturisierung und damit zur Prozessintensivierung entziehen.
Die Prozessintensivierung zielt auf eine drastische, ökonomische und ökologische Verbesserung der Prozesseffizienz und Entwicklung neuer Produkte zur Stärkung der eigenen globalen Wettbewerbsfähigkeit. Sie basiert auf der gezielten Nutzung neuartiger Effekte im Bereich von Nano bis Makro. Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Mikroverfahrenstechnik und welche Chancen ergeben sich hieraus für die chemisch-pharmazeutische Industrie?
Vorteile der Mikroverfahrenstechnik
Prozessintensivierung mit Hilfe der Mikroverfahrenstechnik kann in der chemisch-pharmazeutischen Industrie deutliche Vorteile bringen. Mikrostrukturierte Apparate verfügen im Gegensatz zu konventionellen Apparaten über ein bis zu mehr als 1000fach höheres Oberflächen-zu-Volumen-Verhältnis. Dadurch lassen sich Wärmetransportvorgänge deutlich intensivieren. Mikroreaktoren sind aus diesem Grund optimal geeignet für sehr schnelle und stark exotherme oder endotherme Reaktionen, z.B. zum Verhindern von Hot-Spots bei homogenen oder heterogenen Reaktionen, und viele Reaktionen werden erst durch die Miniaturisierung beherrschbar. Auch Stofftransportvorgänge lassen sich durch Verkleinerung der charakteristischen Dimensionen deutlich verbessern. Mischgeschwindigkeiten liegen in Mikromischern zum Teil um Zehnerpotenzen höher als in konventionellen Apparaten und die Mischstrecken reduzieren sich auf wenige Millimeter. Ein weiterer Vorteil von Mikroapparaten ist, dass Prozessparameter besser kontrolliert und eingestellt werden können. Hierdurch kann nicht nur die Ausbeute sondern auch die Sicherheit gesteigert werden. Zudem können die Aufbereitungskosten durch z.B. eine lösemittelfreie Produktion deutlich gesenkt und die Abfallmengen auf Grund des geringen Hold-ups in kontinuierlich betriebenen Mikroreaktionsanlagen bei An- und Abfahrvorgängen, Produktwechseln und eventuellen Produktionsstörungen deutlich verringert werden, um nur einige weitere Vorteile der Mikroverfahrenstechnik zu nennen.
Die Mikroverfahrenstechnik eröffnet somit neue Wege für die Entwicklung ökonomischer, ökologischer, innovativer und intensivierter Prozesse und Produkte. Aber natürlich gibt es technische Herausforderungen, wie das Verhindern von Verstopfungen und Fouling, zudem kommt der Korrosionsüberwachung und der Reinigungsstrategie große Bedeutung zu. Diesen sollte man sich stellen, denn die Mikroverfahrenstechnik bietet den enormen Vorteil, dass von den ersten Reaktionsuntersuchungen zur Gewinnung von Reaktions- und Prozessparametern über die Verfahrensentwicklung bis hin zur Produktion jeder Schritt in ein und der selben Anlage mit wenig Aufwand realisiert werden kann.
Der Anbietermarkt
Betrachtet man den derzeitigen Anbietermarkt für Mikroverfahrenstechnik, so hat dieser sich durch den Eintritt einiger namhafter Firmen in den letzten Jahren deutlich verändert. Hinzu kommen neue Anbieter aus dem asiatischen Raum, insbesondere aus Japan, und einige kleine auf spezielle Werkstoffe spezialisierte Firmen. Generell ist hier in allen Bereichen ein ganz klarer Trend zu standardisierten mikro- bzw. millistrukturierten Bauteilen bzw. Apparaten zu erkennen. Wobei trotz der Standardisierung in der Mikroverfahrenstechnik durch einige kleine Änderungen ein Bauteil oder die Anlage schnell an die Anforderungen des Prozesses angepasst werden kann. Ein weiterer Trend geht in die Modularität bei der einzelne Funktionsmodule bzw. Funktionsgruppen modular verschaltet werden, um höchste Flexibilität im Labor und in der Produktion zu erreichen. Die Anzahl der verschiedensten mikrostrukturierten Module und damit die Flexibilität der Systeme sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Ein weiteres Indiz für den Durchbruch der Mikroverfahrenstechnik ist auch in den Entwicklungen für die Peripherienkomponenten zu sehen. Viele Hersteller erweitern ihr Portfolio in Bereiche, die für den Einsatz in der Mikroverfahrenstechnik interessant sind. Und dies gilt nicht nur für den Produktionsbereich, sondern auch für den Laborbereich. Im Bereich der Peripherie hat ein deutlicher Trend zum Scale-down und zur Adaption bestehender Technologien auf die Anforderungen der Mikroverfahrenstechnik eingesetzt. Dies zeigt, die Technologien zur Anwendung sind vorhanden und werden von vielen umfangreich genutzt; sei es in der Forschung und Entwicklung als auch in der Produktion. Eins sollte hier von vornherein klar sein: Ohne ein komplettes Reengineering von chemischen Prozessen, Anlagen und der dazugehörigen Infrastruktur sowie innovativer Produkt- und Prozessentwicklung wird sich die Mikroverfahrenstechnik mit all ihren Vorteilen schwer durchsetzen.
Bereiche für die Weiterentwicklung
Natürlich gibt es, wie bei allen neuen Technologien, weiteren Entwicklungsbedarf. So weist die Mikro-Trenntechnik Lücken auf, der Scale-up ist noch nicht umfassend gelöst, wobei es hier sehr viel versprechende Ansätze und Lösungen gibt, und das Händeln von Partikeln in Prozessströmen ist sicher noch eine Herausforderung. Aber auch hier zeigen Beispiele, dass sich gerade Mikro- und Nanopartikel optimal mit mikrostrukturierten Bauteilen herstellen lassen. Vor diesem Hintergrund sind dennoch heute die technischen Voraussetzungen gegeben, um die Mikroverfahrenstechnik wirtschaftlich und effektiv einzusetzen.
Die Mikroverfahrenstechnik ist zudem prädestiniert, einen weiteren Trend in der Verfahrenstechnik zu unterstützen: den Übergang von Batch- auf Konti-Produktion. Was heute in vielen Polymer- und Bulkchemikalien-Produktionen Standard ist, nämlich auf Kontiprozesse zu setzen, wird auch in der Pharma- und Feinchemikalienproduktion immer weiter Einzug halten. Novartis hat vor kurzem die Zusammenarbeit mit dem Massachusetts Intitute of Technology (MIT) für 10 Jahre, verbunden mit einer Investitionssumme von 65 Mio. US-$ bekannt gegeben. Ziel ist, Technologien zu entwickeln, um die pharmazeutische Produktion von Batch basierten Systemen auf kontinuierliche Produktion umzustellen. Dies umfasst die gesamte Prozesskette angefangen bei der chemischen Synthese bis zum Endprodukt. Generell hat sich die Situation im Bereich der Mikroverfahrenstechnik in den letzten Jahren deutlich verändert. Das spiegelt sich nicht nur im deutlichen Anstieg der Patentanmeldungen in den letzten Jahren weltweit wider, sondern auch in Veröffentlichungen über Produktionsprozesse. DSM Fine Chemicals hat in Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum Karlsruhe einen mikrostrukturierten Reaktor in der Produktion eines hochwertigen Produkts für die Kunststoffindustrie mit einer Kapazität von 300 t Produkt in 10 Wochen realisiert. Das Institut für Mikrotechnik in Mainz hat eine Mikroreaktor-Anlage zur Herstellung von Nitroglycerin bei der Xi'an Chemical Industrial Group (HAC), China, erfolgreich in Betrieb genommen. Einen ganzheitlichen Ansatz hat Bayer Technology Services eingeschlagen. Mit dem Erwerb von mikrotechnischem Know-how und der Neugründung von Ehrfeld Mikrotechnik BTS (EMB) ist sie in der Lage, den gesamten Bereich der Mikroverfahrenstechnik von der Idee über die Apparateentwicklung und Prozessentwicklung bis zum Engineering und Bau ganzer Anlagen abzudecken. Mit diesem Ansatz konnten und werden innovative Lösungen für neue Produkte und Prozesse erarbeitet, die zum Teil schon in der Produktion realisiert sind und die Vorteile aus vielen technischen Bereichen einbeziehen. Hier zeigt sich, dass die Mikroverfahrenstechnik insbesondere bei Neuentwicklungen bzw. Erweiterungen Früchte trägt. Hierfür muss man aber bereit sein, neue Wege in der Produktion zu beschreiten. Dies schließt neben dem Kernprozess die Prozessanalysetechnik und die Logistik mit ein und bedeutet in vielen Fällen einen Paradigmenwechsel.
Erfolg ist garantiert
Der Erfolg der Mikroverfahrenstechnik wird erheblich von diesem Paradigmenwechsel abhängen. Es wird sicher nicht darauf hinauslaufen, einzelne Mikromischer in Produktionsanlagen einzubauen, sondern smarte Produktions- und Anlagenkonzepte zu entwickeln. Für die Chemie- und Pharmaindustrie heißt dies, es muss gelingen, Mikroverfahrenstechnik in den ersten Entwicklungsphasen für Chemikalien und APIs zu integrieren, versehen mit der Sicherheit diese Verfahrens- bzw. Produktentwicklung in die gewünschte Größenordnung zu skalieren. Dieses bringt dem Anwender die größte Zeit- und Kostenersparnis. Hierzu benötigt es, neben den entsprechenden mikrostrukturierten Bauteilen und Apparaten, gut ausgebildete Menschen, die die Vorteile und Herausforderungen der Mikroverfahrenstechnik kennen und ihr Wissen gezielt einsetzen können. Und diese Ausbildung beginnt nicht erst in den Unternehmen, sondern sollte, wie an einigen Hochschulen praktiziert und in Deutschland zum Teil vom BMBF, der DBU und dem VCI unterstützt, in den entsprechenden Bildungseinrichtungen beginnen.
Für die Produktion benötigt die chemisch-pharmazeutische Industrie in Zukunft neue Anlagenkonzepte, die kunden- bzw. marktanforderungsgerecht noch schneller Ergebnisse bzw. Produkte liefern. Die Zeit, die bleibt, um ein Produkt auf den Markt zu bringen und die Produktzyklen werden sich in Zukunft deutlich verkürzen. Hierbei werden intelligente Anlagen, die sich durch ihre Modularität, ihre Standardisierung, ihre Flexibilität und ihre Effizienz auszeichnen, eine entscheidende Rolle spielen. In diesen sog. Smart Factories kann und wird die Mikroverfahrenstechnik eine entscheidende Rolle spielen und sich als eine von vielen etablierten Techniken in Forschung, Entwicklung und Produktion in Universitäten, Forschungsinstituten und der chemisch-pharmazeutischen Industrie, aber auch in anderen industriellen Bereichen, wie z.B. Food, Consumer Care und Energie durchsetzen. Es ist keine Frage nach dem „ob und wann", es ist nur noch eine Frage nach dem „wie, wo und wer"!
Bei dieser Meldung handelt es sich um eine Archiv-Meldung, bei der die Abbildungen entfernt wurden.