Der S&OP-Prozess – Oldtimer oder Evergreen? (Teil 2)
Märkte im Wandel und die Konsequenzen für die Sales & Operations-Planung
In den letzten zwei Jahrzehnten haben sich die Anforderungen und das Kaufverhalten der Kunden, das Produktangebot wie auch die Vertriebswege zum Teil stark gewandelt. Neue Märkte sind entstanden und entstehen weiter. Dies bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die S&OP-Prozesse. Teil 1 des Artikels zur Aktualität von S&OP-Prozessen (CHEManager 10/2016) befasste sich mit Zielen, Ablauf und Fragestellungen zur Implementierung solcher Prozesse. Teil 2 geht nun auf die Veränderungen im Markt und daraus folgende Konsequenzen ein.
Die Produktlebenszyklen werden immer kürzer. Die Variantenvielfalt bei vielen Produkten explodiert geradezu, da diese immer mehr kundenindividuell ausgeprägt sind. Hierzu einige wenige konkrete Beispiele aus den Bereichen Mobiltelefone, Flatscreen-Fernseher oder Automobile. Aus dem simplen Handy ist heute das Smartphone geworden, mit dem man auch noch telefonieren kann. Die führenden Hersteller liefern sich durch Erweiterung der Features und häufigen Modellwechseln einen gnadenlosen Kampf um jeden Kunden. Flatscreen-Fernseher werden immer größer, die Bildschirmauflösung immer besser und neben 2D ist inzwischen auch 3D im Angebot. Von den zusätzlichen Soundoptionen oder dem Zugang zum Internet ganz zu schweigen.
Die Möglichkeiten, sich einen individuellen Personenkraftwagen zu konfigurieren, sind praktisch unerschöpflich und bringen den einen oder anderen Kaufinteressenten schon mal zur Verzweiflung. Ein weiterer Treiber kommt aus dem E-Commerce-Geschäft. Das Produktangebot ist häufig größer als im Einzelhandel. Die Kunden erwarten eine immer höhere und schnellere Verfügbarkeit der Waren. Welche (zusätzlichen) Effekte Industrie 4.0 einmal haben wird, bleibt im Detail noch abzuwarten.
Im Bereich der chemischen Industrie sind Beispiele dieser Art praktisch nicht zu finden, da sich die Branche weitgehend nur im B2B-Geschäft bewegt. Dennoch können sich starke Schwankungen im Endverbrauchermarkt auch auf die Vorlieferanten auswirken. Etwas anders sieht es im Umfeld der pharmazeutischen Industrie mit der individuellen Arzneimittelversorgung aus. Aus der klassischen Apothekenversorgung haben sich vor einigen Jahren zunächst einzelne Versandapotheken entwickelt. Heute kann der Endverbraucher auf eine Vielzahl an Versendern zurückgreifen, die mit verschiedenen Zusatzangeboten und Services bei ihren Kunden punkten wollen. Ähnliches gilt für das Umfeld Lifestyle Produkte und Lebensmittel.
Viele Unternehmen konzentrieren sich heute zunehmend auf ihre Kernkompetenzen und lagern ganze Geschäftsbereiche aus. Die Supply Chains werden dadurch stetig komplexer und sind häufig global aufgestellt. Vorwärts- und rückwärtsintegrierte Vernetzungen zu Kunden und Lieferanten sind möglich oder gar notwendig.
Konsequenzen für den S&OP-Prozess
Die Märkte und das Verhalten der Marktteilnehmer haben sich gegenüber den 1990er Jahren also stark verändert. Dies hat einerseits häufig direkten Einfluss auf die Qualität der Absatzplanung. Andererseits bedingen Variantenvielfalt und immer kürzere Lieferzeitwünsche der Kunden eine hohe Flexibilität in der Fertigung. Sehr viele Unternehmen verwenden z.T. seit Jahrzehnten leistungsfähige IT/ERP-Systeme. Diese erfordern zwar ein umfangreiches Gerüst aus Stamm- und Bewegungsdaten. Doch wenn sie in sich valide sind, lassen sie sich für Auswertungen, (ggf. statistische) Prognosen und Simulationen mannigfaltig und zielgerichtet nutzen.
Es können verschiedene Szenarien (z.B. Best-Case- / Worst-Case-Szenarien) simuliert und bewertet werden. Heutige IT-Systeme können dieses in Echtzeit leisten, so dass eine hohe Flexibilität verbunden mit Agilität erreicht werden kann. Es bestehen Möglichkeiten, die Qualität der Absatz- und Produktionsplanung weiter zu verbessern bzw. andererseits auch kurzfristig auf akute Marktveränderungen reagieren zu können.
Dennoch haben diese Maßnahmen auch ihre Grenzen, wie in Teil 1 des Artikels bereits beschrieben: Weder eine 100%ige Planungssicherheit noch unendliche Kapazitäten sind Realität. Es gilt, das richtige Maß für beides zu finden, dieses stets zu hinterfragen und bei Bedarf kontinuierlich anzupassen bzw. idealerweise zu verbessern.
Wurde in der Vergangenheit tendenziell der Forecast noch eher auf Stock-keeping-Unit-Level geplant, ist dieses vor dem Hintergrund der vorausgehenden Ausführungen häufig nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr möglich. Hier gilt es, Komplexität abzubauen oder zumindest zu begrenzen. Dafür können z.B. höher aggregierte Planungsebenen ausgewählt werden, auf denen einerseits eine zuverlässige Absatzplanung gewährleistet werden kann und andererseits noch eine akzeptable Produktions- und Materialplanung resultiert. Damit einhergehen kann dann gleichfalls die Einstellung eines Entkopplungspunktes in der Supply Chain. Auch die Standardisierung von Baugruppen und Fertigproduktvorstufen trägt zum Abbau von Komplexität bei.
Es gibt demnach nicht eine oder die Lösung, um den S&OP-Prozess für die heutigen Anforderungen fit zu machen. Es ist stets die Kombination verschiedener Maßnahmen, die sich zudem von Unternehmen zu Unternehmen unterscheiden. Deshalb ist keine Maßnahme falsch oder richtig. Sie muss opportun, effektiv und nachhaltig sein.
Zusammenfassung und Ausblick
Der S&OP-Prozess ist auch nach mehreren Jahrzehnten Bestehen nicht museumsreif und zu einem Oldtimer geworden. Im Gegenteil: Die ständige Verbesserung und Adaption an die sich wandelnden Anforderungen haben ihn zum Evergreen werden lassen. Es ist immer noch dieselbe Grundmelodie. Über die Jahrzehnte haben sich aber Sound und Groove dem „Zeitgeist“ angepasst.
Mit der Implementierung des S&OP-Prozesses verhält es sich so wie es auch im Lean-Management gelebt wird. S&OP ist kein diskretes und zeitlich begrenztes Projekt, sondern muss in der Unternehmenskultur dauerhaft und nachhaltig verankert werden. Und es bedarf einer stetigen Aufmerksamkeit über geeignete Prozesskennzahlen und damit verbunden einer ständigen Verbesserung (KVP), um sich erfolgreich auf die immer schneller ändernden Kundenanforderungen einstellen zu können.
Es gilt hier nochmals festzuhalten, dass alle Ausführungen beispielhaft und nicht in Stein gemeißelt sind. Selbst die Grundsequenz ist in gewissem Rahmen flexibel. Jedes Unternehmen muss seinen ganz individuellen Weg finden, um den S&OP-Prozess erfolgreich einzuführen, zu verbessern und diesen nachhaltig zu leben. Darüber nachzudenken ist das mindeste, den Weg aber zu gehen, schon eine lohnenswerte Herausforderung. Zufriedenere Kunden und ein besseres Geschäftsergebnis werden es danken.