Mittelstandsstudie: Wie sicher sind die Märkte?
Commerzbank untersucht Risiken und Strategien des deutschen Mittelstands im internationalen Geschäft
Geopolitische Turbulenzen verändern die Rahmenbedingungen für Internationalisierung und führen zu abnehmender Planungssicherheit in der Chemie- und Pharmaindustrie. Handelskonflikte, Klimawandel und EU-Schuldenkrise stellen eine besondere Herausforderung insbesondere für mittelständische Unternehmen dieser Branche dar. Welche Entwicklung zeigt vor diesem Hintergrund die Internationalisierung des deutschen Mittelstands seit der Finanzkrise? Mit dieser und weiteren Fragestellungen befasst sich die 19. Studie der Mittelstandsinitiative Unternehmerperspektiven. Für die Studie der Commerzbank wurden 2.000 Unternehmer befragt – darunter 157 aus der Chemie- und Pharmaindustrie.
Die Internationalisierung gehört zur DNA des deutschen Mittelstands. Trotz internationaler Krisenherde setzen die Unternehmen weiter auf Internationalisierung. Dies stellt die konstante Quote der international tätigen Unternehmen bei der Commerzbank-Mittelstandsstudie unter Beweis: Der Anteil von Unternehmen mit Auslandsumsatz hat sich im Vergleich zu den Befragungen aus den Jahren 2007 und 2013 kaum verändert. Insgesamt 52 % aller Unternehmen vertreiben Produkte bzw. Dienstleistungen im Ausland. In der exportorientierten deutschen Chemie- und Pharmaindustrie ist der Anteil nochmals deutlich höher: Hier setzen 89 % der Unternehmen ihre Produkte im Ausland ab; nur 10 % sind rein auf den deutschen Binnenmarkt fokussiert.
Deutsche Produkte sind international gefragt
Befragt nach den stärksten Treibern für den internationalen Handel, nennen 92 % (11 Prozentpunkte mehr als der gesamtwirtschaftliche Durchschnitt) der mittelständischen Exporteure aus der chemischen und pharmazeutischen Industrie die hohe Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte und deren starke Nachfrage in ausländischen Märkten. Über drei Viertel (76 %) der Unternehmen sehen zudem die Digitalisierung als einen wesentlichen Treiber für ihr Geschäft. Die innovationsstarke Chemiebranche sieht außerdem überdurchschnittlich oft Potenzial in neuen Produkten oder Geschäftsmodellen (76 %). Auch die günstigen Finanzierungsbedingungen (67 %) und die Tatsache, dass Großabnehmer zunehmend im Ausland agieren (63 %), werden häufig genannt.
88 % der mittelständischen Chemie- und Pharmaunternehmen exportieren ihre Produkte in den Euroraum. Das am häufigsten genannte Exportziel ist die Schweiz (74 %). Darüber hinaus zählen Länder auf allen Kontinenten zu den Zielregionen der Branche (vgl. Grafik 1). Die chemische und pharmazeutische Industrie setzt dabei überdurchschnittlich oft in Ländern mit kritischer wirtschaftspolitischer Entwicklung ab, wie z. B. in Italien (60 %), Großbritannien (57 %), den USA (38 %), China (44 %), Russland (42 %), der Türkei (40 %) und Brasilien (23 %).
Chemiebranche befürchtet zunehmende Planungsunsicherheit
Die Verteilung der branchenspezifischen Absatzmärkte mag ein wesentlicher Grund für den überdurchschnittlich hohen Anteil an Chemie- und Pharmaunternehmen sein, die eine mangelnde Planungssicherheit beklagen und eine konjunkturelle Eintrübung erwarten. Während der Anteil der Chemie- und Pharmaunternehmen, die davon ausgehen, dass die Planungssicherheit in den nächsten ein bis zwei Jahren abnehmen wird, 86 % beträgt, liegt dieser im Schnitt aller mittelständischer Unternehmen nur bei 64 %. Die Branche ist damit überdurchschnittlich besorgt. Die Unternehmen rechnen mit einer konjunkturellen Eintrübung (69 %, +8 Prozentpunkte), überdurchschnittlich oft mit zunehmenden Handelsbarrieren (60 %, +23 Prozentpunkte) und in der Folge auch mit Absatzrückgängen in bestehenden Auslandsmärkten (39 %, +14 Prozentpunkte). Nur 8 % (-12 Prozentpunkte) der Unternehmen gehen davon aus, dass Handelskonflikte zwischen anderen Ländern (z. B. den USA und China) auch Chancen für deutsche Unternehmen mit sich bringen.
Handelskonflikte treffen die Chemie überdurchschnittlich
Die aktuellen geopolitischen Turbulenzen treffen die chemische und pharmazeutische Industrie besonders stark. Mehr als jedes zweite Unternehmen (61 %) berichtet, dass zunehmende globale Handelskonflikte sich negativ auf die eigene Geschäftstätigkeit auswirken bzw. in Zukunft auswirken werden (vgl. Grafik 2). Gleiches gilt für die aktuelle Außen- und Handelspolitik der USA (57 %). Schon spürbar oder zu erwarten sind außerdem Auswirkungen von Sanktionen (51 %). Und 49 % der Unternehmen rechnen mit negativen Auswirkungen des Brexits.
Die Dieselkrise der Automobilindustrie bedroht die chemische und pharmazeutische Industrie dagegen weniger als den gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt. Insgesamt rechnen 40 % hier mit negativen Auswirkungen. Nur 31 % erwarten negative Auswirkungen durch den Klimawandel. Hier hat sich die Branche bereits gut aufgestellt und ist auf technologische Umbrüche vorbereitet. Etwas häufiger als der gesamtwirtschaftliche Durchschnitt fürchten Chemie- und Pharmaunternehmen jedoch die Schuldenkrisen von EU-Staaten (40 %), ebenso Währungskrisen in Schwellenländern (21 %).
Chemiebranche ist überdurchschnittlich zufrieden mit dem Standort Deutschland
Ein Paradigmenwechsel zeichnete sich bei Beurteilung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den wichtigsten Absatzmärkten der Chemie- und Pharmaindustrie ab: Nach den Ergebnissen der aktuellen Studie der Unternehmerperspektiven bewertet die Branche die USA und Großbritannien schlechter als das ehemalige Schwellenland China. Mit dem Standort Deutschland ist die Branche hingegen deutlich zufriedener als der gesamtwirtschaftliche Durchschnitt.
Im Vergleich ausgewählter Länder schneidet Deutschland (vgl. Grafik 3) mit Abstand am besten ab: 88 % der Unternehmen bewerten die Rahmenbedingungen als „gut“ oder „sehr gut“. Auf Rang zwei und drei folgen Frankreich mit 54 % positiver Nennungen und China mit 32 %. Bemerkenswert dabei ist, dass die USA (22 %) und Großbritannien (12 %), obgleich etablierte Volkswirtschaften, weiter hinten im Ranking stehen, auch aus Sicht der chemischen und pharmazeutischen Industrie. Besonders kritisch ist die Branche gegenüber der Türkei und Russland eingestellt. Hier bewertet rund ein Viertel der Unternehmen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen als „mangelhaft“ bzw. „ungenügend“.
Internationalisierungsstrategie: kein Patentrezept für exportierende Unternehmen
Die Unternehmen passen ihre Internationalisierungsstrategien den veränderten Rahmenbedingungen an. Aufgrund der individuell unterschiedlichen Betroffenheit lässt sich dabei aber kein Patentrezept beobachten – Flexibilität ist gefragt. Die Exporteure aus der chemischen und pharmazeutischen Industrie verändern ihre Absatzstrategien, reagieren dabei aber nicht einheitlich: Gut die Hälfte (52 %) der Unternehmen erschließt neue Auslandsmärkte, 24 % orientieren sich in Richtung Schwellenländer. Andere wiederum fokussieren sich stärker auf den deutschen Markt (45 %) oder den EU-Binnenmarkt (43 %).
Eher heterogen sind auch die Anpassungen der weiteren Geschäftsstrategie. Die Branche setzt überdurchschnittlich oft auf neue Vertriebsmöglichkeiten (83 %), außerdem auf Innovation (75 %) und eine Verbreiterung des Angebots (69 %), um im Auslandsgeschäft gut aufgestellt zu sein. Zugleich geben 73 % der Unternehmen an, dass sie sich stärker auf ihre Kernprodukte konzentrieren. Gänzlich neue Geschäftsfelder stehen offenbar selten auf der Agenda.
Finanzinstrumente zur Risikoabsicherung werden von der exportorientierten chemischen und pharmazeutischen Industrie überdurchschnittlich oft, allerdings nicht durchweg eingesetzt. Im Mittelpunkt stehen dabei Zahlungs- und Ausfallsrisiken (62 %). Nur 17 % der Branche nutzen Instrumente zur Absicherung von Zinsrisiken und lediglich 13 % nutzen Instrumente zur Absicherung von Rohstoffrisiken, obwohl drei Viertel der Unternehmen über Schwankungen beim Rohstoffpreis klagen.
Klare politische Forderungen
Befragt danach, was die deutsche Politik tun muss, um die Auslandsaktivitäten des Mittelstands zu erleichtern und zu fördern, stellen die Chemie- und Pharmaunternehmen klare Forderungen: Politik sollte sich intensiver für die deutschen oder auch europäischen Interessen einsetzen. 95 % der befragten wünschen sich eine einheitliche europäische Haltung im Wirtschaftsstreit mit den USA; 89 % fordern die Bildung multilateraler Freihandelszonen von mehreren Staaten. Gute Handelsbeziehungen zu Großbritannien – auch nach dem Brexit – erhoffen sich 75 % Chemie- und Pharmaunternehmen. Ebenso wichtig sind der Branche gute Wirtschaftsbeziehung zu China (69 %).
Auswertung der Ergebnisse für die Chemie- und Pharmabranche der Commerzbank-Studie „Wie sicher sind die Märkte? Risiken managen im internationalen Geschäft“ zum Download
Lesen Sie hier die Studie der Commerzbank-Initiative Unternehmerperspektiven von 2018: „Der Rohstoff des 21. Jahrhunderts: Big Data, Smart Data – Lost Data?“
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