GHS - Harmonisierung internationaler Chemikalienettikettierung
12.12.2012 -
GHS - Harmonisierung internationaler Chemikalienettikettierung
Zweifellos steht die neue europäische Chemikaliengesetzgebung Reach im Zentrum der aktuellen Compliance-Diskussion. Etwas abseits davon hat sich eine zweite Baustelle aufgetan: GHS, das Global Harmonisierte System zur Klassifizierung und Etikettierung von Chemikalien. In Japan greift das neue Regularium bereits ab Dezember 2006. Zwar gewährt die EU den Unternehmen eine deutlich längere Übergangszeit. Doch ergibt sich für die Global Player unter den Chemieunternehmen bereits jetzt ein dringender Bedarf an pragmatischen Compliance-Management-Lösungen, die sie weltweit dabei unterstützen, alle gesetzliche Vorschriften einzuhalten.
Vollsperrung auf der A3 bei Limburg. Am 5. September 2006 verunglückte ein Gefahrguttransporter auf der Lahnbrücke und stand in Flammen. Da die Ladung keine Gefahrgutkennzeichnung aufwies, löschte die Feuerwehr auf konventionelle Weise, wodurch die wassergefährdende Chemikalie Mercaptobenzothiazol in den Fluss gelangte. Der Unfall unterstreicht die Wichtigkeit eines wirksamen Compliance- Managements. Im Kern geht es darum, die Eigenschaften von Gefahrstoffen zutreffend und verwechslungssicher zu erfassen und die gesetzlich geforderten Dokumente entlang der gesamten Prozesskette verfügbar zu machen, so zum Beispiel Sicherheitsdatenblätter oder Etiketten für Gefahrstoffe und Gefahrgüter.
Um hierbei weltweit einheitlich zu kommunizieren, haben die Vereinten Nationen 1992 das GHS ins Leben gerufen. Dessen Ziel liegt darin, die nationalen Einstufungs- und Kennzeichnungssysteme von Stoffen und Zubereitungen durch eine länderübergreifende Lösung zu ersetzen. Dabei gilt es auf der Kommunikationsebene Inhalte und Struktur der Etiketten und Sicherheitsdatenblätter zu vereinheitlichen. Auf diese Weise sollen die Gefahren für Mensch und Umwelt minimiert werden, die durch Produktion, Transport und Einsatz von Chemikalien entstehen. Korrekt ausgewiesene GHS-Etiketten werden dann auf deutschen Autobahnen genauso interpretiert wie in asiatischen Seehäfen oder auf amerikanischen Flughäfen. Zudem soll GHS auch eine Reihe von Handelshemmnissen abbauen, welche die unterschiedlichen nationalen Regelungen mit sich bringen.
Nationale GHS-Umsetzung
Nach langen Jahren der institutionellen Vorbereitung hat die Implementierung von GHS begonnen. Derzeit akzeptiert bereits eine Reihe von Staaten GHS-Dokumente als Alternative zu ihren nationalen Bestimmungen, darunter Brasilien, Neuseeland und Thailand. Ab Dezember 2006 geht Japan einen entscheidenden Schritt weiter: Zum Jahresende verlangt das Reich der aufgehenden Sonne GHS-konforme Kennzeichnungen für eine Auswahl von Gefahrstoffen. Wer rechtzeitig gesetzeskonforme Sicherheitsdatenblätter und Etiketten erstellen will, muss also bereits jetzt handeln und das Global Harmonisierte System einführen.
Im Vergleich zu den Pionieren führt die Europäische Union GHS über einen längeren Zeitraum ein. Der Startschuss wird voraussichtlich im April 2007 fallen, so dass die Implementierung parallel zu Reach verlaufen wird. 2014/15 soll das derzeit geltende Recht zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien und Gefahrstoffen vollständig durch GHS ersetzt sein. Der Wechsel vollzieht sich in zwei Phasen – bis 2010 auf der Ebene der Stoffe und anschließend auf der Ebene der Zubereitungen. Mehr oder weniger konkrete Pläne liegen auch für die USA und China vor. Hier geht GHS jedoch frühestens ab 2008 an den Start.
Sonderwege in einzelnen Ländern
Um den Einstufungsprozess national zu vereinheitlichen, erstellen derzeit einige Länder Listen, in denen sie Stoffe zentral klassifizieren. Auch auf diesem Gebiet haben Japan und Neuseeland die Vorreiterrolle übernommen und bereits erste Listen veröffentlicht. In der EU konzentriert sich die Diskussion bislang auf eine Liste krebserregender Stoffe.
Es ist damit zu rechnen, dass die länder- bzw. regionsspezifischen Listen voneinander abweichen werden. Dies liegt daran, dass unterschiedliche Daten in die Klassifizierung eingehen können. Macht zum Beispiel Land A die Gesundheitsgefährdung eines Stoffes am Toxizitätstest X fest, so kann Land B zu einer abweichenden Einstufung gelangen, da es den Toxizitätstest Y zur Bewertung des Stoffes verwendet. Die Vielfalt an unterschiedlichen Listen stellt das integrierte Compliance- Management-System vor die Aufgabe, ein effizientes Daten- Management zu etablieren, das stets die aktuellsten Versionen der jeweiligen Listen verfügbar macht.
Dieses Beispiel illustriert eindrucksvoll, dass sich die Einführung von GHS keineswegs einheitlich vollziehen wird. Zwar haben die Vereinten Nationen im so genannten GHS-Dokument (auch: Purple Book) Regelungen verabschiedet, wie Stoffe und Zubereitungen zu klassifizieren sind. Doch bei der Umsetzung in nationales Recht gewährt das Purple Book eine erhebliche Gestaltungsfreiheit. So lassen sich einzelne Bausteine (Building Blocks) aus dem gesamten Regelwerk herauslösen, um sie länderspezifisch zu regeln. Hiervon wird auch die Europäische Union intensiven Gebrauch machen.
Angesichts dieser Ausgangslage sollten sich die Compliance- Manager weltweit tätiger Chemieunternehmen darauf einstellen, dass GHS statt einer gemeinsamen Sprache zahlreiche Dialekte sprechen wird. Mittelfristig ist nicht damit zu rechnen, dass die bisherige Komplexität abnimmt. Erschwerend kommt hinzu, dass zahlreiche Staaten noch nicht entschieden haben, ob und wenn ja, wann sie GHS einführen wollen. Damit Unternehmen den unterschiedlichen Anforderungen Ressourcen schonend entsprechen können, werden sie zunehmend integrierte Compliance-Management- Systeme einsetzen.
Integriertes Compliance-Management
Unabhängig vom jeweiligen Einführungstempo ergibt sich für die chemische Industrie bereits jetzt ein dringender Handlungsbedarf. Weil sich ihre Wertschöpfungsketten weltweit vernetzen, kann nur eine zeitnahe GHS-Einführung den bisherigen Marktzugang in vollem Umfang sichern. Hierbei erweist sich der Umstellungsprozess als sehr komplex, da das Spektrum der Stoffe umfangreich ist. Der Aufwand sinkt jedoch, je stärker die Unternehmen GHS in ihr operatives Geschäft integrieren. Ein probater Weg ist, die Compliance- Management-Lösung in das betriebswirtschaftliche Steuerungs- und Planungssystem (ERP = Enterprise Resource Planning System) einzubetten und dadurch die Compliance- Prozesse so weit wie möglich zu automatisieren.
Einerseits fließen dann die erforderlichen operativen Daten ohne Systembruch in den Klassifizierungs- und Etikettierungsprozess ein. Andererseits leitet das integrierte System die erstellten Dokumente direkt an diejenigen Akteure, die eine GHS-Compliance nachweisen müssen. Bevor der weitgehend automatisierte Prozess greifen kann, gilt es, die bestehenden IT-Systeme an die neue Systematik anzupassen.
Aufwändige Anpassung
Welche Aufgaben dabei zu lösen sind, zeigt die GHS-spezifische Weiterentwicklung von Technidata CSM (Chemicals Safety Management). In dieser in SAP EH&S-integrierten Compliance- Management-Lösung beeinflussen die neuen gesetzlichen Vorschriften verschiedene ITBausteine. Dies beginnt bereits beim Design der Datenbankfelder („Eigenschaften“), welche die GHS-konformen Daten enthalten sollen. Dabei zählt nicht nur die richtige Struktur. Es muss auch sichergestellt sein, dass Anwender während der Übergangszeit sowohl die aktuellen als auch die künftigen GHS-Klassifizierungen ablegen können. Zudem muss das System regional unterschiedliche GHS-Klassifizierungen verwalten können.
Da das GHS-Klassifizierungssystem eine Reihe neuer Kennzeichnungsbegriffe – zum Beispiel Gefahrenhinweise und Signalwörter – definiert, müssen diese Begriffe in den aktuellen Katalog von Textbausteinen („Phrasenkatalog“) eingehen. Hierbei besteht die besondere Herausforderung darin, die Texte in möglichst vielen Sprachen vorzuhalten. Das GHS kann nur dann weltweit verstanden werden, wenn die Dokumente den jeweiligen Landessprachen entsprechen.
Sind diese technischen Grundlagen geschaffen, kann die Dateneingabe für die Rohstoffe erfolgen. Hierbei unterstützt das Compliance-Management- System den Anwender, indem es Grunddaten bereitstellt, so zum Beispiel Klassifizierungslisten. In vielen Fällen wird aber auch die Kommunikation mit Herstellern und Lieferanten oder die erweiterte Recherche in Fachdatenbanken erforderlich sein. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass sich im Rahmen von Reach die Datenlage zu vielen Stoffen verbessert.
Der Bewertung der Rohstoffe schließt sich die Klassifizierung der Zubereitungen (Rezepturen, Mischungen) an. Hierzu sieht das GHS für jede mögliche Gefahrenklasse eine genau festgelegte Prozedur vor, die über Entscheidungsbäume und Berechnungsformeln zur Klassifizierung führt. Programmierte Algorithmen („Expert-Regelwerke“) können dem Anwender diese Arbeit erheblich erleichtern, indem sie die notwendigen Klassifizierungen aus den Rezeptur- und Inhaltsstoffdaten ermitteln. Gegebenenfalls gilt es auch hier regionalspezifische Klassifizierungen zu errechnen.
Schließlich müssen auch die Layouts („WWI-Templates“) der Sicherheitsdatenblätter und Etiketten an die neuen Vorgaben angepasst werden. Hintergrund: GHS weist eine Reihe spezieller Informationen, Gefahrensymbole und Formate auf, die von den bestehenden nationalen Systemen abweichen.
Enges Zeitfenster
Erst wenn all diese Bausteine den geänderten Anforderungen entsprechen, ist das Compliance- Management-System in der Lage, GHS-konforme Dokumente zu erstellen. Der komplexe Umstellungsprozess erfordert ein hohes Maß an Planungsarbeit. Damit Chemieunternehmen alle heutigen und künftigen Anforderungen an Sicherheitsdatenblätter und Etiketten rechtzeitig erfüllen können, sollten die Verantwortlichen deshalb jetzt handeln. Im Hinblick auf den japanischen Markt schließt sich das Zeitfenster bereits. Aber auch die Situation ín der EU legt es den Unternehmen nahe, ein Compliance-Management zu etablieren, das auch die Anforderungen des Global Harmonisierten Systems abdeckt.