Geschäftsmodelle definieren die IT der Zukunft
Flexibilität als Wettbewerbsvorteil
Die chemische Industrie steht vor großen Herausforderungen. Die Globalisierung sorgt für noch stärkeren Preis- und Wettbewerbsdruck. Das Marktwachstum der Schwellenländer und dramatisch ansteigende Rohstoffpreise bestimmen das Geschehen. Integrierte Geschäftsprozesse, Standardsoftware und flexible Strukturen helfen, mit neuen Geschäftsmodellen die Zukunft zu meistern.
Asien boomt, und das bedeutet nicht nur wachsende Märkte mit zusätzlichen Absatzchancen: Schon heute beobachten Experten einen rasant ansteigenden Energiekonsum in Asien, allein in China und Indien wird sich der Bedarf laut International Energy Outlook bis zum Jahr 2030 verdreifachen. Rund 2,5 Mrd. Menschen allein in China und Indien verbrauchen immer mehr Energie, deren Preis signifikant steigen wird. Gleichzeitig investieren Unternehmen der klassischen Industrieländer zunehmend in China und Asien, um durch Unternehmensbeteiligungen oder Direktinvestitionen an diesem Wachstum zu partizipieren.
Wachstum öffnet Preisschere
Die steigenden Rohstoffpreise - insbesondere für das von der Chemieindustrie benötigte Erdöl und Erdgas - definieren schon heute das Ende klassischer Wertschöpfungsketten in der Chemieindustrie, da diese Kosten häufig nicht an die Kunden weitergegeben werden können. Vielfach verlangen die Abnehmer auf den Konsumgütermärkten (wie etwa Hersteller von Körperpflegemitteln) sogar niedrigere Einstandspreise von Vorprodukten. Damit befinden sich Lieferanten von Basis- und Spezialchemie in einem Dilemma: Steigende Rohstoffpreise können nur bedingt weitergegeben werden, der Preisdruck der Konsumgüterbranche engt den Handlungsspielraum weiter ein. Beide Faktoren zusammen forcieren die Neuausrichtungen traditioneller Geschäftsmodelle.
Komplexität der Geschäftsprozesse reduzieren
Die IT in den Unternehmen der Chemieindustrie muss künftig mehr denn je die Geschäftsziele unterstützen, will sie den komplexen Anforderungen des Wettbewerbs und des wachsenden Ressourcenbedarfs gerecht werden, das heißt sie muss ihre klassische Rolle als Werkzeug zur Effizienzsteigerung durch eine direkte Unterstützung der Geschäftsmodelle ergänzen. Die Verwendung knapper Ressourcen, der optimierte Transport von Rohstoffen sowie die schnelle operative Umsetzung von strategischen Zielen wie zum Beispiel Akquisitionen, Portfoliobereinigungen oder Joint Ventures stehen dabei im Mittelpunkt der Optimierungsbemühungen zur Kostensenkung und Erhöhung der Flexibilität.
Viele US-amerikanische und europäische Unternehmen wie etwa Bayer und BASF setzen auf eine flexible (De-)Investitionsstrategie bei so genannten Commodity-Produkten: Sie versuchen mit diesem aktiven Portfolio-Management und optimierten Produktpaletten, von Skaleneffekten zu profitieren und Wachstum zu generieren. Andere Chemieunternehmen setzen auf einen direkten Zugang zu den erforderlichen Rohstoffen und investieren kurz- und mittelfristig in Gas- und Ölunternehmen im Mittleren Osten oder gründen Partnerschaften und Joint Ventures. Dieser Trend wird laut Experten die Branche zukünftig charakterisieren; er setzt damit zugleich den Anforderungsrahmen für eine IT-gestützte unternehmens- und organisationsübergreifende Zusammenarbeit. Diese wird im Schatten des Kostendrucks zunehmend auch bei F&E-Aktivitäten erforderlich: Aufwändige, kapitalintensive und risikoreiche Basisforschung wird zunehmend abgelöst von Innovationen, die in Business-Netzwerken aus Unternehmen, Hochschulen, Lieferanten und Kunden entstehen.
Geschäftsmodelle definieren die IT-Strategie
Die allgemeine Marktentwicklung und die Globalisierungseffekte beeinflussen bereits heute die strategische Ausrichtung der Unternehmen. In den Bereichen der Basis-, Fein- und Spezial-Chemikalienherstellung kristallisieren sich zunehmend vier typische Geschäftsmodelle heraus, die jeweils unterschiedliche Anforderungen an die IT stellen:
- Hersteller chemischer Basisprodukte: Produzenten von Commodities werden sich darauf ausrichten, die Kostenführerschaft in ihrem jeweiligen Marktsegment anzustreben und ihren bereits etablierten Kundenstamm mit einem festen Produktportfolio zu günstigsten Preisen zu bedienen. Die Wertschöpfungskette von der Beschaffung über die Produktion bis zum Vertrieb unterliegt daher einer ständigen Kostenoptimierung, um hohe Skaleneffekte und effiziente Produktionsabläufe zu nutzen. Operatives Ziel ist darüber hinaus, eine umfassende Automatisierung über alle Geschäftsprozesse hinweg und unter Einhaltung der jeweiligen Industriestandards umzusetzen. Konsolidierte IT-Systeme und harmonisierte Unternehmensdaten bilden dabei die Basis für standardisierte, durchgängige Geschäftsprozesse, einem wesentlichen Erfolgsfaktor für erhöhte Prozesseffizienz. Gleichzeitig forcieren solche Unternehmen die verbesserte Anbindung der produktionsnahen IT-Systeme an die betriebswirtschaftlichen Softwareanwendungen um zeitnah Einblick in Leistung, Verfügbarkeit und Profitabilität der Produktionsanlagen im eigenen Unternehmen zu erhalten.
- In der Spezialchemie zielen Unternehmen darauf ab, Marktnischen zu besetzen und den Markt mit Produkten zu überzeugen, die entweder spezielle Herstellungstechnologie oder spezifisches Anwenderwissen erfordern. Hier stehen weniger optimierte Geschäftsprozesse als vielmehr die Stärkung der Kundennähe zur Erschließung gemeinsamer Wachstumsfelder im Vordergrund. Die Wertschöpfung erfolgt durch kundenspezifische Lösungsangebote im Rahmen enger Kundenbeziehungen. Diese Unternehmen müssen ihre Fertigung entsprechend flexibel und nachfrageorientiert organisieren. Ein umfassendes Auftragsabwicklungs- und Customer Relationship Management (CRM) stehen im Mittelpunkt dieser Unternehmen, die durch eine enge Verzahnung zwischen Kunde, Auftragsabwicklung und Produktion eine optimale Kundenbetreuung unterstützen.
- Hersteller von chemischen Produktinnovationen: Innovatoren wollen den Wettbewerb durch umfassende Produktdifferenzierung dominieren. Im Mittelpunkt der Unternehmensstrategie steht, die Kenntnisse von Märkten und Kundenbedürfnissen zu erweitern und auszubauen. Forschung und Entwicklung gehören zu den Kernkompetenzen, kurze Entwicklungszyklen und Innovationskraft sind die kritischen Erfolgfaktoren. Diese Unternehmen müssen befähigt sein, ihre Allianzen mit Partnern intelligent zu steuern und geistiges Eigentum wie Patente und Rezepturen (IP-Management) effizient verwalten zu können. Gleichzeitig muss die IT den internen Wissenstransfer gewährleisten (Collaboration Tools), talentierte Mitarbeiter fördern (Human Capital Management) und die Zusammenarbeit mit externen Wissensträgern unterstützen (Knowledge Management). Die Wettbewerbsfähigkeit wird durch vertriebsunterstützende IT - wie etwa CRM-Systemen zur Identifizierung und Nutzung von Geschäftschancen - ebenso erhöht wie durch umfassende Anwendungen für das Portfoliomanagement sowie ERP-Software für die Produktions- und Betriebsmittelsteuerung. Durch Prozessinnovation und -integration wird die Time-to-Market signifikant beschleunigt.
- Hersteller mit einem integrierten, auf Produktions- und Marktsynergien beruhenden Produktangebot: So genannte Portfolio-Master-Unternehmen wollen durch eine permanente Optimierung der Synergien innerhalb ihres Produktportfolios möglichst hohe Wertschöpfung schaffen. Dies zielt eine hohe Dynamik innerhalb des Produktportfolios nach sich, in dem spezifische Chemieprodukte temporär ins Portfolio aufgenommen bzw. wieder abgestoßen werden. Dieses Geschäftsmodell kombiniert die Wettbewerbsvorteile von Spezialchemieunternehmen, Produzenten von Commodities und Innovatoren, um in verschiedenen Marktsegmenten wie der Textil-, Konsumgüter-, Automobil- oder Pharmaindustrie erfolgreich zu sein. Sobald ehemals innovative Produkte oder Geschäftseinheiten zur Commodity-Ware werden und der Produktlebenszyklus keine Wachstumsimpulse mehr bietet, trennt sich das Unternehmen davon und orientiert sich neu. Flexible Infrastrukturen und Geschäftsprozesse sind für diesen Modelltyp ein kritischer Erfolgsfaktor. Dazu sind eine effiziente Orchestrierung der Systemlandschaft sowie eine optimale Zusammenstellung des Geschäftsprozessportfolios zwingend. Ein einheitliches, zentrales Stammdatenmanagement ist eine Kernanforderung an die IT. Für eine flexible Systemintegration muss die Unternehmens-IT verschiedene technische sowie industriespezifische Standards integrieren können. Beim Prozessmanagement muss die IT eine Balance aus Prozessdifferenzierung, Standardisierung und Konsolidierung unterstützen, um Prozessintegration, IT-Konsolidierung genauso wie Outsourcing- und Desinvestitionsstrategien effizient umsetzen zu können.
Die Zukunft heute sichern
Heutige Basischemiehersteller werden sich künftig verstärkt in der Rolle des Commodity-Produzenten oder Portfolio-Masters wiederfinden, während Spezialanbieter als Produktspezialist oder Innovator erfolgreich sein werden. Langfristig haben dann der Portfolio-Master und der Produktinnovator das Potential, die Chemiebranche zu dominieren und die Globalisierungs- und Markteffekte am umfassendsten zu antizipieren.
Eine Grundvoraussetzung hierfür ist die Adaptionsfähigkeit der verschiedenen Business-Modelle, und dies ist nur mit einer flexiblen IT-Infrastruktur möglich. Erste Schritte sind bereits heute mit der fortschreitenden Standardisierung von IT-Infrastrukturen und Softwareplattformen vollzogen. Diese leisten auch einen wichtigen Beitrag zur Kostenreduktion des IT-Betriebs und zur beschleunigten Anpassung an veränderte Anforderungen. Idealerweise werden 70 bis 80% der IT-Anforderungen durch Standardsoftware abgedeckt, der Rest wird individuell angepasst und bei Bedarf verändert.
Eine flexible IT-Lösung ist somit ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Geschäftsmodelle der Zukunft, für M&A-Projekte, der Umsetzung von Desinvestitionsstrategien, der Integration neuer Produktportfolios und einer unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit. Mit dem Einsatz durchgängiger Softwareplattformen sichern sich Chemieunternehmen schon heute ihre Wettbewerbsfähigkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette.