Strategie & Management

Am Ball bleiben

Neue Technologien eröffnen neue Energieeffizienzpotentiale

29.01.2010 -

Die Energieeffizienz in der chemischen Produktion ist seit 1990 kontinuierlich gestiegen. Emissionshandel, EU-Richtlinien und nicht zuletzt die bei anziehender Wirtschaft zu erwartenden Energiepreissteigerungen machen jedoch weitere Anstrengungen nötig, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Neue Technologien bieten Möglichkeiten, die Energieeffizienz in Chemieunternehmen weiter zu erhöhen, u. a. bei Komponenten, Prozesssteuerung und Prozessdesign.

Die Politik hat wesentliche Instrumente entwickelt, die den Prozess der Effizienzverbesserung und der Verminderung der Treibhausgasemissionen begleiten sollen. Hierzu gehören der EU-Emissionshandel, der den Einsatz fossiler Energien zunehmend mit CO2-Kosten belastet, und die Ökodesignrichtlinie 2005/32/EG der Europäischen Union, welche Minimumstandards für eine große Gruppe von Elektroanwendung setzt, u. a. für viele elektrische Nebenaggregate wie Elektromotoren, Pumpen und Ventilatoren. Die europäische Richtlinie 2006/32/EG zur Verbesserung der Energieeffizienz zielt ebenfalls darauf ab, Programme zur Verbesserung von Nebenaggregaten ins Leben zu rufen. Daneben unterstützen auch nationale Maßnahmen im Rahmen der Nationalen Klimainitiative in Deutschland die Steigerung der Energieeffizienz, z. B. bei Kühlprozessen oder bei Nebenaggregaten.

Produktion und Energieverbrauch entkoppelt

Die Preise für fossile Energien halten sich trotz einer massiven Wirtschaftskrise bei Werten um 70 US-$ je Barrel Rohöl. Dies ist ein Warnzeichen, dass bei Wiederanziehen der Wirtschaft die Energiepreise das Wachstum schnell begrenzen könnten. Die chemische Industrie ist durch ihren hohen Energiekostenanteil diesen Entwicklungen besonders ausgesetzt - er beträgt laut Statistischem Bundesamt 3,4 % des Bruttoproduktionswertes im Vergleich zu 1,8 % im Durchschnitt der Indus-trie. Die teilweise langen Investitionszyklen erfordern von Chemieunternehmen, vorausschauend auf diese Entwicklungen zu reagieren. Eine Chance liegt hierbei in der hohen Forschungs- und Entwicklungsquote der chemischen Industrie. Sie beträgt 3,7 % des Umsatzes und zeigt die Bereitschaft, neue Herausforderungen in der Forschung anzugehen.
Die Energieeffizienz in der deutschen Chemischen Industrie hat seit den 90er Jahren kontinuierlich zugenommen, wie eine Studie der Universität Utrecht zusammen mit dem Fraunhofer ISI im Auftrag des Statistischen Bundesamts zeigt. Während die physische Produktion des Chemiesektors zwischen 1990 und 2003 erheblich gestiegen ist, nämlich um jährlich 2,3 bis 3,8 %, ist der Endenergiebedarf von 183 TWh 1990 auf 125 TWh in 2003 zurückgegangen. Dividiert man den Endenergiebedarf durch die physische Produktion, so ergeben sich für den Zeitraum von 1995 bis 2003 für unterschiedliche Chemiesparten durchschnittliche Energieeffizienzsteigerungen von 3,7 % bis 5,1 % pro Jahr. Bezogen auf den Produktionswert ergeben sich von 1995 bis 2003 Einsparungen von ca. 1,2 %.

Nicht nur CO2 betrachten

Energieeinsparungen tragen direkt zur Treibhausgasreduktion bei. Gerade in der chemischen Industrie spielen aber auch andere Emissionen eine Rolle. Lachgas beispielsweis hat ein 310-mal so großes Treibhausgas-potential wie Kohlendioxid. Nach--Abschätzungen des Fraunhofer ISI betragen die N2O-Emissionen der Salpetersäureproduktion jährlich ca. 40 Mio. t und stellen damit etwa 20 % der gesamten Treibhausgasemissionen der europäischen Chemie. Hier scheint es zukünftig nötig, neben den Energieeinsparungen auch immer die Treibhausgasemissionen mit zu betrachten. Das gilt sowohl seitens der Betreiber als auch seitens des Anlagenbaus.
Ein positives Beispiel ist der von Bayer entwickelte Climate Check, mit dem bis Ende 2009 über 100 Betriebe aus den weltweiten Standorten aller Bayer-Teilkonzerne systematisch und detailliert auf die Reduktion des Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen überprüft werden. Dies entspricht ungefähr 85 % der CO2-Emissionen aller Produktionsprozesse von Bayer. Auch Produktionsstätten anderer Unternehmen werden überprüft.

Zwei Hebel für den Klimaschutz

In dem Verfahren wird den globalen Herausforderungen im Klimaschutz auf zwei Ebenen begegnet. Zum einen werden die klimarelevanten Auswirkungen der Herstellungsprozesse aufgezeigt, wie z. B. die genannten Lachgasemissionen bei der Salpetersäureherstellung. Zum anderen werden alle Maßnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs sowie der CO2-Emis-sionen systematisch und umfassend identifiziert. Dies gilt für Energieträger wie auch für Rohmaterialien und Hilfsstoffe. Neben dem Produktionsprozess selbst werden die Energieerzeugungs- und Nebenanlagen und die Gebäudetechnik betrachtet.
Der erste Schritt hin zu energieeffizienten Anlagen ist die detaillierte Bestandsaufnahme des aktuellen Energiebrauchs des gesamten Pro-duktionsbetriebes mit dem Ziel, die einzelnen Hauptverbraucher zu identifizieren. Die weiteren Verbesserungsmaßnahmen umfassen im Wesentlichen drei Gruppen:
Komponenten und Apparate, die große Mengen Energie verbrauchen, sind z. B. Pumpen, Verdichter, Fördereinrichtungen, Motoren oder Wärmetauscher. Durch den Einsatz moderner drehzahlgeregelter Antriebe anstelle von drosselgeregelten Pumpen lassen sich bis zu 50 % Energie einsparen. Kühler mit geregelten Durchflussraten vermindern den Kühlmittelverbrauch.
Fahrparameter und Prozessregelung: Hierzu gehört beispielsweise die Optimierung von Destillationskolonnen mit oftmals zu großen und konstanten Rücklaufmengen durch eine Regelung, die durchsatzabhängige und damit geringere Rücklaufmengen ermöglicht. Auch zu groß gewählte Rohstoffüberschüsse und Lösungsmittelmengen, die energieintensiv aufgearbeitet werden müssen, können durch geschickte Prozessführungsstrategien vermieden werden.
Das Prozessdesign ermöglicht Einsparungen z. B. durch den Einsatz von Mikrotechnik oder Maßnahmen zur Prozessintensivierung. Potentia-le durch Energieintegration in kontinuierlich arbeitenden Anlagen lassen sich mithilfe der Pinch-Methode, einem thermodynamischen Analyse- und Auswertungsverfahren, identifizieren. Die Verwendung ungenutzter Abwärmeströme, sei es durch die Erzeugung von Kälte mithilfe von Adsorptionskältemaschinen oder durch das Vorheizen von Prozessströmen, eröffnet weitere Einsparoptionen. Eine immer größere Bedeutung kommt dabei auch der optimalen Integration von Energieerzeugern und -verbrauchern in Verbundstandorten zu.

Im Energy Efficiency Check von Bayer werden alle identifizierten Maßnahmen hinsichtlich ihres energetischen und wirtschaftlichen Einsparpotentials bewertet und auf ihre technische Machbarkeit hin überprüft. Bei den bisher realisierten Projekten ergaben sich im Mittel wirtschaftliche CO2-Einsparpotentiale von 5 bis 20 %.

Potentiale sind noch nicht ausgeschöpft

Kritiker meinen, dass die Potentiale für eine effizientere Nutzung von Energie und Material in der Industrie weitgehend ausgeschöpft seien. Es zeigt sich jedoch, dass die rentablen Potentiale bei den energieintensiven Prozessen in der Chemieindustrie im Mittel bei 5 bis 20 % liegen. In manchen Prozessen der energieintensiven Industrie können sogar noch höhere Einsparungen erzielt werden. Mittelfristig sind weitere Einsparungen durch Prozessintensivierung, Mikrotechnik, optimierte Katalyse oder verbesserten Wärmetausch erzielbar. Langfristig ergeben sich neue Möglichkeiten durch
Prozesssubstitution, z. B. Nutzung der Membrantechnik anstelle von thermischen Trennverfahren,
Reaktionssubstitution wie etwa die lösungsmittelarme Reaktionsführung in der Gasphase,
Materialsubstitution, wenn z. B. Keramik anstelle von Stahlwerkstoffen eingesetzt wird.

Lerneffekte und Massenproduktion der neuen technischen Lösungen werden die Kosten der Effizienztechnologien auch in Zukunft erheblich senken.

 

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