Evonik zieht Schiffen Tarnkappen an
Neue Beschichtung soll Schiffe für Kleinstlebewesen unsichtbar machen
Weltwirtschaft und Weltklima sollen davon profitieren: Evonik will Schiffsrümpfe für Mikroorganismen unsichtbar machen – und auf diese Weise vor Schleim, Algen und Muscheln schützen. Der Biofouling genannte Bewuchs treibt in der Schifffahrt den Kraftstoffverbrauch und damit auch die Emission von CO2 auf den Weltmeeren in die Höhe. Die International Maritime Organization schätzt, dass Biofouling jährlich Kosten im Milliarden-Dollar-Bereich verursacht. Evonik arbeitet an einer Lösung des Problems durch neue umweltfreundliche Lacke, die dem Bewuchs entgegenwirken. Die kleinen Organismen bekommen dabei vom Lack vorgegaukelt, dass sie keinen Schiffsrumpf, sondern bloß Wasser vor sich haben. So versuchen sie häufig erst gar nicht, sich am Rumpf niederzulassen.
Biofouling macht Reedereien seit Langem weltweit zu schaffen: Organismen siedeln sich an Schiffswänden an und verwandeln die glatten Oberflächen in eine raue und zerklüftete Hülle. Dies erhöht im Wasser den Reibungswiderstand – der Bewuchs bremst die Schiffe. Dadurch benötigen sie mehr Energie, um ihre Fahrtgeschwindigkeit zu halten – schlecht für die Tankrechnung und die Umwelt. Beim globalen Gütertransport hat das Meer einen Anteil von rund 90%.
„Biofouling ist eines der letzten ungelösten Probleme der Lackindustrie. Bisher wurde die optimale Lösung für effiziente und zugleich umweltfreundliche Schiffsanstriche noch nicht gefunden. Daher sind Antifouling-Lacke eines der Kernthemen unseres neuen Kompetenzzentrums ‚Smart Surface Solutions‘“, erklärt Stefan Silber, Leiter des Innovationsmanagements Coating Additives aus dem Segment Resource Efficiency von Evonik. Dort dreht sich die Arbeit der Experten nicht allein um Schiffslacke, sondern auch um Themen wie Vereisungsschutz, antimikrobielle Beschichtungen oder schmutzabweisende Oberflächen.
Um den biologischen Bewuchs auf Schiffsrümpfen abzuwehren, nutzen die Wissenschaftler von Evonik für den neuen Anstrich einen Trick: Sie kombinieren für den Lack ein wasserabweisendes (hydrophobes) Silikon mit einem wasserliebenden (hydrophilen) Polymer. So entstehen amphiphile Polymere – das heißt, wasserliebende und wasserabweisende Bereiche wechseln sich ab. Die wasserliebenden Bereiche ziehen das Wasser um den Schiffsrumpf an. Dadurch bildet sich eine Art Wasserhülle um die Polymere – und die tarnt den Rumpf vor den Organismen. Der Wechsel mit den wasserabweisenden Bereichen verwirrt die Kleinstlebewesen zusätzlich. Sie erkennen die Oberfläche nicht mehr zweifelsfrei, können den Schiffsrumpf nicht mehr eindeutig vom Meerwasser unterscheiden. In dieser Unsicherheit bleiben sie dem Rumpf meist fern.
Falls die Mikroorganismen es dennoch probieren, soll sich eine zweite Abwehreigenschaft des hydrophoben Bereichs auszahlen: die Antihaftwirkung. Diese resultiert aus der Grundlage für die neue Lösung gegen Biofouling, dem Silikon-Hybridharz Silikopon EF aus dem Portfolio von Evonik. Sie erschwert die Ansiedlung der Organismen am Schiffsrumpf von Anfang an. Das liegt an der sehr geringen Oberflächenspannung und der extrem glatten Oberfläche des Silikons, die zu sogenannten Easy-to-clean-Eigenschaften führen. Die wenigen Organismen, denen es gelingt, am Schiffsrumpf anzuhaften, soll der Wasserstrom schon bei geringer Fahrtgeschwindigkeit wieder ablösen.
„Wir nutzen damit ein bewährtes Produkt auf neue Weise und erweitern zugleich die Expertise. So gelingt es uns, neue Lösungen für Lacke zu entwickeln, die Schiffe vor Bewuchs schützen – und zwar ohne die Organismen direkt anzugreifen“, sagt Silber.
Bei der Entwicklung ihrer Innovation sind die Forscher auf einem guten Weg: Feldtests unter Realbedingungen haben die grundsätzliche Wirksamkeit der neuen Hybridsysteme bereits bewiesen. Nun arbeiten die Forscher gemeinsam mit Kunden aus der Lackindustrie an darauf basierenden Beschichtungen.
Sie sind zuversichtlich, dass sie künftig auch die Zeitspanne zwischen zwei Neubeschichtungen erweitern können. Damit wären Reedereien in der Lage, neben den negativen Auswirkungen des Biofoulings wie höherem Kraftstoffverbrauch auch die Kosten für die Instandsetzung zu reduzieren.