Transformation als Chance begreifen
Wirtschaft und Politik müssen gemeinsam den Rohstoffwandel der Chemieindustrie vorantreiben
Das Nova-Institut treibt seit 30 Jahren die Abkehr der Chemie-, Kunststoff- und Materialindustrien von fossilen Ressourcen voran. Mit umfangreichen Forschungs- und Beratungsleistungen zu Technologien, Märkten und Ökobilanzen für Unternehmen, NGOs und politische Entscheidungsträger hat das Institut zahlreiche Studien und Grafiken zu erneuerbarem Kohlenstoff und Defossilisierung erstellt. Zum 1. März 2025 hat Lars Börger als neuer CEO beim Nova-Institut begonnen. Gemeinsam mit Michael Carus, dem Gründer und derzeitigen CEO, wird er den nachhaltigen Wandel in der Chemie- und Materialindustrie aktiv mitgestalten. CHEManager befragte ihn zu seiner Motivation und zur Transformation der Branche.
CHEManager: Herr Börger, der Chemiesektor steht am Beginn einer neuen Phase mit großen Herausforderungen. Es gilt, den Rohstoffwandel voranzutreiben. Was hat Sie bewogen, zum jetzigen Zeitpunkt aus der Industrie in ein Forschungs- und Beratungsinstitut zu wechseln?
Lars Börger: Der Kern meiner beruflichen Passion ist die Transformation der Chemie- und Materialindustrie hin zu einer fossilfreien, nachhaltigen Zukunft, in der sie wieder den richtigen Stellenwert als essenzieller Problemlöser der großen Themen unserer Zeit einnimmt, und nicht als Teil des Problems angesehen wird.
Während meiner Zeit in der Industrie konnte ich zu allen Aspekten der Entwicklung und Vermarktung nachhaltiger Produkte und Geschäftsmodelle erfolgreich beitragen, sei es bei Neste, BASF oder auch anderswo. Immer wieder gab es dabei Diskussionen zu den Rahmenbedingungen, die teils die gute, richtige und vor allem bereits vorhandene Lösung nicht nur nicht gefördert, sondern gar verhindert haben. Daher sehe ich es als logischen nächsten Schritt, unmittelbar an diesen Rahmenbedingungen zu arbeiten – und das auf strikt wissenschaftlicher Basis. Etwas lax ausgedrückt: Meinungen gibt es bereits genug. Ich habe in den letzten Jahren oft erlebt, wie wichtig eine unabhängige, wissenschaftlich fundierte Basis für nachhaltige Entscheidungen ist, egal ob bei Marktanalysen, Reports oder beim Technologie-Scouting. Die Kombination aus klarem Verständnis der wissenschaftlichen Basis, dem Verständnis der Märkte und Technologien und fundierten Ideen für die praktische Umsetzung ist es, was den Schritt zu Nova logisch machte.
„Diese Transformation stellt eine
unglaublich gewaltige Chance für die
Industrie dar, gerade in Europa.“
Sie haben langjährige Erfahrung in der freien Wirtschaft. Wie viele Berührungspunkte hatten Sie zu den Themenfeldern, mit denen Sie sich jetzt beim Nova-Institut beschäftigen?
L. Börger: Die Berührungspunkte sind vielfältig und ich habe seit mehr als einem Jahrzehnt mit dem Nova-Institut direkt zusammengearbeitet. So war ich auch eines der Gründungsmitglieder der Renewable Carbon Initiative, kurz: RCI. Immer wieder haben wir aus der Industrie den Dialog mit dem Nova-Institut gesucht und auch umgekehrt den Input gegeben, um sicherzustellen, dass die ökonomische Perspektive berücksichtigt wird. Unternehmen brauchen nicht nur Zahlen und Trends, sondern konkrete Handlungsmöglichkeiten – und genau hier sehe ich großes Potenzial, meine Erfahrung aus der Industrie einzubringen. Defossilisierung und Kreislaufwirtschaft können nur mit allen Partnern und Stakeholdern gemeinsam gedacht werden. Alle Aspekte, die das Nova-Institut abdeckt, von Nachhaltigkeitsbewertung, Politikberatung, Technologie- und Markteinschätzung bis zum richtigen Marketing sind eben auch für die Industrie hochrelevant.
Alternativen für fossile Rohstoffe auf Basis von Biomasse, CO2-Nutzung und Recycling stehen zur Verfügung. Und das Nova-Institut hat in den letzten 30 Jahren eine wichtige Rolle bei der Transformation der Chemikalien und Materialien erzeugenden Industrien hinsichtlich der Rohstoffbasis gespielt. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein, in welcher Phase der Transformation befinden sich diese Branchen?
„Es geht darum, fossilfrei zu werden – die notwendigen
Technologien sind vorhanden und sollten nicht
gegeneinander ausgespielt werden."
L. Börger: Global zeigt sich ein sehr gemischtes Bild. Angesichts der politischen Krisen scheint auf der einen Seite der Fokus weniger auf dem Klimawandel zu liegen. Damit geht nachgeordnet auch die Transformation der Material- und Chemieindustrie einher. Andererseits sind Konzepte, wie Renewable Carbon oder Begriffe wie Defossilierung und Dekarbonisierung etabliert und damit so einflussreich wie nie zuvor. Viele Diskussionen zur prinzipiellen Notwendigkeit der nachhaltigen Veränderung müssen wir heute dankenswerter Weise nicht mehr führen. Es scheint erkannt worden zu sein, dass diese Transformation eine unglaublich gewaltige Chance für die Industrie darstellt, gerade in Europa. Insgesamt bin ich daher sehr optimistisch, dass wir in die entscheidende Phase der Transformation eintreten und freue mich sehr, im Nova-Team dies mitgestalten zu können.
Was ist außer den biobasierten Rohstoffen und den zu ihrer Verarbeitung geeigneten Technologien notwendig, um den Wandel hin zu einer fossilfreien Zukunft schneller voranzutreiben?
L. Börger: Zunächst geht es darum, die fossilfreie Zukunft als gemeinsames Ziel zu etablieren. Materialien sind der Sektor, der aus rein physikalischen Gründen nicht auf Kohlenstoff verzichten kann. Schließlich basieren eine Mehrzahl der Materialien, die wir nutzen, die uns umgeben und letztlich auch wir selbst aus Kohlenstoff. Es geht also darum, den richtigen Kohlenstoff zu nutzen. Dafür bedarf es zweier Elemente: Erstens die Verlängerung der Zyklen der Nutzung von Kohlenstoffen, also bestmögliches und wiederholtes Recycling und zweitens die Einspeisung aus erneuerbaren, nachhaltigen Kohlenstoffquellen. Dies beinhaltet biobasierte Rohstoffe und auch die Nutzung von CCU-Technologien. Man kann sagen, dass es da einen konstruktiven Wettkampf gibt, ob die Natur oder der Mensch besser CO2 in verwertbare Rohstoffe verwandeln kann. Die Antwort kennen wir aber bereits: Beides sind Gewinnertechnologien.
Wie kann ein geeigneter politischer Rahmen geschaffen werden, der Unternehmen eine nachhaltige Transformation ermöglicht und gleichzeitig ihre Wettbewerbsfähigkeit sichert?
L. Börger: Es gibt mehrere Kernpunkte eines solchen Rahmens. Dazu gehören zum einen eine wissenschaftlich fundierte und transparente Bepreisung fossilen Kohlenstoffs, zum anderen die Förderung von Renewable Carbon, also Kohlenstoff, der entweder aus Recycling, CCU oder Biomasse stammt. Es geht darum, fossilfrei zu werden – die notwendigen Technologien sind vorhanden und sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Zudem muss es eine zuverlässige Gleichbehandlung aller Industrien geben, die auf Kohlenstoffe angewiesen sind, denn Investitionen in der chemischen Industrie werden auf lange Sicht getätigt. Unsicherheiten bezüglich der Rahmenbedingungen sind da tödlich. Genau hier kann Europa sich global an die Spitze setzen.
Welche Rolle können Markenhersteller spielen, um die Nachfrage nach biobasierten oder zirkulären Produkten zu steigern?
L. Börger: Markenartikler sind zentrale Akteure innerhalb der Wertschöpfungsketten. Zahllose Umfragen belegen, dass Konsumenten die Lösung von Problemen bezüglich der Nachhaltigkeit von Produkten zum einen vom Gesetzgeber erwarten, aber zu einem sehr großen Teil eben auch von Ihren Markenartiklern. Sie wollen den Marken vertrauen und darauf bauen, dass sie sich darum kümmern. Damit haben Markenartikler eine absolut zentrale Rolle – und bedürfen der Unterstützung. Vor allem hierbei möchte ich nun auch mit dem Nova-Institut vorangehen und mit meiner Expertise dabei helfen, dass Verbraucher ihren Marken noch mehr Vertrauen schenken können.
__________________________________________________________________________________________________________________________
Zur Person
Lars Börger ist promovierter Chemiker und hat einen Executive Master in General Management. Er war 17 Jahre bei der BASF tätig, davon viele Jahre als Leiter des globalen Marketings für Biopolymere. Weitere sieben Jahre war er bei Neste als Vizepräsident für den Bereich erneuerbare Polymere und Chemikalien tätig. Er vertrat Neste im Gründungsprozess der Renewable Carbon Initiative (RCI) und war mehrere Jahre im Board der RCI sowie Vorstandsmitglied von European Bioplastics. Seit dem 1. März ist er Co-CEO beim Nova-Institut.
__________________________________________________________________________________________________________________________
Downloads
Kontakt
Nova-Institut GmbH
Leyboldstraße 16
50354 Hürth
Deutschland
+49 (0) 2233 460 14 00
+49 (0) 2233 460 14 01