Herausforderungen und Chancen für die chemische Industrie in Österreich
Die Zukunft der chemischen Industrie in Österreich hängt von einem Zusammenspiel vieler Akteure ab
Nach einem schwachen Jahr 2023, in dem die chemische Industrie einen Produktionsrückgang von über 10 % verzeichnete, bleibt die Lage weiterhin angespannt. Die bisherigen Entwicklungen im Jahr 2024 deuten darauf hin, dass der Produktionswert die Talsohle erreicht haben könnte. Allerdings ist der Auftragseingang nach wie vor verhalten, weshalb eine Trendwende noch nicht absehbar ist – insbesondere, da sich auch beim wichtigsten Handelspartner Deutschland bislang keine eindeutige konjunkturelle Erholung abzeichnet. Zwar sind die Energiepreise mittlerweile gesunken, doch sie liegen weiterhin deutlich über dem Niveau vor der Coronapandemie und dem Krieg in der Ukraine.
Hinzu kommt die Unsicherheit durch potenzielle Lieferprobleme, etwa durch das Auslaufen der Transitverträge mit der Ukraine oder rechtliche Entscheidungen, die zusätzliche Risiken für die Branche darstellen. Entscheidend für die wirtschaftliche Zukunft ist, wie Investitionen in Green-Deal-Anwendungen finanziert werden können. Die politischen Weichen dafür müssen jetzt gestellt werden, damit die chemische Industrie ihre Innovationskraft einbringen kann. Momentan verschwendet sie wertvolle Ressourcen mit dem Ausfüllen von Formularen, anstatt sich voll und ganz mit zukunftsträchtigen Innovationen zu beschäftigen.
Die Herausforderungen der Transformation
Die chemische Industrie Österreichs hat sich immer positiv zum Green Deal geäußert, aber gleichzeitig darauf hingewiesen, dass die Transformation nur von wettbewerbsfähigen Unternehmen gestaltet werden kann und diese einen Business Case brauchen. Doch die überbordende Bürokratie, die mit den zahlreichen Gesetzen auf die Industrie zugerollt ist, sucht weltweit vergeblich ihresgleichen. Kein Wunder, dass Investitionen zunehmend in den USA und Asien getätigt werden. Ob mit dem Clean Industrial Deal die gewünschten Verbesserungen folgen werden, lässt sich erst beurteilen, wenn einmal den Worten Taten folgen und das Mehr an Wettbewerbsfähigkeit nicht mit einem Mehr an Regulatorien einhergeht. Die Antwerpen Declaration hat jedenfalls ein Handlungsportfolio vorgelegt, mit dem Europa zum globalen Vorreiter für nachhaltige Produkte und Innovation gemacht werden könnte, indem die Rohstoffsicherheit gestärkt und ein effizienter Rechtsrahmen etabliert wird, der Investitionen fördert.
Transatlantische Beziehungen als Schlüssel für wirtschaftlichen Erfolg
Während auf europäischer Ebene dringend Maßnahmen erforderlich sind, um die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu stärken, richtet sich der besorgte Blick auch auf internationale Entwicklungen, die maßgeblichen Einfluss auf den globalen Handel haben: Die Wiederwahl von Donald Trump wirft für die internationale Wirtschaft und insbesondere für die chemische Industrie einige Fragen auf. Dennoch bleibt die Hoffnung bestehen, dass die transatlantischen Beziehungen weiterhin Bestand haben, denn die USA sind ein entscheidender Handelspartner für Österreich und Europa. In den vergangenen vier Jahren haben sich die Ausfuhren aus Österreich in die Vereinigten Staaten verdoppelt, was die Bedeutung dieses Marktes unterstreicht. Österreich verzeichnet sogar eine deutlich positive Handelsbilanz mit den USA, was im internationalen Vergleich keine Selbstverständlichkeit ist. Viele österreichische und europäische Chemieunternehmen betreiben erfolgreich Niederlassungen in den Vereinigten Staaten. Eine stabile wirtschaftspolitische Zusammenarbeit ist daher essenziell, um die Handelsbeziehungen zu stärken und eine gemeinsame Innovationskraft für globale Herausforderungen zu entwickeln.
Eine Branche mit großer Bedeutung für Österreich
Die chemische Industrie ist in Österreich eine tragende Säule der Wirtschaft. Mit etwa 50.000 direkt Beschäftigten und weiteren Zehntausenden Arbeitsplätzen entlang der Wertschöpfungskette zählt sie zu den größten industriellen Arbeitgebern. Chemische Produkte finden sich in nahezu allen Lebensbereichen – von der Energieökonomie über die Pharmaindustrie bis hin zur Bau- und Automobilbranche.
„Die chemische Industrie
ist in Österreich eine tragende Säule der Wirtschaft.“
Diese Vielfältigkeit macht die Branche krisensicher, aber auch besonders anfällig für globale Umwälzungen.
Doch trotz aller Herausforderungen gibt es Bereiche, in denen die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft – auch von Unternehmensseite – gestellt werden können, etwa in der Nachwuchsförderung. Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben und sich im internationalen Umfeld zu behaupten, muss die Branche junge Talente gezielt ansprechen und fördern. Denn der Schlüssel zu Innovation und Fortschritt liegt in einer starken Verbindung zwischen Wirtschaft und Bildung. Bereits heute berichten Unternehmen von Schwierigkeiten, offene Stellen mit qualifiziertem Personal zu besetzen, was den Handlungsbedarf weiter verstärkt.
Bildung als Schlüssel zur Sicherung der Zukunft
Ein zentraler Hebel, um diesen Herausforderungen zu begegnen, ist die Investition in Bildung und Nachwuchsförderung. Bereits in der Schule muss das Interesse für Naturwissenschaften geweckt werden. Das Experimentieren und selbstständige Erforschen stellen hier einen Schlüssel für die Begeisterung für Chemie dar. Durch aktives Handeln statt passivem Zuhören können junge Menschen die Relevanz der Inhalte direkt erleben, und ihre natürliche Neugierde für Naturphänomene wird geweckt.
Der Fachverband der chemischen Industrie Österreichs fördert das Experimentieren mit Schülern auf vielfältige Weise. So stehen Volksschulen Experimentiersets zur Verfügung, die mit haushaltsüblichen Materialien genutzt werden können, ergänzt durch eine Schulung der Lehrkräfte. Zudem sponsert der Fachverband Österreichs größten naturwissenschaftlichen Wettbewerb, bei dem teilnehmende Schulen experimentelle Projekte umsetzen und Materialien als Unterstützung erhalten.
„Der Schlüssel zu Innovation
und Fortschritt liegt in einer starken Verbindung
zwischen Wirtschaft und Bildung.“
Ein zentrales Element der Nachwuchsförderung ist das CHEMfluencer-Projekt. Junge Mitarbeitende aus der Branche besuchen Schulklassen, um Schülern im Alter von 12 bis 14 Jahren die Welt der Chemie näherzubringen. Sie berichten von ihrem Beruf, stellen ihre Unternehmen vor und führen gemeinsam Experimente durch, die Theorie und Praxis verbinden. Im letzten Jahr besuchten CHEMfluencer über 60 Klassen, wobei die Resonanz durchweg positiv ausfiel. Diese Initiative zeigt, wie praxisnahe Bildung Begeisterung weckt und junge Talente gezielt anspricht.
Fazit: Zukunft gestalten – gemeinsam handeln
Die chemische Industrie in Österreich steht vor komplexen Herausforderungen, von globalen Marktschwankungen über regulatorische Hürden bis hin zum Fachkräftemangel. Dennoch zeigt sich, dass eine Kombination aus politischer Unterstützung, innovativer Unternehmensführung und einer starken Bildungsinitiative den Weg in eine wettbewerbsfähige Zukunft ebnen kann. Projekte wie der Clean Industrial Deal oder die Antwerpen Declaration verdeutlichen, wie wichtig internationale und europäische Kooperationen für die Transformation der Industrie sind. Gleichzeitig sind Maßnahmen auf nationaler Ebene, wie die Nachwuchsförderung durch Projekte wie die CHEMfluencer, essenziell, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.
Die Zukunft der chemischen Industrie hängt von einem Zusammenspiel vieler Akteure ab: Nur wenn Politik, Wirtschaft und Bildungseinrichtungen an einem Strang ziehen, kann Österreichs chemische Industrie weiterhin als Innovationsmotor, Arbeitgeber und Garant für Nachhaltigkeit glänzen. Es liegt in unserer Hand, diese Weichen zu stellen – für eine Industrie, die Fortschritt, Stabilität und Wohlstand auch in den kommenden Jahrzehnten sichert.
Hubert Culik, Obmann, Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO), Wien, Österreich
ZUR PERSON
Hubert Culik, ist Obmann des Fachverbands der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO). Der Managing Director von Kansai Helios Austria und Executive Officer bei Kansai Helios Coatings ist seit 1965 in unterschiedlichen Positionen in der Lackindustrie in Wien tätig. Culik ist zudem u. a. Präsident des Österreichischen Forschungsinstituts für Chemie und Technik und Vorsitzender der Berufsgruppe Lack- und Anstrichmittelindustrie im FCIO.
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