Märkte & Unternehmen

Österreich: Nachhaltigkeit ist mehr als ein Lippenbekenntnis

Chemische Industrie Österreichs als treibende Kraft für Klima- und Umweltschutz

25.01.2022 - Interview mit Hubert Culik, Obmann des Fachverbands der Chemischen Industrie Österreichs

Der Fachverband der Chemischen Industrie Österreich (FCIO) vertritt von der Bauchemie über die Kunststoff-, Kosmetik- oder Reinigungsmittelbranche bis hin zur Pharmabranche sämtliche Industriezweige. Neben der Covid-19-Pandemie war in den letzten beiden Jahren vor allem der EU Green Deal, der sich in fast allen Arbeitsbereichen mit Klima-, Umwelt- und Energiethemen, im Chemikalienrecht und auch der Forschung wiederfand, ein Arbeitsschwerpunkt des österreichischen Chemieverbands. Birgit Megges und Michael Reubold befragten FCIO-Obmann Hubert Culik zu den aktuellen Entwicklungen und Trends und zur Innovationskraft der österreichischen Unternehmen.

CHEManager: Wie hat sich die chemische Industrie in Österreich im letzten Jahr, das wie überall von der Coronakrise überschattet war, entwickelt?

Hubert Culik: Die chemische Indus­trie hat mittlerweile das Vorkrisenniveau übertroffen und ein Großteil der Firmen ist, was die Auftragslage betrifft, auch für die nächsten Monate vorsichtig optimistisch. Bei den Umsätzen hatten wir 2021 ein zweistelliges Wachstum. Die positive Entwicklung durch das Anspringen der Nachfrage – sowohl international als auch auf den heimischen Märkten – führte aber gleichzeitig dazu, dass die Rohstoffverfügbarkeit ebenso wie Engpässe in Transport und Logistik immer größer werdende Herausforderungen darstellen und das Wachstum dämpfen. Die Preise für Vorprodukte sind durch teurere Rohstoffe und Lieferengpässe mittlerweile stark angestiegen und auch die derzeit hohen Energiekosten führen zu Verteuerungen in der Produktion. Dort wo diese Anstiege nicht weitergegeben werden können, entsteht großer wirtschaftlicher Druck auf die Firmen. Als weiterer limitierender Faktor wird von einigen Unternehmen der Fachkräftemangel genannt.

„Die chemische Industrie ist eine innovationsfreudige
Branche mit hoher Lösungskompetenz.“

Gerade der pharmazeutische Zweig konnte von der Pandemie profitieren, und Firmen wie beispielsweise Boehringer Ingelheim und Takeda tätigen derzeit große Investitionen in Standorte in Wien. Wie wichtig sind solche Entscheidungen für das Land Österreich?

H. Culik: Die Coronapandemie hat gezeigt, wie überlebenswichtig moderne, gut vernetzte Medikamentenforschung ist. Der Aufbau neuer Standorte zur Entwicklung neuer Arzneimittel wird Österreichs Rolle im internationalen Zusammenspiel pharmakologischer Forschung stärken und den Zugang der Bevölkerung zu innovativer Spitzenmedizin verbessern. Um den Standort Österreich auch für weitere, zukünftige Investitionen attraktiv zu halten, müssen noch einige Herausforderungen bei gesetzlichen Rahmenbedingungen gemeistert werden. Insbesondere seltene Krankheiten bedürfen dabei einer besonderen Aufmerksamkeit. Anreizsysteme in diesem Bereich müssen noch treffsicherer gestaltet und dürfen keinesfalls abgebaut werden. Zudem braucht es die Schaffung moderner Zugänge und Vernetzung zur Nutzung von Gesundheitsdaten für die Forschung, mehr Anreize für klinische Studien, einen raschen Zugang für Patienten zu neuen Therapien sowie ein klares Bekenntnis zum Patentschutz. Der Schutz geistigen Eigentums ist ein maßgeblicher Anreiz für die Entwicklung lebensrettender Medikamente. Jede Aufweichung des Patentschutzes für Arzneimittel, wie er aktuell von einigen Proponenten mit Blick auf Impfstoffe gefordert wird, würde sich sehr negativ auf die Fähigkeit der pharmazeutischen Industrie gerade in Österreich und Europa auswirken, neue Arzneimittel und Therapien gegen lebensbedrohliche Krankheiten zu entwickeln und so jegliche Anreize für Standortinvestitionen der Branche konterkarieren.

Alle Industriezweige suchen derzeit Wege zu mehr Nachhaltigkeit und zur Klimaneutralität. Was kann die Chemieindustrie in Österreich für sich selbst und für die Gesellschaft dazu beitragen?

H. Culik: Die chemische Industrie arbeitet täglich an der Umsetzung der Klimapolitik. Durch langjährige Forschung sind die Unternehmen in vielen Bereichen Vorreiter bei der Entwicklung von nachhaltigen Lösungen. Ihre Produkte ermöglichen fast alle Green Deal-Technologien wie Solarenergie, Batterien, Windturbinen und Wasserstoff bis hin zu Gebäudeisolierungen und Elektromobilität. Gleichzeitig verursacht deren Produktion in Europa weitaus weniger Emissionen als bei Konkurrenten in Amerika oder Asien, wo der Treibhausgasausstoß zwei- bis dreimal so hoch ist. Erfolgreicher Klimaschutz kann also nur gelingen, wenn die österreichischen und europäischen Unternehmen weiterhin umweltfreundliche Innovationen entwickeln. Wir werden die CO2-Neutralität nur mit bahnbrechenden Technologien erreichen. In Europa gibt es dafür die besten Köpfe und die besten Unternehmen.

„Wir werden die CO2-Neutralität nur mit bahn-
brechenden Technologien erreichen.“

Der ehrgeizige EU Green Deal soll die Dekarbonisierung und die Kreislaufwirtschaft in Europa vorantreiben, stellt die energie- und rohstoffintensive chemische Industrie aber vor Herausforderungen. Welche Energie- und Klimapolitik benötigt Österreich beziehungsweise Europa, damit die Chemie­unternehmen ihre Rolle als En­abler von innovativen, nachhaltigen Technologien auch künftig spielen können?

H. Culik: Eine Studie hat berechnet, dass Österreichs chemische Industrie zuzüglich zu ihrem aktuellen Stromverbrauch mehr als 60 TWh erneuerbaren Strom benötigen würde, wenn sie künftig klimaneutral produzieren will. Eine Folgestudie hierzu wiederum hat ergeben, dass dieser Bedarf halbiert werden kann, wenn die Branche neben der Verwendung von erneuerbarem Wasserstoff und dem Einsatz von biobasierten Produkten auf eine massive Forcierung von Kunststoffrecycling setzt. Da Treibhausgase erst bei der Verbrennung von Kunststoffen emittiert werden, nicht jedoch, wenn diese im Kreislauf geführt werden, könnten in Österreich so jährlich bis 2,4 Mio. t CO2 eingespart werden. Die Unternehmen der Branche arbeiten bereits intensiv an technischen Lösungen für die Transformation. Die Energie- und Klimawende kann nur gelingen, wenn alle Potenziale ausgeschöpft werden. Neben dem Ausbau erneuerbarer Energien und der Förderung von Wasserstofftechnologien braucht es die Kreislaufwirtschaft als dritte große Säule auf dem Weg zur Klimaneutralität. Um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen, benötigen wir dringend die EU-weite Anerkennung von Kunststoffrecycling als Dekarbonisierungsmaßnahme, wenn bei der Produktion auf originäre fossile Rohstoffe verzichtet wird. Ebenso wichtig ist die rechtliche Gleichstellung von chemischem Recycling.

„Die entscheidenden Faktoren für die Erreichung der Klima-
ziele sind nicht Verbote, sondern neue Technologien.“

Die EU hat im Oktober 2020 ihre Chemikalienstrategie vorgestellt und darin weitreichende Reformen angekündigt. Nach Ihrer eigenen Aussage sind für das Erreichen von Nachhaltigkeits- und Klimazielen nicht Verbote, sondern in erster Linie Innovationen zielführend. Welche Innovationen hat die chemische Industrie in Österreich diesbezüglich zu bieten?

H. Culik: Die chemische Industrie ist eine innovationsfreudige Branche mit hoher Lösungskompetenz und bereit, am Schutz für Mensch und Umwelt mitzuarbeiten. Sie hat sich mit ihrer Expertise bereits in der Ausgestaltung der REACh-Gesetzgebung konstruktiv eingebracht. Beschränkungen oder Verbote von Substanzen ergeben nur dort Sinn, wo am Ende der Konsument gefährdet ist. Die Branche selbst hat jahrelange Erfahrung im Umgang mit gefährlichen Stoffen, die eigenen Mitarbeiter sind durch den Arbeitnehmerschutz und hohe innerbetriebliche Standards geschützt. Wenn die Innovationskraft der Branche nur mehr für den Ersatz von verbotenen Chemikalien eingesetzt wird, geht viel von ihrem Beitragspotenzial zur Umsetzung des Green Deals verloren. Die chemische Industrie forscht intensiv an Technologien zur Erreichung der Nachhaltigkeits- und Klimaziele. Chemisches Recycling etwa, bei dem Kunststoffe, die nicht sortenrein gesammelt werden können, wieder in ihre Ausgangsstoffe zerlegt werden und so eine umfassende Kreislaufwirtschaft ermöglichen, kann einen erheblichen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft leisten. Auch die sogenannte CCU-Technologie könnte ein Game Changer werden. Dabei wird Kohlendioxid aus Abgasen wieder eingefangen und in weiteren chemischen Prozessen eingesetzt. Pilotprojekte und Forschung dazu brauchen mehr Unterstützung seitens der Politik. 

Wie beurteilen Sie das Innovationsklima in Österreich generell? Was braucht die Branche, um ihre volle Innovationskraft zu entfalten?

H. Culik: Auf dem Weg zur CO2-Neutralität braucht es mehr Akzeptanz und Offenheit seitens der Politik für potenzielle Breakthrough-Technologien. Die entscheidenden Faktoren für die Erreichung der Klimaziele sind nicht Verbote, sondern die Entwicklung neuer Technologien zur Reduktion von Treibhausgasen, wie die zuvor genannten Beispiele CCU oder chemisches Recycling. Um einen raschen Einsatz von Innovationen zu ermöglichen, braucht es eine Erhöhung der Forschungsförderungen, kürzere Genehmigungsverfahren für Projekte sowie effektive Investitionsanreize für den Einsatz im industriellen Maßstab. 

Kontakt

FCIO Fachverband der Chemischen Industrie

Wiedner Haupstr. 63
1045 Wien
Österreich

+43 (0)5 90900 - 3340

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