Erfolgsmodell bewährt sich in Krisenzeiten
Deutsche Chemieparks sind im Hinblick auf die Transformation für Investoren und Arbeitnehmer attraktiv
Industrieverbände sehen die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts- und Investitionsstandorts gefährdet und schlagen Alarm. Verunsicherung oder gar Angst sind bekanntlich schlechte Ratgeber. Deshalb sind vorteilhaftere Rahmenbedingungen dringend erforderlich – und eine Rückbesinnung auf die Stärken des Standorts.
Deutschland zählt zu den führenden Exportnationen der Welt und belegt derzeit Rang 3 hinter China und den USA. Zu den Exportschlagern gehören nicht nur Autos, Maschinen oder Chemikalien und andere Industrieprodukte, sondern auch Technologien und Geschäftsmodelle. Seit drei Jahrzehnten ist auch das Chemieparkkonzept ein Exportschlager. Das Erfolgsmodell entwickelte sich aus der Umstrukturierung der chemischen Industrie seit Anfang der 1990er Jahre und wird inzwischen rund um den Globus kopiert.
Das Chemieparkmodell
Die deutschen Chemie- und Pharmaparks haben ihre Wurzeln in den Werksstandorten der großen Chemieunternehmen, die vor allem seit Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden sind. In den 1990er Jahren kam es jedoch zu einem tiefgreifenden Wandel in der Chemiebranche, in dessen Folge sich viele der traditionellen Chemieunternehmen aufspalteten, fusionierten oder übernommen wurden. Aus den ehemaligen ‚Single-User‘-Standorten entstanden Industrieparks, die für neue Investoren und Nutzer aus chemie- und pharmanahen Branchen geöffnet wurden. Der Infrastrukturbetrieb und die Dienstleistungen – bspw. für Logistik, Energie, Rohstoffe, Ver- und Entsorgung – an diesen ‚Multi-User-Standorten wurden von spezialisierten Betreibergesellschaften übernommen, die meist aus den entsprechenden Fachabteilungen der ehemaligen Chemieunternehmen hervorgingen. So entstanden z.B. die Chemieparks in Höchst, Leverkusen, Dormagen, Hanau, Gendorf, Gersthofen, Knapsack, Marl, Leuna oder Bitterfeld-Wolfen.
Heute sind diese Parks professionell gemanagte Chemie- und Pharmastandorte. Ihre Betreibergesellschaften bieten den Standortkunden und Investoren eine breite Palette von Dienstleistungen an. Dieses Betreibermodell, das auch von anderen Branchen übernommen wurde, ermöglicht es den Unternehmen, die sich in einem Chemie- oder Pharmapark ansiedeln, sich auf ihre Kernbereiche Forschung & Entwicklung sowie Produktion konzentrieren und ihr Geschäft entwickeln zu können. Rund 40 dieser Standorte sind in der Fachvereinigung Chemieparks, einer Fachgruppe des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), organisiert.
Während eines CHEManager-Roundtable-Gesprächs mit Mitgliedern des Vorstands der Fachvereinigung Chemieparks in Leuna wurden sowohl die derzeitigen Herausforderungen und damit verbundenen Forderungen, aber auch die weiterhin hohe Attraktivität deutscher Chemie- und Pharmastandorte angesprochen. Wie sehen sie aus, die Standortkonzepte in Zeiten der Transformation, und wie steht es um die Zukunftsfähigkeit der deutschen Chemie- und Pharmaparks?
Der Vorsitzende der Fachvereinigung Chemieparks, Christof Günther, brachte es auf den Punkt: „Deutschland steht als Industrieland massiv unter Druck. Der Handlungsdruck ist enorm“.
Planungssicherheit für Investoren
Welche industriepolitischen Weichen müssen gestellt werden, um die Attraktivität Deutschlands als Investitionsstandort zu verbessern und eine drohende Deindustrialisierung abzuwenden? Und mit welchen strukturellen und organisatorischen Maßnahmen reagieren die Chemiestandorte und ihre Betreibergesellschaften auf die Veränderungen der Rahmenbedingungen?
Günther, der auch Geschäftsführer von InfraLeuna, der Betreibgesellschaft des Chemieparks Leuna, ist, erklärte: „Energie ist für alle das wesentliche Thema. Die Energiepreise sind im internationalen Wettbewerb einfach zu hoch, für energieintensive Betriebe ist es aktuell schwierig.“ Manche Standortkunden seien schlecht ausgelastet, was sich auch nachteilig auf den Standortbetrieb auswirke.
Ralf Müller, Geschäftsführer von Yncoris, der Dienstleistungsgesellschaft des Chemieparks Knapsack und weiterer Standorte in Nordrhein-Westfalen, verwies in dem Zusammenhang auch auf die Versorgungsstabilität und Versorgungssicherheit. „Im Rahmen der Energiewende macht mir das Sorge. Das sicherzustellen ist für die Chemieproduktion essenziell.“
Neben Energiethemen ist aus Sicht der Standortbetreiber vor allem die mangelnde Leistungsfähigkeit der vorgelagerten Infrastrukturen wie bspw. veraltete Bahngleise, Schleusen und Brücken ein Problem für die deutschen Chemiestandorte und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit.
Wie bei der Energie ist auch bei den Rohstoffen die Versorgungsstabilität und Versorgungssicherheit in den Chemieparks von größter Bedeutung. Diese ist, wie sich während der Coronakrise angesichts der vielen Lieferkettenstörungen zeigte, vergleichsweise gut, weil ein großer Teil der Vorprodukte für Standortkunden innerhalb der Chemieparks hergestellt wird. Dieser Verbund an den Standorten sei ein großer Vorteil der Chemieparks, da er die Resilienz gegenüber externen Lieferkettenstörungen erhöhe. Allerdings merken die Chemieparkbetreiber, dass die Lieferzeiten für Ausrüstungsgegenstände, z.B. Anlagenequipment, extrem lang geworden sind, was auch geplante Investitionen an den Standorten beeinflusse.
Und dann ist da noch die Bürokratie, die Investitionsprojekte an den Standorten verzögert und potenzielle Investoren abschreckt. Langsame Planungs- und Genehmigungsprozesse, hohe Auflagen und zu viele Verordnungen behindern auch die dringend notwendige und von den Chemieunternehmen und Chemieparkbetreibern aktiv vorangetriebene Transformation in Richtung Klimaneutralität. Günther: „Wir sind alle mit guten Projekten unterwegs, bewegen uns aber in einem komplexen Regelwerk, das es sehr anspruchsvoll und langwierig macht.“ Hier würden eine industriefreundlichere, d.h. beschleunigte und harmonisierte Genehmigungspraxis die Planungssicherheit für Investoren sowie insgesamt vorteilhaftere Rahmenbedingungen die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland im internationalen Vergleich deutlich verbessern.
„Deutschland steht als Industrieland massiv unter Druck.
Christof Günther, Vorsitzender der Fachvereinigung Chemieparks und Geschäftsführer von InfraLeuna
Transformation der Chemieindustrie
Während das Investitionsklima an den Standorten vor der Coronakrise ausgesprochen gut gewesen sei, ist es derzeit aufgrund der eingetrübten wirtschaftlichen Lage schwierig. Viele Investitionsentscheidungen von Standortkunden, die die Chemieparkbetreiber üblicherweise mit eigenen Investitionen begleiten, werden derzeit zurückgehalten. Dennoch wollen die Standorte selbst in die Zukunft investieren, um die Transformation in Richtung nachhaltige Chemie und Klimaneutralität voranzubringen. So liegt der Fokus der Investitionen derzeit vor allem bei Erzeugungsanlagen für grüne Energie oder Anlagen im Zusammenhang mit der Kreislaufwirtschaft.
An einigen Standorten wird in Power-to-X-Anlagen zur Speicherung bzw. Umwandlung von grünem Strom in Kraftstoffe für nachhaltige Mobilität oder Rohstoffe für die Chemieindustrie investiert, aber auch in Anlagen zur Wärmerückgewinnung oder für chemisches Recycling (Glykolyse). Gerade für die Wasserstoffwirtschaft, die für das Gelingen der Energiewende essenziell ist, spielt die Chemieindustrie eine bedeutende Rolle. Da Wasserstoff an Chemiestandorten zur Produktion genutzt wird, besteht bereits eine geeignete Infrastruktur, zudem werden derzeit an einigen Standorten Elektrolyseure zur Wasserstofferzeugung aus Ökostrom aufgebaut.
Diese Investitionen in die Zukunft lassen vermuten, dass auch den Chemiestandorten selbst ein struktureller Wandel bevorsteht. Insbesondere die Circular Economy kann für die Chemieparks zukünftig ein lukratives Geschäftsfeld darstellen, ist sich Christoph von Reden, Geschäftsleiter bei InfraServ Gendorf, sicher. So wird sich das Leistungsspektrum an vielen Standorten weiterentwickeln, indem neue, zusätzliche Synergien im Bereich des Stoff- und des Energieverbunds erschlossen werden.
Denn dies sind die Kernkompetenzen der Chemieparkbetreiber und macht die Standorte für Investitionen insbesondere im Bereich der Energiewende und der Kreislaufwirtschaft attraktiv.
Die Verbundstruktur an den Standorten sei sozusagen Voraussetzung und Enabler für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft, insbesondere wenn man darunter nicht nur Recycling, sondern auch Upcycling verstehe und die Produkte wieder in den Produktionsverbund eingespeist werden. Günther: „Wenn ein Investor aus der Energie- oder Recyclingbranche eine Anlage bauen will, dann macht er das am besten in einem Chemiepark. Wir nehmen ein großes Interesse wahr, weil Themen wie Genehmigungsanträge, Logistik oder Nachbarschaftskommunikation in einem etablierten Standort tadellos funktionieren und deswegen die Erfolgswahrscheinlichkeit für solche Projekte hoch ist.“
Zu den Kompetenzen an den Standorten zählen auch technische Dienstleistungen, die entweder von den Standortbetreibern selbst oder von externen Industrieserviceunternehmen erbracht werden. Von Reden hält es für wichtig, im Sinne der Standortkunden immer die beste Lösung für das Servicegeschäft anzustreben, sei es die technischen Dienstleistungen intern anzubieten, wenn der Parkbetreiber über die erforderlichen Kompetenzen und Experten verfügt, oder aber dem externen Wettbewerb anzuvertrauen.
Dirk Opalka, Leiter der Geschäftseinheit Site Management von Evonik, sieht hier die Vorteile bei den Parkbetreibern: „An einem Chemiestandort werden sehr komplexe technische Dienstleistungen benötigt. Für Reparatur, Wartung und Instandhaltung ist tiefgehende Fachkenntnis erforderlich, die Mitarbeiter eines externen Ingenieurbüros häufig nicht oder erst nach umfangreichem Schulungsaufwand beherrschen.“
Auch das Interesse von Standortkunden, solche nicht zum Kerngeschäft gehörenden Leistungen an die Standortbetreiber abzugeben, nimmt weiter zu, so Günther. Das liege an der zunehmenden regulatorischen Komplexität, bspw. im Energierecht, im Beauftragtenwesen oder im Emissions-, Strahlen- und Brandschutz. „Da spielen die Standortbetreiber eine ganz wichtige Rolle und die gewinnt an Bedeutung.“ Eine wichtige Rolle spielen manche Standorte auch für die umliegenden Städte und Kommunen, bspw. wenn sie ihre Werkfeuerwehren für Einsätze oder Schulungen abstellen oder auch wenn sie, wie Holger Amberg, Geschäftsführer im MVV Industriepark Gersthofen, berichtet, Abwärme aus den Produktionsanlagen in das öffentliche Fernwärmenetz einspeisen: „Bei den laufenden und anstehenden kommunalen Wärmeplanungen können die Industrieparks eine wichtige Rolle spielen.“
„Das Betreiberkonzept zeigt gerade unter dem Eindruck der aktuellen Herausforderungen seine Vorteile."
Christof Günther, Vorsitzender der Fachvereinigung Chemieparks und Geschäftsführer von InfraLeuna
Werbung für die Attraktivität der chemischen Industrie
Beim Thema Fachkräftemangel drückt allen Standorten der Schuh, wenn es auch erhebliche regionale Unterschiede gibt. Qualifizierte Arbeitskräfte seien immer schwieriger zu bekommen, das gelte für alle Bereiche – vom Koch und Lokführer über Produktionsfachkräfte bis zu Informatikern. Stellen für Automatisierungstechniker und für Informatiker bleiben am längsten offen, so Günther. Die Standortbetreiber müssten dem zunehmenden Problem mit Einfallsreichtum begegnen und bspw. Hochschulpartnerschaften eingehen. Laut von Reden müssen zukünftig neue Wege beschritten werden, um Fachkräfte zu generieren, die am Markt nicht verfügbar sind. Der InfraServ-Gendorf-Manager sieht hier vor allem die Erwachsenenbildung – Fort- und Weiterbildung sowie Umschulung – als probates Mittel.
Und auch die Chemiebranche und ihre Akteure selbst müssten für junge Nachwuchskräfte interessanter werden. Die Branche biete attraktive und zukunftssichere Arbeitsplätze, die Bezahlung sei gut, es gebe eine geringe Fluktuation. Aber sie müsse auch den Zeitgeist treffen und ihre Rolle als Mutter aller Industrien und Gestalterin der gesellschaftlichen Transformation zur Nachhaltigkeit und Klimaneutralität immer wieder vermitteln.
Ist das traditionelle Chemiepark-Betreiberkonzept unter den neuen Herausforderungen noch zeitgemäß? Für Yncoris-Manager Müller ist klar: „Die chemische Industrie verändert sich, und wir passen uns diesen sich verändernden Strukturen an. Aber das eigentliche Konzept der Chemieparks ändert sich nicht, und die Vorteile bleiben erhalten.“
Der Vorsitzende der Fachvereinigung geht noch einen Schritt weiter: „Das Betreiberkonzept ist nach wie vor sehr attraktiv und zeigt gerade unter dem Eindruck der aktuellen Herausforderungen, über die wir sprechen, seine Vorteile.“ Günther ist überzeugt: „Das Chemiepark-Betreiberkonzept hat sich nicht nur bewährt, es gewinnt sogar weiter an Bedeutung, weil wir in dem immer komplexer werdenden Umfeld in der Lage sind, den Kunden mit unseren Kompetenzen zu helfen, mit ihrem Geschäft bestehen zu können.“
Und Evonik-Manager Opalka pflichtet ihm bei: „Die Chemieparkmodelle – ganz gleich, ob als integrierter Parkbetreiber eines Chemiekonzerns oder als eine eigenständige Betreibergesellschaft – werden sich zwar strukturell weiterentwickeln, aber ich glaube, es gibt keine echte, funktionierende Alternative dazu.“
Fazit
Europa will der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden. Die Transformation zur Klimaneutralität im Rahmen des Green Deal bietet viele Chancen für den Industriestandort Deutschland. Im internationalen Wettbewerb um in- und ausländische Investoren, innovative Technologien und kreative Talente ist das deutsche Chemieparkmodell ein Standortvorteil. Die Politik sollte daher geeignete Rahmenbedingungen schaffen, um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit in diesem Transformationsprozess zu erhalten, damit nachhaltige Technologien und Produkte ‚Made in Germany‘ zum nächsten Exportschlager werden.
Autor: Michael Reubold, CHEManager
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